Kunsttempelritter

Debatte. Die Wahrheit über Österreichs Biennale-Pavillon in Venedig

Drucken

Schriftgröße

Jedes zweite Jahr, noch ehe im Juni die prächtigen Ausstellungsorte der Biennale in Venedig eröffnen, diskutiert die internationale Kunstwelt die immer gleichen zwei Fragen: Ist das Konzept der nationalen Pavillons in einer globalisierten Gegenwart noch gerechtfertigt? Und: Wird die Biennale immer kommerzieller?

Beide Überlegungen sind freilich keineswegs neu, wie der britische Kunsthistoriker Jasper Sharp betont. Er kuratiert den Österreich-Beitrag 2013 und stellt selbst ein treffendes Beispiel dafür dar, wie wenig sich die Kunst noch um nationale Grenzen schert. Sharp erinnert daran, dass in der Geschichte der Biennale immer wieder Künstler in den Pavillons anderer Länder ausstellten – und dass die Biennale bei ihrer Gründung 1895 noch als Verkaufsausstellung konzipiert war.

Systematisch erforscht
Während die Historie des internationalen Großevents zwar bereits gut erforscht ist, hat man sich mit den Details der heimischen Beiträge bis dato nur punktuell befasst. Sharp untersuchte diese nun gemeinsam mit einem Forscherteam erstmals systematisch und wird demnächst die Publikation „Österreich und die Biennale Venedig 1895–2013“ veröffentlichen (Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg; Präsentation: 29. April, 18:30 Uhr, Secession Wien). „Wir haben in über 50 Archiven in Venedig, Wien, London, Berlin, New York und anderen Städten recherchiert“, schildert Sharp den Kraftakt: „Zudem haben wir zahlreiche Privatpersonen kontaktiert.“ So konnte eine Chronologie der Österreich-Beiträge von 1895 bis in die Gegenwart erstellt werden, ein umfassendes Konvolut von Namen, Daten und Dokumenten. Dafür verwendete man freilich nur einen Bruchteil des gefundenen Materials; der Rest wird in einem Archiv aufbewahrt, das dereinst in einer heimischen wissenschaftlichen Institution oder Bibliothek öffentlich zugänglich gemacht werden soll – in welcher, ist allerdings noch nicht klar.

Österreichs erste Biennale-Schritte gestalteten sich nicht besonders großartig. Schon im Jahr der Biennale-Gründung entsandte Österreich Künstler nach Venedig, und wie alle anderen 13 Teilnehmer musste man sich mit einem Raum im Zentralpavillon in den Giardini begnügen. Die damaligen Vertreter der österreichischen Kunst kennt heute kaum mehr jemand – und zwar zu Recht, denn die Donaumonarchie setzte auf Konservatives, leicht Verkäufliches. Dass die Ungarn, die zuvor noch als Teil der Habsburgerreiches ausgestellt hatten, bereits 1909 einen eigenen Pavillon erbauten und damit ein selbstbewusstes Signal der künstlerischen Autonomie setzten, erwies sich zudem als „außenpolitische Image-Katastrophe für Wien, das sich unfähig gezeigt hatte, sich auf Stil und Finanzierung eines von Seiten der Künstler immer wieder geforderten Gebäudes zu einigen“, erläutert der Historiker Philipp Blom in seinem Katalogbeitrag (siehe Interview S. 102). Doch auch danach sollte es noch ein Vierteljahrhundert dauern, bis Österreich endlich seinen eigenen Pavillon eröffnen konnte, jene lichte Architektur im hintersten Winkel der Giardini.

Zwar machte sich der Architekt Josef Hoffmann bereits 1914 Gedanken über einen Österreich-Pavillon, aber danach verzichtete man jahrzehntelang ganz auf eigene nationale Beiträge; 1932 stellte Österreich im deutschen Pavillon aus, der damals noch ein anderes Erscheinungsbild besaß und von den Deutschen in jenem Jahr nicht genutzt wurde. So rettete man sich über die unbefriedigende Situation hinweg.

„Manifest des Ständestaats“
Nach Jahrzehnten sinnloser Gesuche und Bittbriefe sowie zahllosen vergeblichen Bemühungen, Geld für einen Bau einzutreiben, ging 1934 plötzlich alles ganz schnell. Wie der Kunsthistoriker Rainald Franz in seinem Beitrag schildert, wurde Anfang des Jahres eine Rundfunkabgabe beschlossen, die unter anderem der Pavillonerrichtung diente; darauf schrieb man schnell einen Wettbewerb aus, und nur kurze Zeit später konnte das Bauwerk eröffnet werden. Die Geschwindigkeit, mit der das Unternehmen durchgezogen wurde, lasse den Bau als ein „Manifest des Ständestaats“ erscheinen, meint Franz.

Dass ausgerechnet im heimattümelnd-konservativen Ständestaat eine derart moderne Architektur für den Pavillon gewählt wurde, erscheint nur auf den ersten Blick paradox. „Ich denke, dass man im Ständestaat anfänglich funktionalistisch und modern bauen wollte, ähnlich wie im italienischen Faschismus. Darüber hinaus setzte man sich damit bewusst vom Klassizismus und Monumentalismus des Nationalsozialismus ab“, erklärt Franz die Formgebung. Dabei hätte das Gebäude noch weitaus moderner sein können als jenes, das heute alle zwei Jahre den jeweiligen österreichischen Ausstellungsbeitrag beherbergt und gemeinhin als alleiniges Werk des Architekten und Wiener-Werkstätte-Mitbegründers Josef Hoffmann gilt – was die jüngsten Forschungen nun widerlegen. Bei den Recherchen für die Publikation entdeckte man nämlich einen weitaus funktionaleren, schlichteren Entwurf des im Ständestaat viel beschäftigten Architekten Robert Kramreiter. Wie neu entdeckte Pläne zeigen, geht die Struktur des Gebäudes auf dessen Konto. Franz: „Von Kramreiter stammt das Grundlayout des Baus mit seinen beiden Pavillons – als Ausstellungsräume für Malerei und Skulptur – und der zentralen Torsituation. Josef Hoffmann überformte diesen Entwurf dann nur noch, etwa mit den geriffelten Wandflächen.“

Obwohl bekannt war, dass Kramreiter am Pavillon mitgearbeitet hatte, war sein künstlerischer Anteil bis dato falsch eingeschätzt worden. Als besonders absurd erscheint heute, dass der ältere Architekt selbst „seinen“ Bau – der stets als „Hoffmann-Pavillon“ bezeichnet wird – erst Jahre nach dessen Fertigstellung zu Gesicht bekam: Hoffmann war nicht einmal zur Eröffnung angereist. Die Bauleitung hatte Kramreiter übernommen, und beide scheinen einander eher misstrauisch beäugt zu haben. Doch Hoffmann hatte, protegiert von Clemens Holzmeister, dem obersten Architekten des Ständestaats, die mächtigeren Freunde: Es dauerte nicht lange, bis Kramreiters Name vollends verschwand. Wurde er in Zeitungsartikeln beim Bau des Projektes noch genannt, so war schon kurze Zeit später in keinem Schreiben, keinem Bericht mehr die Rede von ihm. „Hoffmann war das Aushängeschild des Ständestaates, der in die von Holzmeister inszenierte kulturelle Selbstdarstellung des Austrofaschismus passte. Kramreiter war sein Konkurrent – so wurde sein Anteil am Pavillon von den entscheidenden Stellen schlicht verschwiegen“, mutmaßt Franz. Dass Hoffmann trotz seiner unrühmlichen Rolle während des Nationalsozialismus anno 1948 zum Österreich-Kommissär berufen wurde, zeugt von jener Amnesie, unter der die Zweite Republik noch über Jahrzehnte hinweg leiden sollte.

Lager für Kulissen
In seiner Künstlerauswahl gab sich Österreich nach Errichtung des modernen Pavillons 1934 weitaus weniger avanciert: So zeigte man vieles von Künstlern, die in der NS-Zeit Karriere machen sollten, etwa von Switbert Lobisser oder Ferdinand Kitt. Nur 1936 wurde der Pavillon noch genutzt; ab 1940 wurde die österreichische, damals eben „ostmärkische“ Kunst folgerichtig im deutschen Pavillon präsentiert und stammte selbstverständlich vorwiegend von regimetreuen Malern und Bildhauern, etwa dem gebürtigen Salzburger Josef Thorak, der zu den von Hitler favorisierten Skulpteuren zählte – kurzum „bedeutenden Künstlern, deren Wesen zutiefst mit der Heimat verwachsen ist“, wie der zuständige Kommissär in einem Brief notierte.

Der erst wenige Jahre zuvor errichtete österreichische Bau wurde in diesen Jahren von den NS-Kulturbeamten alles andere als pfleglich behandelt: Zunächst versuchte man, ihn gegen bare Münze an ein anderes Land abzugeben. Ein Brief des damaligen Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, gibt darüber Aufschluss: Am 8. Dezember 1938 teilte er der Biennale-Direktion mit, „dass der Verkaufspreis des ehemals österreichischen Pavillons RM 70.000 (siebenzigtausend Reichsmark) beträgt“ und wies darauf hin, dass im Jahr zuvor „Instandsetzungsarbeiten ausgeführt worden sind“. Als der Versuch scheiterte, ließ man den Kunsttempel von den Filmstudios der römischen Cinecittà nutzen, die darin Kulissen lagerte. Ein nun entdecktes Foto zeigt die imposante Architektur verwandelt in ein profanes Depot; später produzierte man hier sogar Propagandafilme, erläutert Blom in seinem Aufsatz und folgert: „Mit der hier produzierten Kriegspropaganda bekamen die programmatischen Spiegelungen und Projektionen der Biennale eine weitere historische Tiefendimension.“ Auch deshalb steht der strahlend weiße Pavillon geradezu symbolträchtig für die österreichische Zeitgeschichte und ihre ungeahnten Gedächtnislücken.

+++ Lesen Sie hier: Der Historiker Philipp Blom über den Konservativismus der Biennale und den Kampf um die österreichische Identität +++

Infobox

Wunder und Wahn
Die in wenigen Wochen ­eröffnende Biennale 2013 hat ein ambitioniertes Thema: ­enzyklopädisches Wissen im Informationszeitalter. Die Länderpavillons gestalten sich disparat – Österreich ­entsendet den Filmkünstler Mathias Poledna.

Die 55. Kunstbiennale in Venedig bezieht ihr konzeptuelles Gerüst aus einem utopischen Projekt nah an der Grenze zum Wahn: 1955 entwarf der autodidaktische Künstler Marino Auriti ein Museum, das 700 Meter hoch sein sollte. Damit wollte er eine dreidimensionale Enzyklopädie schaffen, in der das Wissen der gesamten Welt vereint werden sollte. „Der Traum vom allumfassenden Wissen taucht in der Geschichte der Kunst und der Menschheit ständig auf“, erklärt Biennale-Kurator Massimiliano Gioni: „Heute, wo wir mit einer ständigen Informationsflut kämpfen, erscheinen Versuche, Wissen zu strukturieren, notwendiger als je zuvor – aber auch verzweifelter.“

Seine Schau mit dem Titel „The Encyclopedic Palace“ („Der enzyklopädische Palast“), die er im zentralen Pavillon und im Arsenale präsentieren wird, lasse die Grenzen zwischen „professionellen Künstlern und Amateuren verschwimmen“, so Gioni. Tatsächlich weist seine Liste eine ganze Reihe von Namen auf, die man in Kunstinstitutionen vergeblich sucht: So startet die Ausstellung mit dem Vater der Analytischen Psychologie, Carl Gustav Jung, dessen „Rotes Buch“ ausliegen soll; ebenso werden die Diagramme des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner oder die Steinesammlung des französischen Schriftstellers Roger Caillois präsentiert. Eine Reihe sehr prominenter Kunstschaffender – Carl Andre, Bruce Nauman, Richard Serra, Cindy Sherman – kombiniert Gioni mit Vergessenen, deren Wiederentdeckung sich lohnt (etwa der Surrealistin Dorothea Tanning), mit jungen Positionen (Helen Marten, Roberto Cuoghi) sowie dem breiten Mittelbau bekannter, aber noch nicht kanonisierter Künstler (John Bock, Tacita Dean, Harun Farocki, Steve McQueen).

Zwei österreichische Künstler finden sich in der 150 Namen umfassenden Liste – Maria Lassnig und der im Vorjahr verstorbene Walter Pichler. Zudem stellt Hermann Nitsch in einer Gruppenschau des kubanischen Pavillons aus; Heidrun Holzfeind und Christoph Draeger sowie Oliver Ressler in jenem der Malediven. Die nationalen Beiträge gestalten sich wie üblich disparat – ob die Biennale eher ein Ort sei, um Junge zu promoten oder doch zum Abfeiern von Etabliertem, darüber herrscht keine Einigkeit. Deutschland entschied sich für eine internationale Gruppenschau (Ai Weiwei, Romuald Karmakar, Santu Mofokeng, Dayanita Singh) und tauscht den Pavillon für dieses Jahr mit Frankreich, das Anri Sala entsendet. Der österreichische Beitrag wird von dem 1965 geborenen Künstler Mathias Poledna gestaltet, der derzeit einen seiner minuziös komponierten Filme in der Wiener Secession ausstellt (bis 21.4., www.secession.at).

55. Biennale Venedig: 1. Juni bis 24. November 2013; www.labiennale.org

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer