Atomgipfel mit dem Iran

Aktuell. Sieben Indizien für einen Krieg - und zehn gute Gründe dagegen

Drucken

Schriftgröße

GBU-57A/B alias MOP ("Massive Ordnance Penetrator“): 13.600 Kilogramm schwer, mit 2700 Kilogramm Sprengstoff beladen, zerstört Bunker in bis zu 60 Metern Tiefe.

GBU-43/B alias MOAB ("Massive Ordnance Air Blast“ oder auch "Mother of All Bombs“): 9500 Kilogramm schwer, 5700 Kilogramm Sprengstoff, löscht im Umkreis von 150 Metern alles Leben aus.

JDAM-Bausätze ("Joint Direct Attack Munition“): verwandelt Fliegerbomben in Präzisionslenkwaffen, die ihr Ziel aus bis zu 28 Kilometern Entfernung treffen.

Dazu noch Boeing-707-Tankflugzeuge und ein paar andere Kleinigkeiten: Als der israelische Generalstabschef Benny Gantz vor wenigen Tagen nach Amerika reiste, fiel es den Militärexperten der "Jerusalem Post“ nicht schwer, sich auszumalen, wie seine Wunschliste an das US-Verteidigungsministerium aussehen könnte.

General Gantz hat die Aufgabe, Israel auf einen Krieg vorzubereiten, genauer gesagt: auf Luftschläge gegen das Nuklearprogramm des Iran - ein halbes Dutzend Atomkraftwerke, Forschungsreaktoren und Urananreicherungsfabriken und eine unbekannte Zahl weiterer Anlagen, die im ganzen Land verteilt, versteckt und zum Teil tief unter der Erdoberfläche vergraben sind. Dafür braucht die israelische Armee Waffen, die derzeit nur die USA liefern können.

Ob Gantz in Washington tatsächlich versucht hat, an die stärksten je gebauten Bunkerbrecher und andere Bomben heranzukommen, bleibt bislang ein gut gehütetes Geheimnis.

Klar ist nur: Zumindest rhetorisch stehen die Zeichen auf Angriff.

Mitte des Monats sind erstmals nach einem Jahr Verhandlungen zwischen dem Iran und der so genannten P5+1-Gruppe angesetzt: Vertreter des Mullah-Regimes treffen sich mit Vertretern der fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich) sowie Deutschland. Dabei geht es wieder einmal darum, mit diplomatischen Mitteln zu verhindern, dass der Iran eine Atombombe baut.

Vielleicht aber auch zum letzten Mal. Denn im Vorfeld waren vor allem die Amerikaner bemüht, keine Zweifel daran zu lassen, dass es diesmal todernst ist: Die Gespräche, die nach derzeitiger Planung am Freitag, dem 13. April, in Istanbul beginnen sollen, seien die "letzte Chance“ auf eine friedliche Einigung, ließ US-Außenministerin Hillary Clinton die Regierung in Teheran wissen.

Inzwischen gibt es zur Frage eines Angriffs auf den Iran auch einen Literaturstreit: Er entzündete sich vor wenigen Tagen an einem Gedicht des deutschen Literaturnobelpreisträgers Günter Grass, in dem Israel als Gefahr für den Weltfrieden genannt wird.

profil nennt sieben Indizien, die auf einen bevorstehenden Krieg gegen den Iran hindeuten, sowie zehn gute Gründe, weshalb er mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht stattfinden wird.

Was für einen Krieg spricht


1.
Seit Wochen lässt die israelische Rechtsregierung nichts unversucht, das Land auf einen Krieg einzuschwören. Bei einer Rede vor der Knesset ließ Premierminister Benjamin Netanjahu durchblicken, den Iran nötigenfalls auch ohne Rückendeckung der USA anzugreifen. Israel habe bereits mehrmals erfolgreich auf eigene Faust gehandelt, so der Regierungschef: unter anderem bei der Unabhängigkeitserklärung 1948, beim Sechstagekrieg 1967 und bei der Bombardierung des irakischen Atomreaktors Osirak 1982.

Ein bewaffneter Konflikt mit dem Mullah-Regime würde zwar israelische Todesopfer fordern, aber "höchstens 300“.

2.
Die Republik Aserbaidschan am Kaspischen Meer beherbergt nicht nur den diesjährigen Eurovision Song Contest - sondern, wie erst vor wenigen Tagen bekannt geworden, auch israelische Luftstreitkräfte. Letztere dürfen zumindest einen im Süden des muslimischen Landes gelegenen Militärflughafen benutzen.

Das Abkommen, das vom US-Magazin "Foreign Policy“ enthüllt wurde, könnte Israel einen Militärschlag maßgeblich erleichtern. Starten seine Kampfjets in Aserbaidschan, erreichen sie iranisches Territorium binnen weniger Minuten und brauchen bei ihren Operationen auch nicht in der Luft aufgetankt zu werden. Selbst wenn die aserbaidschanische Regierung beteuert, Angriffsflüge nicht zu erlauben, könnten die Israelis zumindest Hubschrauber für Such- und Rettungseinsätze nahe der Grenze zum Iran stationieren.

3.
Martialisch gibt sich auch Barack Obama. Mitte März erklärte er in einem Interview, dass man mit Angriffen auf das iranische Atomprogramm rechnen müsse: "Als Präsident der Vereinigten Staaten bluffe ich nicht.“ Und bei einem Treffen mit dem britischen Premierminister David Cameron, ebenfalls im März, machte er nachdrücklich darauf aufmerksam, "dass sich das Fenster für eine diplomatische Lösung des Themas schließt“.

4.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich die USS Enterprise, der älteste Flugzeugträger der Vereinigten Staaten, bereits auf der Fahrt in Richtung Persischer Golf. Wenn er dieser Tage dort eintrifft, ist er bereits der dritte amerikanische Flugzeugträger in der Region. Zudem verlegt die US-Marine mehrere Minensuchbote in den Bereich der Straße von Hormuz. Sie sollen dafür sorgen, dass der weltweit wichtigste Transportweg für Öl befahrbar bleibt.

Eine derart massive Aufstockung der US-Streitkräfte unmittelbar vor der iranischen Küste lässt befürchten, dass die Amerikaner einen Angriff vorbereiten.

5.
"Drohnenabhängigkeit“: Mit diesem bitteren Kalauer beschrieb die "Washington Post“ vor nicht allzu langer Zeit die Tatsache, dass die USA ihre Kriegsführung immer mehr auf den Einsatz unbemannter Fluggeräte verlagern. Im Zusammenhang mit der darüber geführten Debatte ließ Barack Obamas Justizminister Eric Holder bei einer Rede mit einer Bemerkung aufhorchen: Legitime Selbstverteidigung verlange laut Völkerrecht zwar eine "unmittelbare Bedrohung“ - im Falle des Falles müssten aber auch andere Faktoren miteinbezogen werden, um "künftige verheerende Attacken auf die Vereinigten Staaten zu verhindern“.

Juristen vermuten dahinter bereits Überlegungen, einen Präventivschlag gegen den Iran zu rechtfertigen, etwa mit dem Argument, dass die Atombombe der Mullahs auch den USA gefährlich werden könnte.

6.
Barack Obama will im November sein Bleiberecht im Weißen Haus verteidigen, und das macht ihn anfällig dafür, seine Entscheidung nach Wählerstimmen auszurichten. Dabei kommt er nicht um die amerikanischen Juden herum. Sie wählen zwar traditionell verlässlich die Demokraten und fallen zudem zahlenmäßig, auf die gesamten USA gerechnet, nicht sonderlich ins Gewicht. Sehr wohl aber sind sie eine entscheidende Größe für das möglicherweise entscheidende Wahlergebnis im Bundesstaat Florida.

7.
Wenn der US-Präsident der Welt erklärt, dass sein Land nicht von iranischen Öllieferungen abhängig ist, und Saudi-Arabien gleichzeitig seine Förderquote erhöht, dann geht es nicht nur darum, den Druck der Wirtschaftssanktionen gegen das Mullah-Regime zu verstärken. Möglicherweise sollen damit auch Versorgung und Preise im Vorfeld eines Kriegs stabilisiert werden.

Die Möglichkeit, dass Israel tatsächlich den Iran angreift, wird offenbar durchaus ernst genommen. Er sei "eher sorgenvoller als zuversichtlicher geworden“, sagte der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière nach einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Ehud Barak. Aber auch Äußerungen wie diese können dazu dienen, der Drohkulisse, die das Mullah-Regime zum Einlenken zwingen soll, die gewünschte Wirkung zu verleihen.

Und doch: Es gibt Risse in dieser Kulisse.


Was einen Krieg unwahrscheinlich macht


1.
Zunächst einmal ganz profan: Dass in Kürze drei amerikanische Flugzeugträger-Konvois im Persischen Golf herumkurven werden, hat mehr mit logistischen Notwendigkeiten zu tun als mit laufenden Angriffsvorbereitungen. Die USS Enterprise wird die USS Abraham Lincoln ablösen, die in Kürze einen Tankstopp in ihrem Heimathafen im Bundesstaat Virginia einlegen muss - der Brennstoff für ihren Atomantrieb geht nach 25 Jahren zur Neige.

2.
Die Rhetorik der USA mag kämpferisch sein, gleichzeitig unternimmt sie aber offenbar einiges, um allfällige israelische Angriffspläne zu unterminieren. Die Aufregung um die Nutzung der Luftwaffenbasis in Aserbaidschan konnte etwa nur deshalb ausbrechen, weil Vertreter der US-Regierung geplaudert hatten. Das Magazin "Foreign Policy“, in dem die Geschichte erschienen ist, führt als Quelle "vier hochrangige Diplomaten und Militärgeheimdienstler“ an. So etwas passiert nicht von ungefähr, schon gar nicht, wenn davon die Interessen eines engen Verbündeten wie Israel betroffen sind. Ähnliche Bedeutung haben vermutlich jüngst geäußerte Beschwerden der Amerikaner darüber, dass Syrien vom Iran per Flugzeug mit Waffen beliefert wird. Das lenkte die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die Tatsache, dass der irakische Luftraum, den Israel für einen Angriff auf den Iran brauchen würde, de facto nicht überwacht wird.

3.
Es ist kein großes Geheimnis, dass das doppelte Spiel von Barack Obama im Zusammenhang mit einem Wahlkampf steht, der zudem stark von ökonomischen Themen geprägt ist. Ein Krieg im Golf würde unweigerlich dazu führen, dass der Ölpreis massiv steigt und damit die ohnehin fragile Erholung der amerikanischen Wirtschaft gefährdet wird. "Wenn du die Politik eines Landes verstehen willst, dann wirf einen Blick auf die Landkarte“, schreibt der israelische Publizist Uri Avnery. "Unmittelbar nach einem Angriff wird der Iran die Straße von Hormuz blockieren, durch die praktisch das gesamte von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, Katar, Bahrain, Irak und Iran exportierte Öl transportiert wird. Ein paar Minuten danach werden sich die Preise verdoppeln, verdreifachen oder vervierfachen - was dazu führt, dass nicht nur die US-, sondern auch die Weltwirtschaft kollabiert.“

4.
Mehr als ein Jahrzehnt führen die USA nun bereits ununterbrochen Krieg: Die Militärinterventionen in Afghanistan und im Irak haben mehr als 6000 amerikanischen Soldaten das Leben und dem Staat selbst nach konservativen Schätzungen mehr als eine Billion Dollar gekostet. Aus dem Libyen-Einsatz konnte sich das Land gerade noch heraushalten, aus Afghanistan zieht es seine Truppen schrittweise zurück. Nicht nur die Öffentlichkeit zeigt sich kriegsmüde: "Das Militär ist ausgesprochen wenig begeistert davon, was ein Angriff (auf den Iran, Anm.) bedeuten würde“, schreibt das Magazin "The Atlantic Monthly“, dem Obama kürzlich ein ausführliches Interview über Israel und den Iran gewährte.

5.
Das deckt sich mit der Gemütslage vieler Israelis. Sowohl Militärs und Geheimdienstler als auch die zivile Öffentlichkeit beweisen bisher Vorsicht: Meir Dagan, ehemaliger Chef des Mossad, bezeichnete einen Angriff als "dümmste Idee“, solange man "nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft“ habe. Dazu gehören neben der Diplomatie auch die Sabotage, etwa durch Computerviren, und Anschläge auf iranische Atomwissenschafter. In Umfragen spricht sich ziemlich genau die Hälfte der befragten Israelis gegen einen Militärschlag aus, 34 Prozent sind dafür.

6.
Ein Iran mit Kernwaffen ist der schlimmste Albtraum Israels. "Die iranische Bombe könnte die Welt verändern“, sagt Premierminister Netanjahu: "Wir könnten in einer anderen Ära leben.“ Dennoch muss das Land abwägen, ob der erhoffte Erfolg eines Militärschlags das Risiko aufwiegt. Damit, dass das Nuklearprogramm der Mullahs ein für alle Mal ausgeschaltet werden kann, rechnet niemand. Selbst wenn - was unwahrscheinlich ist - alle Atomanlagen zerstört würden, bliebe das Know-how, das sich die iranischen Wissenschafter inzwischen angeeignet haben, dennoch erhalten. Möglich scheint höchstens eine Verzögerung, aber nur vor dem Hintergrund der Hoffnung, dass es in Teheran inzwischen zu einem Machtwechsel kommt.

7.
Ein Angriff hätte allerdings einen unangenehmen Nebeneffekt: Um sich einen Verhandlungsspielraum frei zu halten, hat der Iran strategisch klug bislang bewusst noch nicht damit begonnen, die Bombe zu bauen. Dieses selbst auferlegte Moratorium dürfte bei einer Attacke sofort enden - was dazu führen würde, dass Israel selbst endgültig jene Entwicklung in Gang setzt, vor der es sich am meisten fürchtet. Zudem würde damit wohl auch die breite internationale Koalition jener Staaten, die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aufrechterhalten, auseinanderfallen.

8.
Eines weiß Benjamin Netanjahu sehr genau, auch wenn er etwas anderes sagt: Ohne Rückhalt der USA kann Israel den Iran nur schwer angreifen. Amerika müsste erstens seine famosen Bunkerbrecher liefern und zweitens die für eine Militäroperation dieses Ausmaßes verhältnismäßig kleine israelische Luftwaffe unterstützen. Beides erscheint in der derzeitigen Situation mehr oder weniger ausgeschlossen. Zudem würde eine unilaterale Militäraktion die USA gegen ihren Willen in den Konflikt hineinziehen, und das will Israel nicht riskieren.

9.
Die Regierung in Jerusalem will es sich auch deshalb nicht mit dem Weißen Haus verscherzen, weil Amerika eines der wichtigsten Projekte der israelischen Landesverteidigung mitfinanziert: die "Eiserne Kuppel“, ein Raketenabwehrsystem, das sich gerade im Bau befindet und im Fall von Vergeltungsaktionen des Iran von höchster Bedeutung ist. Mehr als 200 Millionen Dollar hat das Weiße Haus vergangenes Jahr dafür spendiert, noch mehr Geld ist für heuer versprochen. Nach einem Bericht der israelischen Zeitung "Haaretz“ hat die Obama-Administration an diese Zahlungen allerdings die Bedingung geknüpft, dass es zumindest bis zu den US-Wahlen keine Alleingänge gibt.

10.
Das beste Argument gegen einen unmittelbar bevorstehenden Angriff auf den Iran stammt von Israels Premier Benjamin Netanjahu selbst. In einem Interview mit dem US-TV-Sender "Fox News“ relativierte er mit fast schon erstaunlicher Offenheit seine eigenen Drohungen. Das Paradox bestehe darin, dass es ausreiche, wenn die Iraner einen Angriff fürchteten, denn "dann braucht man die militärische Option wahrscheinlich gar nicht mehr“.

Und diesen Job macht Netanjahu unbestritten gut.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur