Angriff der Palatschinken

Entenhausen: Dagobert und Donald Duck besuchen Österreich

Entenhausen. Dagobert und Donald Duck besuchen Österreich

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Wien steht auf keinen Fall mehr lang. Vor Schönbrunn gerät eine Elefantenherde in Aufruhr. Die Dickhäuter trampeln Richtung Prater, über parkende Autoschlangen hinweg, hinterlassen deformierte PKW-Dächer und einen Scherbenteppich. Unter den Passanten bricht Panik aus, ein Motorradfahrer donnert mit seinem Gefährt gegen einen Lichtmast. Niki Lauda und DJ Ötzi, zart als hundeähnliche Wesen verfremdet, sind Zeugen des Vorfalls. Am Ende steht ein Bild, das man in Wien kaum je gesehen hat: Auf den Dächern der Gondeln des Riesenrads kauern ängstlich Elefanten. Schunkelmusik untermalt die Szene.

Österreich-Besuch
Verantwortlich für das Tohuwabohu in der Donaumetropole ist ein Familienverband, der sich seinen ausgezeichneten Ruf als Stoßtrupp für Unvernunft und Konfusion über Jahrzehnte hinweg hart erarbeitet hat: In der jüngsten Ausgabe der Comic-Zeitschrift „Micky Maus“, die seit 1951 im deutschen Ehapa-Verlag erscheint, sind einige der prominentesten Bewohner Entenhausens – Dagobert und Donald Duck sowie dessen Neffen, die Drillinge Tick, Trick und Track – nun erstmals in Wien zu Gast.

Der Österreich-Besuch bedeutet nicht nur eine ungeahnte Eskalationsstufe in der Kunst des öffentlichen Durcheinanders, er steht auch für die Erweiterung eines Geschäftsmodells. Geografisch eindeutig bestimmbare Örtlichkeiten, zumal in Europa, suchte man in diesen Bildergeschichten bislang vergebens – mit Ausnahme jener Erzählungen, in denen die legendäre Übersetzerin Erika Fuchs (1906–2005) amerikanische durch deutsche Orte eigenmächtig ersetzt hatte. Lange Zeit war die Pflege des Lokalkolorits dem US-Konzern Disney und seinen europäischen Franchisenehmern (mit Italien als Sonderfall) kein besonderes Bedürfnis: Die Comics spielten auf neutralem Feld, ohne spezielle historische und zeitgenössische Verortung. In einer Geschichte mutierte München zum Ort „Pellingen“, das Münchner Oktoberfest zum „Würstelfest“. Bayern und die Steiermark verschmolzen zum fiktiven „Bayermark“. Das beschauliche Nest „Oberauwang im Trillertal“ bestach durch ein hohes Tracht- und Gamsbart-Aufkommen.

„I wü mei Trinkgeld“
In der jüngsten Nummer der Reihe ist Wien als Handlungsschauplatz dagegen überdeutlich markiert. Haas-Haus und Stephansdom sind pittoresk ins Bild gerückt, und Dagobert besucht das Freud-Museum. Ein Zitherspieler in Lederhose, der das Harry-Lime-Thema aus dem Nachkriegskinoklassiker „Der dritte Mann“ zupft, raunzt: „I wü mei Trinkgeld.“ Daneben spielt im Heft ein ominöser „Angriff der Palatschinken“ keine unbedeutende Rolle, und ein Forscher namens Professor Dudeldö berichtet: „Wer sich täglich zehn Minuten nach dem Aufstehen laut im Spiegel anjodelt, tut etwas für sein Wohlbefinden.“

Patrick Bahners, 46, hat die neue „Micky Maus“ noch nicht gelesen. Das sei, so Bahners, nicht nur eine Frage des nicht mehr vorhandenen Archivplatzes, sondern auch eine des zu langen Postwegs. Der ehemalige Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, inzwischen New Yorker Kulturkorrespondent des Blatts, zählt zu den führenden Erkundern des Entenhausen-Universums. Er ist Mitglied der 1977 in Hamburg gegründeten „Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus“ – kurz D.O.N.A.L.D. –, mit rund 50 aktiven Mitgliedern die größte deutschsprachige Gelehrtengemeinde, die sich mit durchaus seriösen Wissenschaftsmethoden der verschlungenen Welt Entenhausens nähert – jenes klassisch-kanonischen Korpus von rund 6000 Buchseiten, die dem US-Illustrator Carl Barks (1901–2000) zugeordnet werden, dem bis heute bekanntesten Disney-Zeichner.

„Psychogramm einer Sippe”
Die erste donaldistische Monografie erschien 1970: „Die Ducks. Psychogramm einer Sippe“ von Grobian Gans. Hans von Storch, der Gründungspräsident von D.O.N.A.L.D., verschickte 1977 Weihnachtskarten mit der Losung: „Ein orthodoxer Donaldist sein Lebtag kein Geflügel isst.“ Storch, im Zivilberuf renommierter deutscher Meteorologe, versuchte, das Wettergeschehen in Entenhausen auf Grundlage der Newton’schen Physik zu analysieren. 1995 gründete ein Mitglied die Denkfabrik M.Ü.C.K.E., die für „Meisterhafte Überarbeitung chaotischer Kartengrundlagen Entenhausens“ steht. 2008 wurde der „einzig wahre Stadt- und Umgebungsplan Entenhausens“ publiziert, die penible Auswertung jener exakt 23 Karten und Kartenausschnitte, die sich im Barks-Konvolut finden. Seit der Frühzeit der donaldistischen Erkenntnisforschung wird schließlich darüber diskutiert, weshalb Oma Dorette, Daisy und Daisys Nichten Dicky, Dacky und Ducky Schuhe tragen – Donald, Dagobert, Gustav Gans und Tick, Trick und Track dagegen nicht.

Patrick Bahners berichtet in seinem soeben veröffentlichten Band „Entenhausen – Die ganze Wahrheit“, in dem er Wissenswertes und Abseitiges, Sonderbares und Erhellendes über Entenhausen zusammengetragen hat, von einer raren Begegnung mit Carl Barks. Bei dem Treffen mit dem damals bereits 93-jährigen Zeichner wagte Bahners die entscheidende Frage, weshalb nur die weiblichen Ducks Schuhe trügen. Barks’ Antwort: „Die Enten ohne Schuhe sind die Jungs, die Enten mit Schuhen sind die Mädchen.“ In „Entenhausen“ resümiert Bahners den kurzen Dialog so souverän wie lakonisch: „Dass das Orakel sich tautologisch äußerte, konnte die Forschung nicht entmutigen.“

Den Groll seiner Mitforscher, die sein Vorhaben, die „ganze Wahrheit“ über Entenhausen berichten zu wollen, als Anmaßung auslegen könnten, fürchtet Bahners nicht. „Das Großsprecherische gehört bei uns zum guten Ton“, sagt der Journalist. „In dieser Beziehung fühlen sich Donaldisten Donald Duck besonders nahe: Als dieser in einem Theaterstück auftreten soll, malt er sich aus, welche Rolle er in der Amateurproduktion seiner Cousine Daisy übernehmen wird. Er besucht dann tatsächlich die Theatergruppe, er erscheint förmlich. Das ist angewandter Donaldismus: nicht kleckern, sondern wirklich groß klotzen. Als D.O.N.A.L.D. gegründet wurde, unterschieden wir uns von der normalen Wissenschaft übrigens auch dadurch, dass wir unsere Forschungen nie bescheiden und vorläufig anlegten. Insofern hat uns die nicht-donaldistische Wissenschaft längst eingeholt. Heute ist es ja durchaus üblich, dass man als Forscher Eigenwerbung betreibt. Die Anträge, in denen man große Erkenntnisse verspricht, sind ja tatsächlich oft wichtiger als die ausgearbeiteten Schriften, in denen man die kleinen Ergebnisse publiziert.“

Wo liegt Entenhausen?
Die zentralen Fragen in Bahners’ Buch lauten: Wo liegt Entenhausen? Wie lässt sich der von Federvieh, hunde- und schweineähnlichen Wesen mit Schlapp- respektive abstehenden Ohren bevölkerte Flecken beschreiben, verstehen, erklären? Das Problem, wo das stecknadelgroße Dorf auf dem Globus wohl liegen mag, beschäftigt die Gruppe seit Jahrzehnten. Bahners widerspricht in „Entenhausen“ der gängigen Westküsten-These: Er verortet Entenhausen an der US-Ostküste und fährt dazu, wie im höheren Donaldismus üblich, massives Theoriegeschütz auf: Hegel, Jacob Burckhardt, Schweizer Kunsthistoriker und Altertumsforscher, John Maynard Keynes, Alexander von Humboldt, Norbert Elias, Noam Chomsky. Spannend seien die kulturgeschichtlichen Querverbindungen, die sich zwischen Donaldistischem und Nicht-Donaldistischem ergäben. „Ich behaupte, es findet dabei ein steter Austausch statt.“

Duck-Forscher vermögen Gedanken in Form der Denkblasen über den Köpfen der Entenhausen-Bewohner zu lesen. Die Stadt ist ihnen fast schon gespenstisch vertraut. „Als Cicerone, der Interessierten aus der realen Welt Entenhausen zeigt, begänne ich die Tour selbstverständlich bei Dagobert Ducks Geldspeicher“, begibt sich Bahners auf imaginäre Feldforschung. „Das ist auch für dortige Verhältnisse das weitaus ungewöhnlichste Gebäude der Stadt – wobei es einen zweiten Milliardär in Entenhausen gibt: Mac Moneysac, der Dagoberts Lebensstil kopiert.

Wir mögen alle möglichen und unmöglichen Verrücktheiten der Superreichen kennen, etwa jene Extravaganz, dass sie sich für dreistellige Millionenbeträge aufgeblasene Blechluftballons von Jeff Koons kaufen. Dagobert schlägt in dieser Beziehung sämtliche Krösusse: Er tauscht sein Geld nicht und lagert es auch nicht virtuell in Banken ein, er häuft es in Form von Scheinen und vor allem Münzen auf – und baut darum ein zumeist panzerknackerfestes Haus.

Bei unserer Tour dürften wir aus naheliegenden Gründen den Geldspeicher selbst wohl nicht betreten. Weitere mögliche Stationen wären: das Denkmal von Entenhausen-Gründer Emil Erpel vor dem Museum, der Hafen mit seinen imposanten Anlagen und abends ein Besuch in der Oper. Vielleicht wird am Tag darauf im Theater eine Matinee mit einem Ritterstück gezeigt? In Entenhausen wird einem nie langweilig. Die Stadt ist übersichtlich, zu Fuß ist an einem Tag einiges an Programm zu schaffen.“ An einer Stelle seiner Entenhausen-Hommage zitiert Bahners aus den Protokollen der regelmäßig stattfindenden Donaldisten-Treffen.

Entenhausen sei „Vorbild und Mahnung“, lautet eine klassische Sentenz der Duck-Forschung, die sogenannte wirkliche Welt sei „Abklatsch, die heruntergekommene Variante“. Das Tagungsprotokoll verzeichnet viel Beifall und „Brillant!“-Rufe.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.