Jubiläumsdepression

Euro. Der zehnte Geburtstag des Euro als Barzahlungsmittel wird am 1. Jänner 2012 krisenbedingt nicht gefeiert werden

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Es war ein feierlich-fröhlicher Moment: Kinder ließen im Hof des Ratsgebäudes in Brüssel 3000 Luftballons steigen, drinnen stießen die Finanzminister der damals elf Eurostaaten mit Champagner an. Rudolf Edlinger, am 31. Dezember 1998 österreichischer Finanzminister, erinnert sich heute noch gerne an den historischen Silvesterag: „Es war ein sehr festlicher Akt. Alle waren sehr euphorisch, unsere Sitzung war von großem Optimismus getragen.“ Um exakt 13.51 Uhr setzte Edlinger den letzten Akt der ersten österreichischen EU-Präsidentschaft: Er unterzeichnete die Euro-Verordnung, mit welcher Schilling, D-Mark, Franc, Lira & Co mit fixem Kurs unwiderruflich an den Euro gekoppelt wurden.

In seiner Rede vor den Kollegen erwies sich Edlinger als erstaunlich prophetisch: Er drängte darauf, mit der gemeinsamen Währung auch eine gemeinsame Steuerpolitik anzupacken. „Alle waren sehr begeistert, auch der damalige Kommissar Mario Monti. Leider passierte außer verbaler Zustimmung gar nichts“, so Edlinger, der dies noch heute für den Kardinalfehler des Euro hält: „Wenn jedes Land eine andere Wirtschafts- und Steuerpolitik macht, kann das nicht funktionieren.“

Am 1. Jänner 2002 wurde der Euro als Barzahlungsmittel eingeführt. Mit Griechenland, das sich den Beitritt mit geschönten Budgetstatistiken erschlichen hatte, war zunächst das Dutzend voll. Und wieder gab es Feiern, auch in Wien, wo der damalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi mit dem damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel um Mitternacht die ersten Euro-Geldscheine aus dem Bankomat zog. „Ich bin sicher, der Euro wird die europäische Wirtschaft stärken“, erklärte Prodi in einem Interview mit profil. „Und er wird zur Entwicklung einer europäischen Identität viel beitragen.“ Mit der Forderung nach „neuen Instrumenten“ zur Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik konnte sich Prodi aber nicht durchsetzen. Dies werde erst nach einer schweren Krise möglich sein, prophezeite der italienische Wirtschaftsprofessor.

Zehn Jahre später ist die Krise da und die Eurozone vom Zerfall bedroht. Ausgehend von Griechenland hat die Schuldenkrise inzwischen auch Triple-A-Länder wie Österreich und Deutschland erfasst. Beim EU-Gipfel in Brüssel versuchten ab Donnerstagabend die Staats- und Regierungschefs der EU zu retten, was – möglicherweise – noch zu retten ist. Der von Finanzmärkten geforderte große Wurf kam dabei nicht heraus. Die 17 Eurostaaten und sechs weitere EU-Mitglieder einigten sich auf eine Schuldenbremse mit automatischen Sanktionen. Die von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy verlangten Änderungen des EU-Vertrags scheiterten am Veto von Großbritannien. Dabei stand nicht nur der Bestand der Eurozone, sondern der Zusammenhalt der gesamten Europäischen Union auf dem Spiel.

Das zehnjährige Jubiläum des Euro wird am 1. Jänner 2012 sang- und klanglos vorübergehen. In Österreich hat die Bundesregierung keinerlei Feiern geplant. Nur die Oesterreichische Nationalbank hat eine Ausstellung im Geldmuseum vorbereitet und Broschüren gedruckt.

„Der Euro ist eine Erfolgsstory, trotz der Schuldenprobleme seiner Mitglieder“, beteuert OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny. „Er erfüllt seine Rolle in all seinen Funktio­nen, auch als zweitwichtigste Reservewährung der Welt. Die Relation zum US-Dollar hat sich kaum verändert.“ Ein Euro war in den vergangenen Monaten auch mitten in der Krise zwischen 1,30 bis 1,50 US-Dollar wert. Bei der Gründung vor zehn Jahren war noch der Greenback stärker gewesen.

Doch unter dem Eindruck der Finanzkrise stellen sich immer mehr EU-Bürger die Frage, ob die Einführung des Euro eine sinnvolle Maßnahme war. Zwar befürwortet laut Euro-Barometer noch immer eine Mehrheit der EU-Bürger den Fortbestand der gemeinsamen Währung, aber die Skepsis wächst, auch in Österreich, wo die Zustimmung zum Euro bisher stets über dem EU-Durchschnitt lag. Laut einer Studie der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik sank das Vertrauen der Österreicher in den Euro von 61 Prozent im Mai 2010 auf 47 Prozent im vergangenen Sommer. Tendenz: weiter sinkend. Nach einer im Auftrag des profil durchgeführten Umfrage des Karmasin-Instituts glauben bereits zehn Prozent der Österreicher an eine Rückkehr zum Schilling innerhalb der nächsten fünf Jahre.

Dabei fällt die Bilanz nach zehn Jahren Euro in vielen Bereichen positiv aus. „Gerade Österreich hat als kleine, export­orientierte Volkswirtschaft enorm vom Euro profitiert“, betont Fritz Breuss vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). So wuchs Österreichs Bruttoinlands­produkt seit 2002 um jährlich zwei Prozent und damit um einen halben Prozentpunkt mehr als der Durchschnitt im Euro­raum.
Auch die Zahl der Beschäftigten ist in Österreich seit der Euro-Einführung um bis zu 20.000 pro Jahr gestiegen. Dafür war aber nicht nur die gemeinsame Währung, sondern auch der grenzfreie EU-Binnenmarkt verantwortlich. Da jeder zweite Euro in Österreichs Volkswirtschaft durch Exporte und im Tourismus verdient wird, war die Beseitigung von alten Barrieren für heimische Exporteure wie die Wechselkursschwankungen besonders wichtig. Mit dem Euro sind die Ausfuhren von ­Waren und Dienstleistungen aus Österreich von 40 auf 60 Prozent des BIP gestiegen (siehe Grafik). Die Investitionen ausländischer Unternehmen in Österreich verdreifachten sich. Seit 2002 weist auch Österreichs Leistungsbilanz einen positiven Saldo auf.

„Österreichs Exportwirtschaft hat immer unter unfairen Abwertungen von vornehmlich südlichen EU-Ländern gelitten. Mit dem Euro sind diese auf einen Schlag weggefallen“, bilanziert Breuss. So konnten Österreichs Unternehmen etwa mehr Lebensmittel, Industriegüter sowie Holz und Papier nach Italien, Spanien oder Frankreich verkaufen. Heimische Produkte wurden nicht zuletzt auch durch moderate Lohnabschlüsse wettbewerbsfähiger. „Im Gegenzug waren die jetzigen Problemländer wie Griechenland, Portugal, Spanien nach dem Verlust der Möglichkeit der Abwertung der eigenen Währung nicht in der Lage, ihre Defizite bei der Produktivität zu beseitigen“, schildert Breuss die andere Seite der Euro-Medaille.

Dafür erhielten diese Länder leichteren Zugang zu billigeren Euro-Krediten, womit besonders wieder Importe finanziert wurden. Vor allem Deutschland wurde vorgeworfen, zu hohe Überschüsse im Außenhandel zu erzielen. Frankreichs Regierung forderte vergeblich eine Verpflichtung der Euroländer zu ausgeglichenen Handelsbilanzen.

„Unsere Wirtschaft hat von der Teilnahme am Euro sicher mehr profitiert als ­Länder mit einem großen ­eigenen Markt“, so der Europa-Abteilungschef der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), Christian Mandl. Allein der Wegfall von Kosten für Exportversicherungen und Wechselspesen habe die Wettbewerbsfähigkeit österreichischer Unternehmen deutlich erhöht.
Der Chefvolkswirt der Oest­erreichischen Nationalbank, Peter Mooslechner, sieht die Investitionsgüterindustrie und die Zulieferbetriebe Österreichs als größte Profiteure der gemeinsamen Währung. Die notwendigen Anpassungen an die schärfere Konkurrenz auf dem EU-Binnenmarkt seien schon vor dem EU-Beitritt Österreichs 1995 erfolgt. „Der Euro hat unserer Volkswirtschaft einen gewaltigen Schub versetzt. Erst durch die gemeinsame Währung konnten wir den grenzfreien Binnenmarkt voll ausnützen“, so Mooslechner. Auch die Inflation sei in Österreich vor Einführung des Euro deutlich höher gelegen. Von niedrigeren Kreditzinsen hätten sowohl Unternehmen wie Privatpersonen profitiert.
Dabei hatten viele Österreicher nach dem Abschied vom Schilling bald das Gefühl, der Euro sei ein „Teuro“. Viele hatten noch die Ankündigung von Europastaatssekretärin Brigitte Ederer in Erinnerung, wonach sich jede österreichische Familie durch den EU-Beitritt 1000 Schilling im Monat ersparen werde. Laut Berechnungen der Nationalbank sei dieser „Ederer-Tausender“ im Jahr 2004 tatsächlich als Ersparnis eingetreten.
Dass es im Windschatten des Euro auch zu dreisten Preissteigerungen kam, wird jedoch nicht bestritten. Vor und nach der Frist für die doppelte Preisauszeichnung und das damit verbundene Teuerungsverbot, das im Juni 2002 auslief, nutzten etwa viele Gastronomie-Betriebe ihre Chance. So setzten viele Wirte einfach zehn Schilling mit einem Euro gleich. Ein Krügel Bier oder auch ein Schnitzel kosteten daher plötzlich deutlich mehr als in der Schilling-Zeit.

Die Statistik Austria hat aber für den Zeitraum der vergangenen zwölf Jahre eine deutlich niedrigere Inflation als vor der Euro-Einführung festgestellt: So verzeichnete Österreich seit 1999 – als die Wechselkurse der Euro-Teilnehmer unwiderruflich festgelegt wurden – mit durchschnittlich 1,8 Prozent jährlich die niedrigste Inflationsrate seit Jahrzehnten. Von 1988 bis 1998 betrug die durchschnittliche Geldentwertung noch 2,2 Prozent. Im Vorjahr erreichte die Inflationsrate in Österreich mit 0,5 Prozent sogar den niedrigsten Wert seit 1953. Zuletzt stieg sie aber – vor allem durch Treibstoff- und Energieverteuerung – wieder auf über zwei Prozent an.
Dass viele trotzdem das Gefühl einer weit höheren Teuerungsrate haben, liegt an der seit dem Ausbruch der Finanzkrise vergrößerten Kluft zwischen der „gefühlten“ und „tatsächlichen“ Inflation. Ein Grund dafür ist laut einer Ende November präsentierten Studie der Paul-Lazarsfeld-Gesellschaft, dass Lebensmittel oder Benzin häufig in bar bezahlt werden, Haushaltsgeräte oder Unterhaltungselek­tronik, die in der Regel meist billiger wurden, dagegen meist mit der Scheck- oder Kreditkarte. Zudem würden immer noch viele Österreicher Preise in Schilling umrechnen, dabei jedoch die Inflation seit 2002 außer Acht lassen, so Studienleiter Helmut Lichowski. Ein Euro sei heute nicht mehr 13,76 Schilling, sondern nur mehr knapp über zehn Schilling wert.

Ein von der Arbeiterkammer Niederösterreich im vergangenen November vorgestellter Vergleich der Warenpreise im Supermarkt mit jenen vor zehn Jahren kommt zu keinem einheitlichen Ergebnis.
„Wir haben festgestellt, dass viele No-Name-Produkte bei Diskontern sogar billiger als vor zehn Jahren sind. Markenprodukte liegen dafür oft deutlich über der Inflationsrate“, so AK-Experte Manfred Neubauer. Vor allem gestiegene Rohstoffpreise – etwa bei Kaffee oder Kakao – wurden rasch auf die Verbraucher umgewälzt. So hat sich Kaffee gegenüber 2002 gleich um 85 Prozent verteuert. Ein Kilogramm Zucker ist dagegen billiger zu haben als bei der ­Euro-Einführung.

Eigenmarken von Diskontern sind oft deutlich billiger als 2002. Ein Kilogramm Reis wurde sogar um 27 Prozent billiger, ein Kilo Spaghetti um acht Prozent. Die gleiche Menge an Marken-Spaghetti kostet dagegen gleich um 38 Prozent mehr als vor zehn Jahren.
Die Oesterreichische Nationalbank berechnete die Preise einer Reihe von Waren und Dienstleistungen und präsentiert diese online im „Inflationscockpit“: So wurde ein Kilogramm Schnitzelfleisch seit 2002 nur um sieben Prozent teurer, während die Inflation im gleichen Zeitraum insgesamt 15 Prozent ausmachte. Damit wurde das Lieblingsgericht der Österreicher zwar beim Fleischhauer billiger, aber im Gasthaus deutlich teurer als vor zehn Jahren.

Preise von Dienstleistungen liegen dafür meist über der Inflationsrate. Ein Besuch beim Friseur kostet um 30 Prozent mehr als vor zehn Jahren, das ist doppelt so viel wie die Inflationsrate. Vor allem die gestiegenen Energiepreise schlugen deutlich zu Buche: Strom wurde um 26 Prozent, Gas um 25 Prozent teurer. Auch die Treibstoffpreise schnellten in die Höhe. Aber all dies wäre mit dem Schilling nicht anders gekommen.
Deutliche Verbilligungen wurden bei technischen Geräten festgestellt. So kosten heute Laptops oder Fernsehgeräte weit weniger als früher. Wegen der technischen Entwicklung sind direkte Preisvergleiche aber nicht möglich.
Die Beseitigung der Monopole und der verschärfte Wettbewerb in früher geschützten Bereichen brachten etwa in der Telekommunikation umfassende Verbilligungen: Orts- und Ferngespräche wurden sowohl beim Festnetz wie auch für die Mobiltelefonie billiger. EU-Verordnungen sorgten zudem für niedrigere Roaminggebühren in anderen EU-Ländern.
Der Wegfall von Wechselspesen hat zudem Urlaubsreisen ins Euro-Ausland verbilligt: Nach Berechnungen der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGFE) erspart sich so jeder Österreicher zwischen 15 und 50 Euro pro Ferienreise.

ÖGFE-Generalsekretär Paul Schmidt ortet insgesamt eine zwiespältige Haltung der Österreicher zur gemeinsamen Währung. „Die Vorteile der Währungsunion wie etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und der Wegfall von Wechselkursen werden heute als gegeben angenommen. Doch die Staatsschuldenkrise und das europäische Krisenmanagement wirken sich negativ auf das öffentliche Meinungsbild des Euro aus“, so Schmidt.

Das Scheitern des Euro würde in jedem Fall teuer kommen. Die Schweizer Bank UBS hat kürzlich die Kosten dafür berechnet: Verlässt ein kleineres Land den Euro, verursacht dies volkswirtschaftliche Kosten von 9500 bis 11.500 Euro pro Einwohner im ersten Jahr, in den folgenden Jahren zwischen 3000 und 4000 Euro. Ökonomisch, politisch und sozial wäre das ein Albtraum.