Krise kaschieren

Jugendarbeitslosigkeit in der EU: Krise kaschieren

Arbeit. Die EU hat der Jugendarbeitslosigkeit den Kampf angesagt. Wie wirksam ist ihre Strategie?

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Der Spanier Dario Sola hat eine typische Laufbahn hinter sich. Anstatt die Schule abzuschließen, machte der 24-Jährige das, was viele Jugendliche seiner Generation in Spanien anstrebten: Viel Geld verdienen. Während der Nullerjahre ging das am schnellsten und besten am Bau. Bis die Krise kam, diedie spanische Bauwirtschaft in den Abgrund riss und mit ihr tausende junger, ungebildeter Arbeitskräfte. Das Unternehmen, bei dem Dario Sola als Hilfsarbeiter angestellt war, machte 2009 pleite. Seit vier Jahren ist er nun arbeitslos. Sein Anspruch auf Arbeitslosengeld und Sozialhilfe ist längst erloschen. Er lebt wieder bei seinen Eltern und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser: „Am Arbeitsamt gibt es nur Kurse. Arbeit gibt es keine.“

So wie Dario Sola geht es jedem vierten jungen Europäer. 23 Prozent der 15- bis 24-Jährigen in der EU sind arbeitslos, in Spanien und Griechenland sind es inzwischen fast 60 Prozent. Die Vereinten Nationen warnen seit Monaten vor einer „verlorenen Generation“. Abgesehen von der sozialen Sprengkraft sind so viele junge Arbeitslose auch nicht billig: Sie kosten der EU jährlich 153 Milliarden Euro, das sind 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Union. Inzwischen dämmert auch den europäischen Politikern, dass es so nicht weitergehen kann. Beim Gipfeltreffen in Berlin Anfang Juli wurde der erste Rettungsschirm für die 5,7 Millionen Jugendlichen aufgespannt. Sechs Milliarden Euro wird die EU in den kommenden zwei Jahren investieren, die Europäische Investitionsbank soll zudem Unternehmen, die Junge einstellen, mit Krediten aushelfen.

Doch was passiert, wenn die Subventionen auslaufen, und die jungen Arbeiter nach ein paar Monaten wieder auf der Straße stehen?
Bildung schützt noch immer am besten vor Arbeitslosigkeit. Spaniens Akademiker haben, wenn auch derzeit spärlich in der Heimat, so zumindest Perspektiven, in Deutschland, Frankreich oder Finnland unterzukommen. Der Hilfsarbeiter Dario Sola nicht. Er kann kaum Englisch, hat keinen Schulabschluss, keine Berufsausbildung. Bisher setzten die Regierungen in Spanien und Griechenland auf Freiwilligenarbeit, unbezahlte Praktika, niedrigere Löhne und eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, um ihre ­Jugendlichen zu beschäftigen. Langfristig bringt das nichts. Die Jungen müssen aufgebaut werden. In den meisten Staaten der EU ist Ausbildung Sache des Staats, Unternehmen wurden – bisher – nicht in die Pflicht genommen. Österreichs Modell der dualen Ausbildung soll nun Schule machen.

Unternehmensnah ausbilden
AMS-Vorstand Johannes Kopf ist momentan ein gefragter Mann. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Delegationen aus ganz Europa sowie internationale Medien haben in den vergangenen Monaten an seine Tür geklopft. Der heimische Arbeitsmarkt kann, verglichen mit der EU, Traumdaten vorweisen. Mit 8,7 Prozent liegt Österreich bei der Jugendarbeitslosigkeit EU-weit auf Platz zwei hinter Deutschland mit 7,6 Prozent. Wie der große Nachbar setzt man hierzulande bereits seit Jahrzehnten auf die parallele Ausbildung in Unternehmen und Berufsschule. Wer keine Lehrstelle findet, wird in überbetrieblichen Lehrwerkstätten des AMS ausgebildet. Diese Modelle sollen nun auf andere EU-Staaten übertragen werden. „Das wichtigste Ziel ist, Jugendliche künftig europaweit möglichst unternehmensnah auszubilden“, sagt Johannes Kopf. Bis ein duales System in einem Staat wie Griechenland oder Spanien funktioniert, kann es allerdings bis zu zehn Jahre dauern.

Zur Überbrückung müssen künftig Teilzeitjobs, Praktika und Volontariate herhalten – die sogenannte Jugendgarantie also, auf die sich die EU kürzlich einigte. Demnach soll künftig kein Jugendlicher nach der Schule länger als vier Monate arbeitslos sein. „Man muss die Jugendgarantie mit mehr Geld ausstatten, sonst besteht die Gefahr, dass die ohnehin desillusionierten Jugendlichen als billige Arbeitskräfte missbraucht werden“, sagt die EU-Abgeordnete Evelyn Regner, die für die sozialdemokratische Fraktion die Jugendbeschäftigung verhandelt. Genau das unterstellte Kanzler Faymann dem britischen Premier David Cameron Anfang Juli in Berlin: „Er will Jugendliche nicht qualitativ hochwertig ausbilden, sondern für vier Monate in Workshops verräumen, um so die Arbeitslosenstatistik zu schönen.“ Das versucht das EU-Parlament gerade zu verhindern. In einem am 8. Juli vorgelegten Initiativbericht bestehen die Abgeordneten darauf, eine faire Bezahlung und Qualitätsstandards für Praktikanten zu garantieren. Diese sollen, geht es nach dem EU-Parlament, auch von der EU kontrolliert werden.

Doch in welchen Berufen haben die Jungen überhaupt dauerhaft Chancen auf Arbeitsplätze? Bau, Produktion, Telekommunikation, Finanzwesen, öffentlicher Dienst: In diesen Branchen gingen in den vergangenen Jahren die meisten Jugendjobs verloren. Weitgehend verschont geblieben sind Pflege- und Gesundheitsberufe sowie Jobs im Bildungssektor. Ebenfalls zukunftstauglich sind Greenjobs, wie Gottfried Wetzel vom Sozialministerium erklärt. Berufe rund um alternative Energien, Abfallwirtschaft und Umwelttechnologien werden ebenso wie Pflegeberufe weiterhin gefragt sein.

Österreich ist nicht das gelobte Land
So harmonisch die heimischen Arbeitslosenzahlen im Vergleich auch klingen – Österreich ist nicht das gelobte Land. Langsam gerät auch die heimische Wirtschaft ins Trudeln, große Unternehmen wie der Baukonzern Alpine oder der Nahversorger Dayli mussten Insolvenz anmelden. Das AMS vermeldete im Juni bei der Jugendarbeitslosigkeit einen Anstieg von 6,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, 35.600 Junge sind derzeit ohne Job. Der AMS-Vorsitzende Johannes Kopf geht davon aus, dass die Zahlen heuer und kommendes Jahr weiter steigen. Rechnet man auch die NEETs – „Not in Employment, Education or Training“ – mit ein, wird die Lage noch ernster. Diese Jugendlichen sind weder beim AMS gemeldet, noch haben sie einen Ausbildungsplatz. Das Sozialministerium schätzt sie auf bis zu 10.000 pro Jahrgang.

An die sogenannten NEETs heranzukommen, ist besonders schwer. Das heuer in Österreich gestartete Jugendcoaching soll die Teenager abfangen, bevor sie hinter Computern, auf der Straße, oder, wie viele junge Migrantinnen, als Babysitter für die jüngeren Geschwister im Haushalt verschwinden. Psychologen, Sozialarbeiter und Pädagogen gehen an Schulen und in Jugendzentren, informieren über Berufe und begleiten die Jugendlichen bei der Suche nach der richtigen Ausbildung. Bei 85 Prozent der Teenager, die im Vorjahr an den Pilotprojekten des Jugendcoachings in Wien und der Steiermark teilnahmen, verbesserten sich Motivation, Selbstvertrauen und die Vorstellung von der beruflichen Zukunft. Besonders junge Migranten profitieren davon. Ein Projekt, für das es ebenfalls bereits Interesse anderer EU-Staaten gibt.

Daneben laufen derzeit österreichweit Schnuppertage für benachteiligte Jugendliche, die so in Kontakt mit rund 140 Unternehmen kommen. „Insgesamt sollen mit diesen Maßnahmen bis Ende des Jahres 30.000 Jugendliche erreicht werden“, sagt Günther Schuster, Leiter des Bundessozialamts.

Was Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen anrichten kann, zeigen zahllose Studien. Teenager interpretieren ihre Lage nicht als Systemproblem, sondern als ihr eigenes Versagen. „Wo Bildungs- und Erwerbskarrieren scheitern, bleiben auch das Selbstvertrauen und das Gefühl dazuzugehören auf der Strecke – bis hin zur völligen Resignation“, so das vorläufige Fazit einer Studie des Sora-Instituts, das heimische Hauptschulabsolventen drei Jahre lang begleitet. Das ist Gift für die weitere Karriere: Junge Langzeitarbeitslose werden später häufiger wieder arbeitslos und bleiben oft in niedrigen Einkommensstufen hängen. Ein weiteres Problem: Der Arbeitsmarkt muss viele Bildungslücken schließen, welche die Schulen hinterlassen haben. In der überbetrieblichen Lehre pauken die Lehrlinge auch Mathematik, Englisch und Deutsch, um in der Wirtschaft künftig bestehen zu können.

Auf EU-Ebene sind sich die Wirtschaftsexperten einig: Wirksamer als der Jugend-Rettungsschirm sind jene 60 Milliarden Euro, welche der Europäische Investitionsfonds in Form von Krediten an Klein- und Mittelbetriebe ausschütten soll. Trotzdem: Bleiben die Sparmeister in der EU auf ihrem Kurs, wird die Jugendarbeitslosigkeit weiter steigen. Wo sollen die Jobs herkommen, wenn die griechische Regierung weitere Milliarden einsparen muss? Und wenn sie, wie vorvergangene Woche auf Druck der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds beschlossen, bis Ende 2014 15.000 Beamte kündigen muss?

Zumindest in fernerer Zukunft ist aber Besserung in Sicht: Das deutsche Institut zur Zukunft der Arbeit hat berechnet, dass sich die Chancen für junge Arbeitnehmer ab 2020 deutlich verbessern werden. Dann geht die Babyboom-Generation in Pension und die geburtenschwachen Jahrgänge rücken nach.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.