Eine Frau für die brutalsten Härtefälle

Astrid Wagner: „Fritzl träumt von Ziegen”

Josef Fritzl bekommt von ihr regelmäßig Besuch in der Haft, mit Jack Unterweger verband sie eine Liebesgeschichte. Sadisten, Totschläger, Kindsmörderinnen und Vergewaltiger sind die Klientel von Astrid Wagner, Österreichs exzentrischster Strafverteidigerin.

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Von jedem noch so grauenhaften Täter, sagt Astrid Wagner, der man ihre 60 Jahre überhaupt nicht ansieht, könne sie sich „was mitnehmen, etwas für ihr eigenes Leben lernen“.

Aber was könnte das bei einem Menschen sein, der fast ein Vierteljahrhundert über seine Tochter in einem Kellerverlies seines Amstettner Wohnhauses gefangen hielt, sie unablässig vergewaltigte und mit ihr sieben Kinder zeugte?

„Der Josef Fritzl ist mit seinen 88 Jahren und nach 15 Jahren Haft bis heute Optimist“, ist sie nach vielen Besuchen in der Strafanstalt Stein überzeugt, „das ist sein Überlebenselixier. Er denkt durchwegs positiv. Er träumt von Ziegen und einem Stück Land mit Zuganbindung, denn Führerschein wird er keinen mehr kriegen. Und von einem Leben in der Natur. Partnerin will er auch keine mehr, nur einen Hund, am liebsten einen Dalmatiner.“ Dass irgendjemand eine Beziehung mit dem „Kellermonster“ (wie Fritzl in der internationalen Presse genannt wurde) eingehen möchte, scheint sowieso völlig absurd und wider alle Logik.

Die Hoffnung, dass Fritzl je seine Zelle in Stein gegen die Freiheit eintauschen wird können, widerspricht ebenso jeder Ratio. Aber Logik ist in menschlichen Abgründen oft eine vernachlässigbare Größe. Und außerdem lebe Fritzl inzwischen in seiner eigenen Welt, mit Demenz-Anzeichen, manchmal sei er auch der Meinung, „dass die Menschen aus dem Fernseher zu ihm sprechen und ihm freudig zuwinken, weil er so beliebt ist.“ Bei Josef Fritzl, der seinen Namen inzwischen ändern ließ, war der Fanpost-Zustrom von rettungsbeseelten Frauen anfangs stark, inzwischen ist er gänzlich versickert. Tatsächlich überhäufen manche Frauen selbst die abartigsten Täter in der Haft mit Liebesbriefen.

Die psychologischen Motive für diese Hybristophilie, so der Fachbegriff für diese beklemmende Neigung, hatte der mit Fanpost (inklusive Nacktfotos und Bastelarbeiten) überhäufte Jack Unterweger seinem Psychiater Reinhard Haller einst so erklärt: Ein Drittel dieser Verehrerinnen stelle der Typ Hofratswitwe, die beseelt davon sei, sich mit einem, so das Unterweger-Selbstverständnis, „archaischen Urmann“ zu vereinigen; die andere Gruppe genieße die Macht und Kontrolle über den Gefangenen, und der Rest sei vom Retterinnen-Syndrom getragen und der tiefen Überzeugung, dass dem Objekt der Begierde eigentlich Unrecht angetan werde. Astrid Wagner zählte bei Jack Unterweger als junge Juristin Anfang der 1990er-Jahre zur dritten Gruppe.

Ich war damals völlig überzeugt davon, dass es meine Mission war, Jack Unterweger zu retten.

Astrid Wagner

über ihre Haft-Romanze mit dem mehrfach Mörder Unterweger.

Im Juni 2024 wird sich Unterwegers Selbstmord im Gefängnis zum 30. Mal jähren; aus diesem Anlass wird Wagner auch ein neues Buch herausgeben. Ihre alte Unterweger-und-ich-Erzählung mit dem aus später Selbsterkenntnis entstandenen Titel „Verblendet“ ist inzwischen verboten, weil Unterwegers damaliger Anwalt Georg Zanger auf den Besitz der Rechte an den Briefen pocht. Bis heute geistert der Mythos Unterweger durch Österreichs Gedächtnis, Filme und ein Musical mit John Malkovich widmeten sich der Vita des von den Medien zu einer Art mörderischem Popstar hochstilisierten Gefängnis-Literaten. Der 1975 wegen eines qualvollen Mordes an einer jungen Frau Verurteilte, der während seiner 16 Jahre Haft in Stein den autobiografischen Roman „Fegefeuer“ schrieb, avancierte nach seiner vorzeitigen Entlassung zum schön-schaurigen Resozialisierungsdarling der Wiener Party- und Kultur-Schickeria. Die Sozialromantik zerschellte, als er unter schwerwiegendem Verdacht stand, mindestens neun weitere Sexarbeiterinnen erdrosselt zu haben und nach einer spektakulären Flucht in die USA 1992 wieder in Graz inhaftiert wurde. Damals schrieb ihm Wagner einen Brief, dass sie sich „als kritische Juristin“ nicht der medialen Vorverurteilung anschließen möchte. Das war der Anfang von 200 Besuchen, unzähligen Briefen und einem einzigen Kuss, den sie ihm nach der Verkündigung des Urteils (lebenslang) auf die Lippen drückte. Unterweger erhängte sich in der Nacht nach seiner Verurteilung wegen neunfachen Mordes am 29. Juni 1994 in seiner Zelle mit einer Schlinge, gefertigt aus der Kordel seiner Jogginghose und einem Schuhband. Angeblich mit dem gleichen Knoten, mit dem er alle seine Opfer erdrosselt hatte: „Doch davon gibt es keinerlei Aufzeichnungen, die das beweisen.“

Wagner ist, was Unterweger betrifft, noch immer im fast trotzigen Verteidigungsmodus: „Der Jack und ich waren ja quasi Nachbarn, ich hab mit meinem damaligen Freund, auch ein ziemlich schlimmer Bub, eine Gasse weiter weg in Graz von der Justizanstalt gewohnt. Den habe ich dann verlassen. Denn ich wollte dem Jack ewige Treue schwören. Ich war damals völlig überzeugt davon, dass es meine Mission war, ihn zu retten. Na ja, ich war eben ein unverbesserlich romantischer Mensch.“

Wagner ist offen und frei von jedem Schamgefühl, was die intimen Details dieser schrägen Romanze betrifft. In Ermangelung physischer Kontaktmöglichkeiten haben sie einander „mit Bändern zusammengebundene Schamhaare“, in Wäschepaketen versteckt, geschickt: „Heute wäre so etwas gar nicht mehr möglich, da wird alles durchsucht.“ In ihren Briefen an ihn schwärmte sie teenagerpathetisch: „Ich liebe alles an dir … deine kräftigen Hände, den süßen kleinen Arsch, deine wunderschönen Augen, deine Frechheiten …“ Er nannte sie „Butzl“ und bat sie, „ihre Träume auszuleben – für mich. Noch ist nicht öffentlich, was zwischen uns entstand, und so soll es auch bleiben, wenn es zum negativen Finale kommt.“

Ob sie während jener 200 Besuche über die brutalen Taten je gesprochen haben? Nein, sein Mantra war immer „Ich bin unschuldig“, auch der allererste Mord aus dem Jahr 1974 sei ein „totales Tabuthema“ gewesen: „Da hätte ich nicht anstreifen dürfen.“

Das beharrliche Leugnen von Taten trotz erdrückender Beweislast ist ein Phänomen, das Wagner bei ihren Klienten öfter unterkommt: „ Es wird so insistierend gelogen, bis sie es selber glauben. Wahrscheinlich hält man es anders gar nicht aus. Oder es wird verdrängt, wie bei der Mutter, die kürzlich ihre Kinder ertränkte. Sie blendet die beiden Mädchen in unseren Gesprächen völlig aus und spricht von ganz anderen Dingen. Meine Überzeugung ist, dass sie nicht zurechnungsfähig war.“

Dass Wagner in der Branche als schillernd, exzentrisch oder auch völlig abseits „des Mainstreams“, wie sie es nennt, gilt, hat nicht nur mit ihren Härtefällen, sondern auch mit ihren lasziven Selbstinszenierungen in den sozialen Medien zu tun. Miniröcke und Spitzentops trägt die sich ihrer Attraktivität durchaus bewusste Steirerin auch manchmal im Gerichtssaal; auf Instagram zeigt sie sich in einer Seitenansicht oben ohne in der Lobau. In der Branche erzählt man sich auch von Beschwerden bei der Rechtsanwaltskammer, die wegen solcher Auftritte oder eines zu harschen Tonfalls vor Gericht anhängig sind. Doch weder der Pressesprecher der Rechtsanwaltskammer noch Wagner selbst können diese Disziplinarverfahren kommentieren, da der Standeskodex per Gesetz auf beiden Seiten Schweigen vorsieht. Dass ihre offensiv weiblichen Fotoinszenierungen Anstoß erregen könnten, regt Astrid Wagner jetzt sehr auf: „Ich zeige mich, wie ich will. Würde das irgendjemand aufregen, wenn ein Mann mit nacktem, oft nicht einmal sehr ästhetischem Oberkörper posierte? Und die tun das dauernd. Ich betrachte diese Freiheit als eine Form der Emanzipation, für die wir Frauen lange gekämpft haben.“

Überdimensionale Porträts von Fritzl, Unterweger, dem „See-Killer“ Alfred Ulrich, der die Leichenteile einer ungarischen Geheimprostituierten teils im Neusiedler See versenkte, teils portioniert und faschiert einfror, dem Underground-Literaten Hermann Schürrer und der „Eislady“ Estibaliz Carranza hängen, fast wie eine Trophäen-Schau, an den Wänden ihrer verwinkelten Kanzlei in einem ehemaligen Kloster in der Wiener Himmelpfortgasse. Abschreckend wirkt diese Galerie des Grauens auf ihre Klientel offenbar nicht. Das Telefon läutet ununterbrochen; bis Ende Oktober ist der Terminkalender voll. Drei Frauen sitzen mit resignativer Geduld im Wartezimmer. Carranza hat Wagner zwar nicht verteidigt, allerdings wollte sie die Doppelmörderin, die die Körperteile ihrer Opfer einbetoniert hatte, dabei unterstützen, einen Mithäftling in einem forensischen Zentrum in Oberösterreich heiraten zu können. Doch die „Eislady“ verlor bald „aus moralischen Gründen“ das Interesse an dem Mann, als ruchbar wurde, dass der nicht nur Gewaltdelikte, sondern auch den Konsum von pornografischem Material von Minderjährigen auf seiner Delikte-Liste stehen hatte: „Mit so einem, hat sie mir erklärt, wolle sie nichts zu tun haben.“ Zusatz: „Die Carranza hat im Gefängnis immer die perfekte Frisur und perfekt manikürte Nägel, jeder Nagel mit einer unterschiedlichen Farbe bemalt. Na ja, die hat ja auch jede Menge Zeit.“

Auch bei Fritzl hat Wagner jetzt, wie einst beim „Jack“, eine Art Mission: Sie will ihn aus dem Maßnahmenvollzug in die normale Haft verlegen lassen: „Denn aus der Maßnahme wird er nie rauskommen, obwohl er dort schon in einer Wohngruppe lebt. Aber als normaler Häftling besteht nach 20 Jahren eine kleine Chance.“ Zuerst wurde ihr Antrag abgelehnt, nach ihrer Beschwerde wurde ihm dann stattgegeben, allerdings mit der Auflage, dass ein neues psychiatrisches Gutachten erstellt werden muss.

Wie kann man sich so eine Wohngruppe unter Gewaltkriminellen vorstellen? Jeder in der Truppe habe seine eigene Zelle, aber gekocht wird gemeinsam. Fritzl sei immer sehr bedacht darauf, nicht zuzunehmen, und beschwere sich manchmal darüber, dass der „See-Killer“, den Wagner einst vertreten hat, „viel zu viele Schnitzel“ mache. Der Ulrich fühle sich übrigens pudelwohl „am Felsen“, so der Jargon für Stein, den er nach 30 Jahren im Maßnahmenvollzug „endlich“ wieder beziehen konnte. Der Mann, der in Deutschland auch gerne als „Gulaschmörder“ apostrophiert wurde, hat auch schon zwei Kochbücher verfasst. Mit von der Partie sei auch angeblich manchmal Werner Kniesek, dessen Ausrottung einer dreiköpfigen Familie während eines Hafturlaubs in St. Pölten 1980 die Schlagzeilen bestimmte. Der habe angeblich ein besonderes Talent für die Zubereitung von Apfelstrudel. In seiner Zelle pflanzt Fritzl Tomaten und Paprika an und weist den bereitgestellten Rollator weit von sich. Er möchte nicht als gebrechlich wahrgenommen werden.

Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn Astrid Wagner über diesen Mann spricht, dessen mit eiskalter logistischer Präzision durchgezogenes Doppelleben 2008 erstmals in einen unvorstellbaren Abgrund blicken ließ. Sie erweckt tatsächlich den Anschein, als ob es sich bei Fritzl um einen schrulligen Opa in einem Pflegeheim handle, nach dem man jetzt einfach öfter sehen müsse, weil er manchmal nicht genug Wasser trinkt. Vielleicht hält man den täglichen Umgang mit Menschen, die ihre angestaute Wut in Gewalt und Sadismus entluden, gar nicht anders aus, als das Abnorme in die Normalität zu rücken. „Es sind immer noch Menschen und keine Monstren“, erklärt Astrid Wagner, nachdem sie sich in Windeseile für die Fotoaufnahmen geschminkt hat, „in der Regel sehr verwundete Menschen in Ausnahmesituationen, und die meisten von ihnen hatte eine schreckliche Kindheit.“

Nach mehr als 20 Jahren als Strafverteidigerin hat sie kein Problem mehr, die brutalen Geschichten in ihren Aktenordnern zu lassen: „Ich kann nicht behaupten, dass mich das sonderlich belastet.“ Obduktionsberichte lese sie inzwischen „wie andere Zeitungen“.

Zwischen den erschütternden Fällen von hohem Medieninteresse wie jüngst etwa der Frau, die ihre beiden Töchter in ihrem Pool ertränkte, oder jener Mutter, die ihren zwölfjährigen Sohn in einer Hundebox sadistisch quälte, macht die gebürtige Steirerin auch viel „nicht so Interessantes, schließlich muss man ja auch von etwas leben“. Über die 32-jährige Hundebox-Mutter, die, manipuliert durch die „Befehle“ einer älteren Frau, ihr Kind unterernährt und verletzt in einer Kiste vegetieren ließ, diktierte Wagner den Medien, dass diese Frau „keine Horrormutter“ sei, in Wahrheit „ihr Kind über alles liebt“ und eben „überfordert“ gewesen sei. Im Gespräch sagt sie, dass die Frau eigentlich „ein armes Hascherl“ sei: „Wahrscheinlich hat sie plötzlich in sich diese sadistische Seite entdeckt und hat eine Freud’ damit gehabt.“ Sie verteidige aber prinzipiell nie die Taten, sondern immer nur die Täter, und versuche, in die Psyche des jeweiligen Klienten einzutauchen. Auf der Seite der Opfer findet man Wagner eher selten, zuletzt bei der Familie der Krankenschwester, die durch einen Kopfschuss des „Bierwirts“ starb.

Eigentlich wollte die Tochter aus gehobenem Mittelstand ja Meeresforscherin werden, weil in den Tiefen des Ozeans die seltsamsten Fische zu entdecken seien, aber das Aufspüren „dieser Tiere namens Mensch“ sei mindestens genauso spannend.

Den Kontakt mit Fritzl hat sie übrigens dem „See-Killer“ zu verdanken, der sie dem Fritzl empfahl, als dieser nach einer Vertrauensperson für seine Memoiren suchte. Es ist etwas mehr als ein Jahr her, dass ein Paket mit einem mit Schreibmaschine verfassten Manuskript von 220 Seiten und der Bitte, ihm bei der Veröffentlichung zu helfen, bei ihr in der Kanzlei eintraf. Der Bitte ist sie nicht nachgekommen, allerdings hat sie in bewährter Geschäftstüchtigkeit selbst ein Buch, das nur auf Amazon zu bestellen ist, gezimmert. In „Die Abgründe des Josef F.“ erzählt Wagner von ihren Begegnungen mit Herrn F. und zitiert „stark bearbeitet“ aus diesen Erinnerungen. Die Gräueltaten selbst sind ausgeklammert, beziehungsweise hat Wagner sie nicht zitiert, weil dies jedem Opferschutz widersprechen würde. Fritzl prahlt in seinen Aufzeichnungen vor allem mit Sexabenteuern auf Dienstreisen; sein grausames Doppelleben läuft unter dem Terminus „dunkles Geheimnis“; die anfängliche Idee zum Kellergefängnis beschreibt er pathetisch „als kleines, verlorenes Blatt, das über den Asphalt der Straße wirbelte“.

Gab es irgendwann während der Gespräche mit Fritzl auch Momente der Reue? Wagner schüttelt den Kopf: „Er ist noch immer der Meinung, dass er die Familie eigentlich schützen wollte. Denn was aus Kindern wird, die in Heimen aufgewachsen sind, könne er tagtäglich im Maßnahmenvollzug erleben. Kinder gehören seiner Ansicht nach zur Familie. Davon ist er überzeugt.“ Ob das der blanke Zynismus oder die fortgeschrittene Realitätsverschiebung des Herrn F. ist – man weiß es einfach nicht.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort