Der gefeuerte „Bild”-Macher wettert in seiner Meinungsshow auf dem rechtspopulistischen Medienportal Nius gegen „Eliten”, Grüne, „Klimalügen” und alles, was „woke” ist.
Angriff von rechts

Wie rechtspopulistische Medienportale wie Nius gezielt auf „Eliten“-Jagd gehen

Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt inszeniert sich auf der rechtspopulistischen Plattform „Nius“ als Robin Hood gegen „Eliten“. Und zielt ungebremst und skrupellos auf ideologische Gegner.

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Krawatte, Anzug, schmale Lippen, ein an hysterischer Aggression schrammendes Stimmtimbre. So präsentiert sich der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt in seiner Online-Show „Achtung, Reichelt“, in der der „Stimme der Mehrheit“, so die Message-Definition, eine Stimme gegeben werden soll. Und die gehört vor allem Julian Reichelt und erklingt im zackigen Stakkato, um der „Hochrisikoideologie“ der Grünen mit „ihren 70 Geschlechtern, aber nur einer Meinung“, der „selbstgefälligen Berlin-Bubble mit ihren Hauptstadt-Journalisten“ und „den verlogenen Eliten“ Mores zu lehren.

Es ist inzwischen gesichert, dass die gezielte Attacke auf die Glaubwürdigkeit der renommierten österreichischen Journalistin und stellvertretenden Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Alexandra Föderl-Schmid, in Form der Plagiatsvorwürfe gegen ihre Dissertation und Teile ihrer journalistischen Arbeit, von Julian Reichelt ausging und von „Nius“ bezahlt wurde. „Nius“ ist ein Online-Medium für subjektiv verkürzte Nachrichten und diverse „Meinungsshows“ (so das NDR-Medienmagazin „Zapp“), das im vergangenen Sommer online ging und aus dem YouTube-Kanal Reichelts entstanden ist. Die Mission der etwa 30-köpfigen Mannschaft, die weit über dem Branchenschnitt entlohnt wird: „Etwas bewegen zu wollen“, so ein ehemaliger Mitarbeiter zu profil, der anonym bleiben will, „was die Gemengelage des vorrangig linken Mainstream im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgleichen soll“.

Online-Medien dieser Art, die sich lautstark und in unterschiedlichen Schattierungen auf der rechten Ideologie-Farbkarte (also zwischen streng konservativ und extrem rechts) als Retter der Volksmeinung gegen den links-liberalen Mainstream der „Systemmedien“ inszenieren, sprießen inzwischen zahlreich im Netz. Auf deutschen Portalen wie „Apollo News“, „The Daily Wire+“ oder „Tichys Einblick“ wird in unterschiedlicher Drastik gegen die Einwanderungspolitik, den drohendenBevölkerungsaustausch „Klimalügen“ und die „Woke-Ideologen“ gewettert. In Österreich beatmen Online-Portale wie „unzensuriert“, „Info Direkt“ oder der Online-Sender AUF1 die FPÖ-Klientel, indem sieParallelrealitäten schaffen, wo Verschwörungsmythen und Elitenhass ungefiltert getrommelt werden und so eine Art isolierte Meinungsautokratie entsteht.„Gegen Heuchelei, Scheinheiligkeit und Propaganda“, lautet auch Reichelts Mantra, der sich aus dem rechten Lager auch immer wieder illustre Gäste fischt. Stamm-besucherin der Sendung ist beispielsweise Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, die, „sobald man ihr ein Mikrofon vor die Nase hält, die verrücktesten Dinge sagt“, so „Spiegel“-Redakteur Anton Rainer. Verrückt ist tatsächlich sehr milde ausgedrückt.

Auf „Achtung, Reichelt“ bezeichnet sie die Fristenlösung als „Sakrament der Atheisten“ und sieht mit „der Zerstörung des Christentums den Beginn einer totalitären, bösen Herrschaft“.

Reichelts Lieblingsfeinde sind vor allem die Grünen, die, so analysierte ein Datenjournalist des TV-Magazins „Zapp“, mit Abstand die am häufigsten thematisierte Partei sind, wobei SPD und AfD nur marginal vorkommen. Die Stammklientel von Reichelt bestehe, so ein Insider, vor allem aus „Afd-Anhängern und AfD-light gepolten Zuschauern“: „Denn es ist auffällig, dass Kritik an Putin und dem wachsenden Antisemitismus kaum mehr vorkommt, Reichelt will sich nicht sein potenzielles Stammpublikum vergrätzen.“

Finanziert wird „Nius“ von dem Multimilliardär und Vorsitzenden des CDU-Wirtschaftsrats Frank Gotthardt, Besitzer verschiedener regionaler Medien, des Eishockey-Vereins „Kölner Haie“ aber vor allem der an der Börse mit vier Milliarden Euro bewerteten CompuGroup, einem weltweiten Unternehmen, das Infotechnologie in der Gesundheitsversorgung anbietet. Für einen wie Gotthardt seien die Kosten von „Nius“ quasi „Peanuts.“ Aber was motiviert einen CDU-Treuen wie diesen „verhaltensunauffälligen“ Milliardär, dessen Ziel es ist, seiner Partei einen rechtskonservativen Schub zu geben, ein extrem hetzerisches, marktschreierisches, rechtspopulistisches Medium zu finanzieren, in dem den Moderatoren, allen voran dem „Achtung, Reichelt!“-Ordnungskläffer, überdimensional viel Schaum vom Mund rinnt? Gotthardt selbst gibt zu seiner Motivation keine Interviews, eigentlich gibt er gar keine Interviews. Weder „Nius“ noch Julian Reichelt selbst reagierten auf profil-Anfragen bezüglich einer Stellungnahme.

Einige offene Rechnungen

„Ursprünglich“, so der Informant, „wollte man ‚Nius‘ in etwa politisch auf die Linie der ‚Neuen Zürcher Zeitung‘ bringen, also um einiges konservativer als die CDU jetzt aufgestellt ist, aber sich klar vom Rechtsextremismus abgrenzt.“ Tatsächlich sei die gesamte Redaktion anfangs „ziemlich branchenüblich ihrer Arbeit nachgegangen. Wir sind nicht jeden Tag händereibend angetreten und haben uns gefragt: Was können wir heute richtig Böses tun?“ Es sei auch den leitenden Köpfen nachdrücklich versichert worden, dass Reichelt nur einer von vielen in der Truppe sei und nicht der maßgebliche Steuermann vulgo Chefredakteur. Das sollte sich sehr bald als Irrtum herausstellen: „Die Marke Reichelt überstrahlte sehr bald alles. Eine intelligente, sich im gemäßigten Rahmen bewegenden Recherchearbeit wurde immer unmöglicher.“

Geldgeber Gotthardt ist ein langjähriger Freund und Förderer von Reichelt, der den heute 43-Jährigen nach seinem Rauswurf bei der „Bild“ wegen „Compliance“-Verstößen (Beziehungen mit in einem Abhängigkeitsverhältnis stehenden Mitarbeiterinnen) 2021 quasi auffing. Die Unternehmenskultur innerhalb des Boyclubs der „Bild“-Zeitung verarbeitete der Schriftsteller Benjamin Stuckrad-Barre in seinem brillanten Roman „Noch wach?“. Der Titel bezieht sich auf eine Chat-Nachricht an eine Praktikantin aus der Chefetage.

Maßgeblich beteiligt an den Recherchen, die Reichelt 2021 endgültig zu Fall brachten (die Sache zog sich über ein halbes Jahr) waren neben dem „Spiegel“ (mit der flapsigen Headline „Vögeln, fördern, feuern“) auch die „Süddeutsche Zeitung“.

Reichelt habe mit der „Süddeutschen“ – und Föderl-Schmid ist deren stellvertretende Chefredakteurin – „einige Rechnungen offen“, so Jan Fleischhauer, langjähriger „Spiegel“-Redakteur und Autor der Online-Kolumne „Der schwarze Kanal,“, im „profil“-Interview: „Schließlich hat sich die „Süddeutsche“ im Zuge der Belästigungsaffäre gegen Reichelt ziemlich aus dem Fenster gehängt. Wobei man vielleicht anführen muss, dass die Hauptbelastungszeugin, wie sich dann herausstellte, in wesentlichen Punkten nicht die Wahrheit gesagt hat. Der Wunsch nach sexuellen Begegnungen ging nicht von Reichelt, sondern oft von ihr aus.“ Fleischhauer, der aktuell bei „Focus“ kolumnisiert, sollte eigentlich auf „Nius“ ein eigenes Talkshowformat bespielen, stieg aber aus, ohne dass je eine Sendung online ging. Grund für die vorzeitige Beendigung seiner Tätigkeit: „Mir wurde gesagt, dass Julian Reichelt nur eine Stimme von vielen bei ‚Nius‘ sein wird. Dann ging die Site online, nachdem ich unterschrieben hatte, und es stellte sich heraus, dass er dort der eigentliche Spiritus Rector ist. Wie ich gelesen habe, ist er inzwischen sogar zum Geschäftsführer aufgestiegen. Da bin ich nicht dabei. Das ist nicht mein Journalismus.“

Die Plagiatsvorwürfe oder auch Plagiatsfragmente, die Alexandra Föderl-Schmid beruflich demontieren sollten, findet Jan Fleischhauer „durchwegs lächerlich und unnötig“: „Jeder Mensch, der medienversiert ist, weiß, dass man in der Hektik einer Tageszeitung auch mal vergisst, überall korrekte Quellenangaben zu machen.“

Den wahren Hintergrund für die bezahlte Attacke gegen Föderl-Schmid sieht der Ex-„Nius“-Informant allerdings in zwei Enthüllungen der „Süddeutschen Zeitung“: „Der Skandal um das antisemitische Flugblatt von Hubert Aiwanger (stellvertretender bayerischer Ministerpräsident, Anm.) und die inzwischen entkräfteten Plagiatsvorwürfe gegen die Dissertation der AfD-Chefin Alice Weidel.“ Da wollte man „mutmaßlich“ das Gegenexempel statuieren: Nach dem Motto „Wenn ihr euch als Hüter der Moral inszeniert, werden wir aufzeigen, dass auch in euren Reihen unsauber gearbeitet wird.“

Noch ist „Nius“ kein Massenmedium, 440.000 Abonnenten hat „Achtung, Reichelt“, aber unter den deutschen Alternativmedien, die zwischen Konservativismus und Krawall oszillieren, ist die Marke sicher der durchschlagkräftigste Bewerber.

Dass Julian Reichelt ein lebendes Plagiat des Ex-Frontmanns des rechtspopulistischen Senders Fox News Tucker Carlson ist, der gegenwärtig sein eigenes, millionenfach besuchtes Netzwerk betreibt, zeichnete das NDR-Medienmagazin „Zapp“ eindrucksvoll nach: Reichelt kopiert Carlson mit nahezu identen Phrasen und hat auch dessen aufgeregten Krawall-Habitus bis ins kleinste Detail verinnerlicht.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort