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Eine Übernahme mit Haken

Fünf Thesen zu Elon Musk und seinem Kauf von Twitter – und wieso wir um die Zukunft dieser Plattform fürchten müssen.

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Man muss die Frage stellen, ob Elon Musk Twitter jetzt einfach kaputtmacht. Seit der Milliardär Twitter übernahm, ist manches bereits schlechter geworden. 

  1.  Prompt nach der Übernahme strömten rechte, antisemitische, rassistische User:innen auf die Plattform und posteten dort menschenfeindliches Material – das hat die Organisation A.D.L. festgestellt, die sich gegen Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen einsetzt. Demnach wurden über 4Chan (ein für rassistische Postings berüchtigtes Diskussionsforum) User:innen dazu angestachelt, jetzt antisemitische Beiträge auf Twitter zu posten. Musk will seine Plattform ja weniger streng moderieren lassen. Begeistert reagierten jene Accounts, die nur darauf gewartet hatten, andere Menschengruppen online zu erniedrigen. Manche mögen einwenden: Elon Musk ist nicht selbst verantwortlich, was einzelne User und Userinnen dort jetzt aufführen. Nur dem möchte ich widersprechen: Wenn Elon Musk betont, dass ab nun weniger Inhalte moderiert (also gelöscht) werden sollen und es keine lebenslangen Sperren auf der Plattform mehr gibt, dann ist er sehr wohl verantwortlich, welches Diskussionsklima das erzeugt. 
  2. Übrigens glaube ich, dass es derzeit einen lachenden Dritten gibt: Mark Zuckerberg. Wenn über Hass im Netz und Desinformation diskutiert wurde, stand jahrelang Facebook im Fokus (auch weil dieses Netzwerk um ein Vielfaches größer ist als z. B. Twitter). Aber mit seinem exzentrischen Auftreten und seiner Selbstdarstellung als „Free Speech Absolutist“ schafft es Musk, dass jetzt genauer auf Twitter geschaut wird. Das ist gut so: Seit Jahren weist diese Plattform eine schwache Moderation auf. Da meint zum Beispiel jemand, man solle andere „per Kopfschuss (…) erlösen“. Dieser Tweet wird gemeldet – und Twitter löscht ihn daraufhin nicht. Elon Musks Grundthese, dass Twitter zu viel sperrt, ist falsch. Der Eindruck ist viel eher, dass Twitter zu wenig Geld in Moderation investiert – es sollte also nicht zu einem Personalabbau kommen, wie ihn der neue Eigentümer plant, sondern es braucht sogar mehr Moderator:innen, die fragwürdige Postings genau überprüfen.
  3. Interessanterweise hat Elon Musk seine eigene Plattform bei der Werbekundschaft madig gemacht. Als er aus seinem Kaufangebot aussteigen wollte, behauptete er, dass Twitter hohe Zahlen an Bots (also  nicht authentische, unseriöse Accounts) habe. Auch hat er immer wieder über Werbung gelästert. Warum sollten jetzt Werbekund:innen bei ihm inserieren, wenn er selbst behauptet, seine Site hätte ein Problem mit Bots? Hinzu kommt: Für viele Unternehmen ist „brand safety“ wichtig. Sie möchten mit ihrer Werbung zum Beispiel nicht neben rassistischen oder antisemitischen Postings stehen. Dass Elon Musk eine weniger strenge Moderation will, führt laut „Wall Street Journal“ dazu, dass einzelne große Werbefirmen Marken empfehlen, ihre Inserate dort zu pausieren. Der Konzern General Motors hat das bereits getan (wohlgemerkt: General Motors ist auch ein Konkurrent am Automobilmarkt zu Musks Unternehmen Tesla). Rund 90 Prozent der Einnahmen Twitters kommen bisher aus der Werbewirtschaft. Will Musk Geld machen mit Twitter, ist er auf die Werbewirtschaft mehr angewiesen als diese auf ihn.
  4. Das führt uns zur nächsten Einnahmequelle: Elon Musk möchte, dass Menschen für Twitter zahlen. So könne es künftig acht US-Dollar im Monat kosten, wenn man einen „Verified“-Haken im Profil will. Viele soziale Kanäle haben solche Verifizierungs-Symbole. Berühmte Personen, Journalist:innen, Politiker:innen et cetera bekommen ein Häkchen im Profil – und man sieht auf einen Blick, dass es sich um einen offiziellen Account handelt. Zwei Schwächen hat Musks Plan: Erstens zahlen Menschen ungern für ein Service, das sie bisher gratis bekamen. Ich selbst habe einen Haken im Profil auf Twitter, aber kein Bedürfnis, Elon Musk auch noch Geld zu zahlen. Das zweite Problem ist: Wer dieses Service kauft, soll dadurch Vorteile bekommen – so sollen zahlende Kund:innen Vorrang bei Antworten, Erwähnungen und der Twitter-Suche haben. Doch wollen wir das als Publikum? Bisher sind diese Verifizierungs-Häkchen schon ein Hinweis an die Nutzer:innen, dass jemand tatsächlich ein professionelles Standing oder Bekanntheit hat. Wenn jede und jeder das Häkchen kaufen kann, besteht die Gefahr, dass gerade unseriöse Kanäle damit Seriosität vortäuschen und schlimmstenfalls auch noch einen Vorrang bei der Sichtbarkeit bekommen. Ich habe wirklich die Sorge, dass Elon Musk in seiner impulsiven Art Verschlechterungen auf der Site einführt. Es ist schwer, eine komplexe Plattform wie Twitter zu verbessern, aber es ist leicht, sie zu verschlechtern.
  5. Ich selbst nutze mittlerweile die Plattform Mastodon – eine Open-Source-Alternative zu Twitter. Diese Site ist technisch etwas komplizierter als Twitter, man findet dort vor allem viele Geeks (also technisch affine Menschen), aber auch manche Journalist:innen wie den Satiriker Jan Böhmermann. Bisher macht mir das Posten dort Spaß: Mastodon erinnert mich an die schräge Anfangszeit auf Twitter, als Twitter noch kompliziert zu bedienen war und oft wegen Überlastung ausfiel. Aber dafür gab es damals auf dem Dienst sehr freundliche Diskussionen und viel Hilfsbereitschaft. Ob das kleine Mastodon jemals zum wirklichen Twitter-Ersatz für die breitere Masse heranwächst? Ich weiß es nicht: Aber es fühlt sich zumindest gut an, nicht nur Elon Musk und seinen wirren Ideen ausgeliefert zu sein.
Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.