Hartmut Rosa

Experte für Entschleunigung: „Werde ich berührt?“

Der deutsche Soziologe und Buchautor Hartmut Rosa denkt über unsere Beziehung zur Welt nach. [E-Paper]

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profil: „Mein Kalender ist randvoll, alle Resonanzachsen stehen unter extremem Beschleunigungsdruck!“, mailten Sie auf unsere Interviewanfrage zurück. Schön, dass es doch geklappt hat. Was macht die Beschleunigung mit uns?
Rosa: Sie macht uns zu einem schuldigen Subjekt, weil wir ständig das Gefühl haben, dass wir zu spät dran sind, schon beim nächsten Termin sein sollten oder etwas ganz anderes machen sollten. Früher oder später führt das zu einem Gefühl der Entfremdung.


profil: „Neben den Toilettenpapierfabrikanten sind Soziologen die größten Krisengewinnler“, schrieb der „Spiegel“. Sie gelten als Experte für Entschleunigung, werden Sie deshalb so oft gefragt?
Rosa: Was in der Gesellschaft los ist, in den sozialen Verhältnissen, aber auch mit einem selbst, war lange Zeit die Kompetenz der Philosophie und der Theologie und hat sich etwas in Richtung Sozialwissenschaften verschoben. Dazu kommt: Von den Schulen über die Kirche, Medien bis zu Militär und Polizei sagen alle: Diese Beschleunigung macht uns kaputt. 


profil: Slow Food, Achtsamkeit, Wellness stehen hoch im Kurs. Sehnen wir uns nach Langsamkeit? Oder was genau suchen wir?
Rosa: Langsamkeit ist nicht per se gut. Ein langsamer Notarzt oder langsames Internet machen das Leben nicht besser. Verkehrsstaus schon gar nicht. Menschen träumen von einer anderen Weise, in die Welt gestellt zu sein, von anderen Möglichkeiten, sich auf die Dinge einzulassen. 


profil: Wir waren monatelang auf Abstand, nicht im Konzert, an der Uni, im Büro: Hat uns die Pandemie geholfen, vom Gas zu gehen?
Rosa: Sie war ein historisch beispielloses Entschleunigungsphänomen. Kein Krieg und keine Wirtschaftskrise haben es je geschafft, so große Bereiche der Gesellschaft anzuhalten. Im ersten Lockdown waren 95 Prozent des Flugverkehrs, 50 Prozent des nationalen Verkehrs, 80 Prozent des innerstädtischen Verkehrs, sogar Fußballligen und Universitäten stillgelegt. Aber wenn Sie im Gesundheitssektor oder in der Metallindustrie gearbeitet haben, ist der Stress gestiegen. Oder wenn sie alleinerziehend waren. Diese Entschleunigung hat ein Zwangsmomentum und fühlt sich scheußlich an, wenn man Existenzsorgen hat. Für viele aber hat sich der Kalender auf mirakulöse Weise geleert. 

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Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges