Eatdrink

Gedämpfter Genuss

Chinesische Wassereier: ein luftiger Traum zum Auslöffeln.

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Nach Jahren in Shanghai war Nicolò, der Neffe meiner Frau, wieder nach Österreich gekommen; seine chinesische Frau Jenny und er kochten unlängst Klassiker aus dem Reich der Mitte-und bescherten mir eine Offenbarung. Neben einer gedämpften Brasse mit Ingwer und Lauch und einer grandiosen Suppe mit Kohl, Mais und Ochsenschlepp servierten sie ein Standardgericht der chinesischen Küchenvielfalt: Jidan geng heißt die überaus beliebte Eierspeise im modernen Standard-Mandarin; wenn von Zhēng dàn, Ksing-tsuí tàn oder Ke-tàn kinn die Rede ist, ist das Gleiche gemeint. Auch in Japan kennt man sie: unter dem Namen Chawan mushi. Im Westen sagt man ganz einfach Wasserei.

Die speziell gedämpften Eier sind ein physikalisches Wunder: tausendmal luftiger und leichter als Pudding, Omeletts oder Rühreier, seidig in der Textur, perfekt geeignet, um andere Aromen zu unterstützen, und überraschend leicht herzustellen, wenn man einige Dinge beachtet.

"Das müsst ihr mir zeigen!", forderte ich. Und nun war es so weit. Ein Abend mit gedämpften Eiern in mehreren Varianten (es gibt Dutzende davon) folgte, und hier sind die Forschungsergebnisse-getestet und für tauglich befunden.

In China werden die Eier mit vielerlei kombiniert: Jakobsmuscheln, Herz-oder Venusmuscheln, Garnelen, Pilzen, tausendjährigen Eiern, Tofu, Spargel, Lauch, Schnittlauch oder faschiertem Schweinefleisch. Essenziell ist jedoch die geradezu ätherische Eiercreme. Sie besteht aus nichts als Eiern, Wasser oder Suppe und ein wenig Salz im Verhältnis 1,5 Teile Wasser und 1 Teil Ei. Wir haben 6 mittelgroße Bioeier verwendet; eines ergibt, gründlich verquirlt, 50 Milliliter. Diese 300 ml Eiermasse werden nun mit 450 Milliliter etwa 40 bis 45 Grad warmem, zuvor einmal aufgekochtem Wasser und 1/2 TL Salz verrührt. Danach wird die Flüssigkeit, die an der Oberfläche zahlreiche Bläschen zeigt, durch ein feines Sieb gegossen, damit die Blasen verschwinden. Sie sind beim Dämpfen unerwünscht, denn Jidan geng soll eine völlig glatte Oberfläche aufweisen und keine Kraterlandschaft wie der Mond.

Nun zu den Einlagen: Unsere Wahl fiel auf in Scheiben geschnittene Shitake-Pilze, dünne asiatische Lauchzwiebeln (ersatzweise tun es auch Frühlingszwiebeln) sowie Herz-und Jakobsmuscheln-und als Hauptgang pikantes Schweinefleisch. Dafür brät man 250 g faschiertes Bio-Schweinefleisch in etwas Erdnussöl scharf an und würzt mit 2 feingehackten Knoblauchzehen und je 1 EL herkömmlicher Sojasauce, dunkler Sojasauce und Oyster Sauce. Nach kurzem Durchrühren wird 1 TL Maisstärke mit 30 ml eiskaltem Wasser verquirlt und dazugegossen. Am Ende soll die Konsistenz hübsch zähflüssig, keinesfalls jedoch zu trocken sein. Ist das der Fall, helfen ein bis zwei EL Wasser.

Nun füllt man ca. 150 ml fassende Auflaufformen mit der gewünschten Einlage. Variante 1: pro Schale 5 bis 6 Scheiben Shitake-Pilze und/oder 1 Jakobsmuschel; Variante 2: pro Schale 3 bis 4 Herzmuscheln und wieder etwas Lauchzwiebel; Variante 3: nur etwas Lauchzwiebel, denn die Wassereier mit dem Schweinefleisch werden erst nach dem Dämpfen belegt. Die Formen werden nun jeweils bis 1 cm unter den Rand mit Eiermasse befüllt und mit Alufolie abgedeckt. Jetzt heißt es noch einmal genau arbeiten: Die Folie darf nicht durchhängen, sondern soll sich leicht wölben, damit nicht Kondenswasser in die Schalen tropft. Jedes Stück Folie wird noch mit einem Nadelstich versehen, damit der Dampf entweichen kann. Jetzt kommen die Behälter in einen großen Topf, in den wir zuvor ein Küchentuch gelegt haben, damit sie im köchelnden Wasser nicht wackeln; das würde die seidige Oberfläche ruinieren. Der Wasserstand im Topf soll am Ende bis 2 cm unter den Rand der Formen ragen. Deckel drauf, dann starten wir den Timer: Nach 10 Minuten sind die Wassereier fertig und werden vor dem Servieren mit etwas Sojasauce, bisweilen auch Sesamöl, beträufelt beziehungsweise mit Fleischsauce und etwas Lauchzwiebel belegt. Wer morgens gut in die Gänge kommt, wird Jidan geng vielleicht schon zum Frühstück zubereiten, was auch in China gerne gemacht wird. Weitere beliebte Anwendungen sind Kindergeburtstage und Zahnweh.