Serie: Ladestation

Handy-Sucht: "Das verhält sich ähnlich wie bei Rotwein"

Der Neurologe und Psychiater Volker Busch über die richtige Dosis beim Handy-Konsum, die indirekte Schädlichkeit von Smartphones und die Wichtigkeit planvoller Zerstreuung.

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Wann greifen Sie morgens zum Smartphone?
Busch
Das passiert fast immer zum gleichen Zeitpunkt, ungefähr um 8.15 Uhr. Das ergibt sich aus dem Ritual, dass wir als Familie alle gleichzeitig aufstehen und die Kinder schulfertig machen, wobei das Handy definitiv keine Rolle spielt. Dann mache ich mir einen Kaffee, fahre den Rechner hoch und greife zum Smartphone. Wenn ich in der Klinik bin, läuft es ähnlich, weil ich um 8.30 Uhr mit den Patienten beginne.
Die Frage bezieht sich natürlich darauf, dass viel Menschen den Eindruck haben, von ihren Smartphones quasi ferngesteuert zu sein.
Busch
Das kann man durchaus so beschreiben. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass uns unsere Smartphones ständig unterhalten oder informieren, dass es praktisch zum Automatismus geworden ist, morgens als Allererstes zum Handy zu greifen und etwas zu konsumieren, egal wie unwichtig es ist-und dass uns das oft gar nicht so bewusst ist.
Wann wird das zu einem Problem?
Busch
Wie bei vielen Dingen, die prinzipiell schädlich sind, gibt es dabei keine eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung. Das verhält sich ähnlich wie bei Rotwein oder Schokoladenkuchen. Man weiß zwar ungefähr: Je mehr, desto ungesünder. Doch die Verläufe sind sehr individuell. Es gibt in der Psychologie aber den sogenannten Verdrängungseffekt. Er bezeichnet eine indirekte Schädlichkeit-wenn das Handy andere Dinge verdrängt, die wichtiger sind. Etwa wenn Sie sich aufgrund vieler Bildschirmzeit nicht mehr körperlich betätigen, wenn Ihre sozialen Beziehungen schwächer werden oder Sie mit Ihrer Arbeit nicht mehr zurandekommen. Aber man kann nicht sagen: Ab 120 Minuten ist es schädlich, darunter harmlos. So einfach geht das leider nicht. Es gibt keinen objektiven Gradmesser, aber es gibt oft ein subjektives Gefühl-daher appelliere ich dafür, auf sich selbst zu hören: Bin ich frischen Geistes, bin ich fit, habe ich Zeit für die Dinge, die mir wichtig sind? Oder bin ich reizüberflutet, hektisch, fahrig?
Und wann wird es zu einer pathologischen Angelegenheit, etwa in Form von ADHS?
Busch
Durch Handykonsum entstehen keine Krankheiten wie Demenz oder ADHS. Zwar gibt es Korrelationen zwischen ADHS und hohem Handykonsum, aber keinen ursächlichen Zusammenhang. Allerdings ist es ein Alarmzeichen, wenn ich mich nicht mehr konzentrieren kann, nicht mehr zur Ruhe komme und ständig aufgewühlt bin. Dann sollte ich das ernst nehmen und womöglich meinen Handykonsum reduzieren, denn es geht mir damit ja nicht gut, ich habe Stress. Und das ist langfristig nie gesund.
Eltern verzweifeln oft am Smartphone-Gebrauch ihrer Kinder. Sind Handy-Verbote eine gute Strategie?
Busch
Ich versuche, sowohl als Papa als auch als Arzt, Verbote zu vermeiden. Die Attraktivität einer Sache wächst mit ihrem Verbot. Aber Handykontrolle ist wichtig. Man sollte handyfreie Zonen einrichten-für Teenager wie für Erwachsene. So eine Zone kann etwa der Frühstücks-oder Abendessentisch sein. Dazu gehört aber auch, dass ich nicht beim Essen die Zeitung lese. Wenn man drei, vier solcher handyfreier Zonen einführt, kann man das Gerät ansonsten ruhig benutzen. Das wäre ein sozial verträglicher Kompromiss, der das Gehirn schont, ohne dass wir uns komplett der Welt verschließen.
Kann ich meine Konzentration durch bewusste Zerstreuung trainieren?
Busch
Sie trainieren Konzentration nicht durch Zerstreuung, aber Sie ermöglichen damit ein Wiederaufladen der geistigen Fähigkeit zur Konzentration. Wenn Kinder zwischen den Schulstunden am Schulhof herumtoben, können sie sich hinterher wieder konzentrieren. Diese Erholung fällt schwächer aus, wenn sie am Schulhof die ganze Zeit ins Handy gucken.

Volker Busch, 51

Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, ist neben seiner Tätigkeit an der Uniklinik Regensburg (Abteilung für Psychosoziale Stress-und Schmerzforschung) auch als Vortragsredner, Podcaster ("Gehirn Gehört") und Autor aktiv.

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Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.