Interview

Luisa Neubauer: "Viel von dem Hass gegen uns wird politisch befeuert"

Die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer über die Macht der Klimabewegung, warum sie mit Lützerath Geschichte geschrieben hat und wie verwerflich Langstreckenflüge sind.

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Für Häme hat kürzlich gesorgt, dass zwei Klimaaktivisten der Letzten Generation nach Thailand geflogen sind. Sie selbst sind auch immer wieder als LangstreckenLuisa bezeichnet worden. Hat der Klimaaktivismus ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Neubauer
Vielleicht passt es nicht in das Weltbild von einigen Menschen. Aber die Aussagen von Aktivisten sind auch dann gerechtfertigt und legitim, wenn sie im Flugzeug sitzen. Aber natürlich können Aktivisten nach Thailand fliegen. Ich glaube schon, dass man als Klimabewegung immer wieder hinterfragen muss, wie man die Authentizität bewahren kann. Ich selbst bin, mit Ausnahme der letzten Klimakonferenz in Ägypten, vier Jahre lang gar nicht geflogen. Aber unterm Strich setzen wir uns alle dafür ein, dass die Infrastruktur so verändert wird, dass Menschen klimafreundlich von A nach B kommen können. Außerdem finde ich es unangemessen, jetzt über private Entscheidungen zweier Aktivisten zu sprechen. Wenn Sie deren Einschätzung dazu hören wollen, dann müssen Sie sie selbst befragen.
Aber verwirkt man damit nicht die Vorbildwirkung? Oder anders gefragt: Wie viel Individualismus ist denn notwendig für den Klimaschutz?
Neubauer
Die beiden haben individuell entschieden, sich einzusetzen: Sie kleben sich auf die Straße und nutzen da ihre Vorbildfunktion. Es ist eine sehr selbstgerechte Tendenz, dass jemand, der nicht aktivistisch ist, Regeln aufstellt für das, was Aktivist:innen tun und lassen können. Ich glaube, dass es eine mediale Suche gibt, Klimaaktivismus lieber dort zu diskreditieren, wo man einfache Regeln aufstellen, plumpem Populismus folgen und sich am Ende eine Geschichte erzählen kann, dass die Klimakrise gar nicht so schlimm ist, weil irgendein Aktivist irgendwann mal ein Stückchen Fleisch gegessen hat. Das geht aber offensichtlich nicht auf.
Die Letzte Generation zieht sich, indem sie sich an Straßen klebt, den Unmut der Bevölkerung zu. Ist das nicht kontraproduktiv?
Neubauer
Ich bin nicht Teil der Letzten Generation. Ich glaube, das müssen Sie mit den Aktivisten dort selbst besprechen.
Aber vielleicht haben Sie ja eine Meinung dazu?
Neubauer
Nee.
Sie provozieren selbst ja auch ganz gern. Im vergangenen Jahr sagten Sie, ganz zugespitzt, Sie planten, eine Pipeline hochzujagen.
Neubauer
Das habe ich nicht gesagt.
Es wurde so interpretiert.
Neubauer
Das habe ich nicht gesagt. Und was man so interpretiert, dafür kann ich ja nichts.
Dem Klimaaktivismus wird vorgeworfen, sich immer weiter zu radikalisieren. Teilen Sie diese Einschätzung?
Neubauer
Nein. Wenn sich jemand radikalisiert, dann sind es Regierungen, die im Verhältnis zu dem, was sie machen müssten, immer weniger tun in der Klimakrise.
Die nächste Klimakonferenz findet im Dezember in Dubai statt. Werden Sie teilnehmen? Wenn ja, wie kommen Sie hin?
Neubauer
Jetzt machen Sie genau das, was der Klimapopulismus tut. Sie reduzieren die globale Klimakonferenz auf die Anreiseproblematik. Fragen Sie auch Menschen, ob sie zur G20-Konferenz oder zum G7-Gipfel geflogen sind? Ich glaube nicht. Wieso werden Maßstäbe für eine Klimakonferenz angesetzt, die bei keiner anderen Konferenz gelten? Das ist ja genau die Taktik der fossilen Konzerne, die die Debatten immer dorthin lenken, wo man über Einzelpersonen sprechen kann und bloß nicht über strukturelle Probleme. Ich weiß übrigens noch nicht, ob ich nach Dubai fahre.
Greta Thunberg kritisierte die Klimakonferenz scharf und fuhr zuletzt auch nicht mehr hin. Sehen Sie noch deren Sinnhaftigkeit?
Neubauer
Die UN-Klimakonferenz ist bis heute das einzige globale Forum, wo Menschen aus dem globalen Süden-Staaten, Kräfte, Bewegungen-ihre Ansprüche auf Gerechtigkeit und Klimakompensation deutlich machen können. Wir wissen, dass der globale Norden zum allergrößten Teil verantwortlich ist für die Klimakrise, diese aber den globalen Süden am meisten betrifft. Das ist total ungerecht, und entsprechend gibt es Forderungen nach Rückzahlungen, nach Kompensation, nach echter Zusammenarbeit. Was hoch problematisch ist und was wir sehr kritisieren, ist, dass die UN-Klimakonferenz immer mehr zu einem Forum für fossile Lobbyisten geworden ist. Jetzt ist der Chef der nächsten UN-Klimakonferenz in Dubai auch Chef eines großen Ölkonzerns. Das raubt der Institution UN-Klimakonferenz natürlich Glaubwürdigkeit. In meinen Augen wäre es aber auch der große Auftrag von Regierungen, da zu intervenieren und zu sagen: Leute, wenn wir eine UN-Klimakonferenz machen, dann muss das ein Ort sein, der dem Ziel gilt und nicht den fossilen Interessen.
Sie haben ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Gegen die Ohnmacht".Wie mächtig oder ohnmächtig fühlen Sie sich aktuell, wo der Klimaaktivismus immer heftigeren Anfeindungen ausgesetzt ist?
Neubauer
Die Notwendigkeit vieler Leute, uns anzufeinden, rührt daher, dass wir so mächtig sind und so viel bewegen. Warum sollte man eine Klimabewegung anfeinden, wenn sie keine echte Relevanz darstellt? Viele haben offenbar das Gefühl, sie müssten sich gegen uns zur Wehr setzen. Die Angriffe geben uns also recht.
Sie haben bis vor Kurzem an vorderster Front gegen den Kohleabbau in Lützerath gekämpft. Wie schwer tun Sie sich denn aktuell als Parteimitglied der Grünen, die dem Kohleabbau dort grünes Licht gegeben haben?
Neubauer
Das Dilemma bei den Grünen ist, dass sie in gewisser Weise ihre ökologische Integrität verfeuert haben. Denn für viele Menschen stellt sich natürlich die Frage: Wenn die Grünen der Profitgier von Kohlegiganten wie RWE keine Grenzen setzen, wer dann? Viele Menschen hatten die Hoffnung, Klimaprobleme zu lösen, indem sie die grünste Partei wählen.
Haben Sie überlegt, aus der Partei auszutreten?
Neubauer
Ich persönlich glaube nicht daran, dass die Stimme für die richtige Partei unsere Klimakrise löst. Das ist eine Idee der 1990er-Jahre. Heute geht es viel mehr um den Referenzrahmen, den wir als Gesellschaft der Politik stecken. Es geht also darum, den Druck so aufzubauen, dass Entscheidungen gegen den Klimaschutz politisch teurer werden. Entscheidungen im Sinne der Ökologie müssen hingegen gesellschaftlich belohnt werden. Das hat auch etwas Hoffnungsvolles, weil es heißt, dass wir mit jeder Koalition arbeiten können, die da regiert. In diesem Sinne war Lützerath wahnsinnig ermächtigend und lässt uns gestärkt auf alle möglichen Kämpfe blicken.
Aber letztendlich wurde das Dorf dem Erdboden gleichgemacht und ein großes Kohleabbau-Kontingent beschlossen. Das sehen Sie als Erfolg?
Neubauer
Die Kohle liegt ja noch im Boden, das ist entscheidend. Viel davon wird noch Jahre dort bleiben, so schnell lässt sich das gar nicht abbaggern. Und: Unser Protest wurde weltweit unterstützt, sogar in der japanischen U-Bahn liefen die Bilder. Wir haben Geschichte geschrieben mit einer Gesellschaft, die klimafeindlicher Politik einen Preis gibt. Jahrzehntelang war es für politische Entscheidungsträger:innen im Zweifel immer die billigere Option, für Profitinteressen zu stimmen. Das konnten wir gesellschaftlich kippen. Man wird jetzt Entscheidungen anders bewerten und wird sich fragen: Wollen wir ein zweites Lützerath?
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Neubauer
Ja. Die Verhandlungen zum Ausbau von Autobahnen sind vorerst gescheitert, weil die Grünen gesagt haben: Wir lassen es nicht zu. Sie wissen ganz genau, es gibt eine Zivilgesellschaft, die ist richtig auf Zack. Wir haben in Lützerath ökologisches Kapital aufgebaut in Form von einer klimabewegten Zivilgesellschaft, die gezeigt hat, wozu sie in der Lage ist.
Die Klimabewegung steht immer wieder im Zentrum von Shitstorms
Neubauer
Ein großes Problem ist, und das ist wirklich brandgefährlich, dass viel von dem Hass gegen uns politisch befeuert wird. Diese politischen Kräfte kommen hauptsächlich von konservativer Seite. Sie erteilen damit den Angriffen auf uns eine Art Legitimation. Die Konsequenz ist, dass wir Aktivisten uns immer weniger sicher fühlen können in unserem Kampf um die Sicherheit. Denn darum geht es uns ja: dass die Menschen sicher sein können vor Klimakatastrophen-auch wenn sie das Klima überhaupt nicht interessiert.
Auch Sie als Person sind immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Wie gehen Sie damit um?
Neubauer
Na ja, ich habe genug anderes zu tun. Deswegen ist das etwas, womit ich mich nicht viel beschäftige. Ich finde es aber natürlich ganz problematisch: "Hass im Internet" ist eine glorifizierte Aussage. Hass ist immer auch in der realen Welt, er legt sich auf die Herzen der Menschen. Er nimmt einen ein. Wer im Internet angefeindet wird, erlebt ganz real in seinem Leben die Konsequenzen davon. Wir haben ein großes Problem, was die Misogynie im Netz betrifft, den mangelnden Schutz für Frauen und Minderheiten. Das sind alles große strukturelle Fragen, wo ich ganz, ganz viel Handlungsbedarf sehe. Ich bin aber jeden Tag umgeben von unglaublich vielen Menschen, die sich mit allem, was sie haben oder auch meinetwegen nur zwei Stunden in der Woche für gute Sachen einsetzen. Das heißt, ich habe überhaupt keinen Grund dafür, anzunehmen, dass Menschen kategorisch schlecht sind oder anderen was Böses wollen. Was in meinem Leben vielmehr eine Rolle spielt, sind Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft, die für sich feststellen: Oh cool, ich kann was tun, ich kann mich einbringen.
Ihre Beziehung zu dem TV-Journalisten Louis Klamroth wird derzeit deutschlandweit diskutiert. Ihrem Partner wird vorgeworfen, durch die Beziehung mit Ihnen Klimathemen nicht mehr objektiv aufbereiten zu können. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Neubauer
Ich habe zu meinem Privatleben nichts zu sagen.
Wie problematisch ist es denn, wenn Journalismus und Aktivismus sich nahe kommen?
Neubauer
Dazu habe ich nichts zu sagen.
Den Klimaaktivisten wird häufig Alarmismus vorgeworfen. Ist es möglicherweise kontraproduktiv, immer wieder eine Apokalypse heraufzubeschwören?
Neubauer
Schon die Wortwahl ist ein Teil des Problems. Die Apokalypse wird nicht beschworen, sondern sie ist wissenschaftlich prognostiziert. Das ist ein großer Unterschied. Es ist bequem, den Klimaaktivist:innen Fanatismus zu unterstellen, nur um sich in der Gewissheit zu wiegen, dass man sich selbst nicht kümmern muss. Dabei spricht die Wirklichkeit für sich. Die Katastrophen überschlagen sich. Dafür muss man gar nicht nach auf das Horn von Afrika gucken, wo die Menschen gerade hungern, sondern es reicht, wenn man sich rund um Weihnachten die grünen Skihänge in Österreich angeschaut hat.
Der nächste weltweite Klimastreik findet am 3. März statt. Während Corona hat die Teilnehmerzahl bei den Demos stark gelitten. Haben Sie und Greta Thunberg bei Ihrem letzten Treffen in Davos vielleicht Pläne ausgeheckt, wie Sie die Leute wieder mobilisieren können?
Neubauer
Im vergangenen September waren in Deutschland 300.000 Menschen beim Klimastreik auf den Straßen. Wir haben akut keine Mobilisierungsprobleme. Das Dramatische ist ja, dass die Streiks überhaupt noch notwendig sind. Es ist ja nicht so, als würden wir auf die Straße gehen, weil wir einen Wunschzettel von der Klimabewegung vorstellen wollen, sondern weil wir Regierungen auffordern, ihre völkerrechtlich bindenden Klimaversprechen einzuhalten. Die eingehalten werden könnten, wenn man wollte. Es gäbe ja auch dafür die Gelder, die Technologien, die Möglichkeiten, die Konzepte. Daran liegt es ja nicht. Es liegt nur an der Bereitschaft von Regierung und Entscheidungsträger:innen, entsprechend Prioritäten zu setzen.
Von der Wissenschaft haben wir kürzlich gehört, das 1,5-Grad-Ziel sei nicht mehr zu schaffen. Wie optimistisch sind Sie, dass wir die Auswirkungen der Erderwärmung noch einigermaßen begrenzen können?
Neubauer
Das liegt nicht an meinem persönlichen Optimismus und Pessimismus, sondern an dem, was wir tun. Ich verstehe mich da mehr als Possibilistin. Wie wir sehen, ist fast alles möglich. Dafür müssen wir aber aufstehen und aktiv werden. Ich würde sehr dafür werben, dass wir Klimaschutzfragen weniger als Glaubensfragen begreifen, sondern als Fragen der persönlichen Bereitschaft, einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass schlimme Katastrophen verhindert werden.
In der Klimadebatte geht es häufig um Verzicht. Das schreckt viele ab.
Neubauer
Dabei geht es vielmehr darum, dass so wahnsinnig viel zu gewinnen ist. Die allermeisten Klimaschutzmaßnahmen wären auch ohne Klimakrise sinnvoll. Wenn man daran denkt, dass Städte leiser, ruhiger und sicherer werden, dass der Verkehr entschleunigt wird, dass Kinder sicherer auf den Straßen sein können, dass Energieversorgung nicht in den Händen von Megakonzernen steckt, sondern dezentral auf Gemeindeebene organisiert wird.
Ihre Großmutter ist seit Langem Umweltaktivistin, ihre Mutter war in der Anti-Atomkraft-Bewegung aktiv. Wurde Ihnen der Aktivismus sozusagen in die Wiege gelegt?
Neubauer
Ich glaube sicherlich, dass ich viel mitbekommen habe. Im Sinne eines persönlichen Ernstnehmens. Aktivismus heißt ja letztendlich nur, dass man versteht: Ich bin der Welt nicht egal, und deswegen kann mir die Welt auch nicht egal sein. Aktivismus heißt: Ich nehme mich wichtig. Als Einzelperson, als Teil dieser Gesellschaft, die eine Stimme hat. Ich bin aber auch dann Aktivistin, wenn ich gar nichts mache. Dann bin ich eine Aktivistin für das Weiter-so, für mehr fossile Zerstörung, für die Ignoranz. Das ist etwas, was wir sicherlich zu Hause besprochen haben. Aber am Ende des Tages geht es darum, was wir daraus machen. Das kann einem niemand abnehmen.

Gegen die Ohnmacht

Luisa Neubauer, Dagmar Reemtsma

Tropen Verlag

240 S., EUR 25,50

Dies ist die gekürzte Fassung der aktuellen Tauwetter-Folge

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.