profil-Morgenpost

Achtung, Kinder!

Wie Eltern die Warnsignale erkennen, dass der Nachwuchs von der Spur kommt. Und was die Politik dringend tun muss.

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Guten Morgen!

Carina ist noch keine 16 und hat schon eine harte Biografie absolviert: sechs Mal die Schule abgebrochen, auf der Straße gelebt. Sie fügte sich vor allem während des Lockdowns Selbstverletzungen an den Armen zu – auch, weil sie hoffte, dadurch auf der Linzer Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen zu werden. Sie wurde jedoch nur medizinisch versorgt und danach wieder weggeschickt. Ihr Fall sei nicht akut genug. "Muss ich mich umbringen, damit ihr mich endlich aufnehmt?" schrie sie. Ohne Konsequenzen.

Carina ist eine von vielen Jugendlichen, mit denen Edith Meinhart und ich für die aktuelle Cover-Geschichte "Rettet die Kinder!" gesprochen haben. Die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche sind weitaus massiver, als befürchtet, wie viele Studien beweisen: Bei den Kleinkindern stiegen die Angststörungen, bei den Jugendlichen wuchs die Häufigkeit suizidaler Gedanken auf 16 Prozent.

"Wir waren so überbelegt, dass es zu einer Art Triage kam"

Paul Plener, Chef der Kinderpsychiatrie, der seit Jahren auf den prekären Versorgungszustand aufmerksam macht: "Wir waren so überbelegt, dass es nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Kinder- und Jugendpsychiatrien zu einer Art Triage kam."

Kinder haben keine Lobby und bringen auch keine Wählerstimmen – anders kann man sich nicht erklären, warum der Staat, respektive das Gesundheitssystem, sich im Zuge der Pandemie nicht auf die nachhaltigen seelischen Auswirkungen vorbereitet hat. Über die massiven Versorgungsdefizite schreiben wir in profil seit vielen Jahren. Plener ist in einem Beratungsstab rund um Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein. Es bleibt zu hoffen, dass Bewegung in die Problematik kommt.

Weil wir in unseren Geschichten nicht nur Missstände offen legen wollen, sondern unseren Leserinnen und Lesern lösungsorientiert entgegentreten wollen, fragten wir zahlreiche Experten, wie Eltern Warnsignale erkennen und wo sie niederschwellige Unterstützungsangebote finden können. Es ist keine Schande, wenn man nicht mehr weiter weiß. Denn die 15 Monate in Isolation und Unsicherheit haben nicht nur in der Psyche der Kinder harte Kerben hinterlassen.

Ein Mädchen, dem nicht mehr geholfen werden kann, ist die 13-jährige Leonie. Ihre brutale Ermordung dominierte in der vergangenen Woche Österreichs Medien. Edith Meinhart, seit Jahren mit Asyl-Problematiken vertraut und mit vielen Kontakten in der Szene, gelang es als einziger Journalistin jenen Zeugen zu treffen, dessen Hinweise zu den mutmaßlichen afghanischen Tätern führten. Für die kommende Ausgabe arbeitet sie an einem Text, in dem sie die Tragödie der Leonie noch einmal in all ihren Facetten beleuchtet. Meinharts These: "Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte, sondern in beiden Extremen."

Spannende sowie erhellende Lektüre wünscht

Angelika Hager

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Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort