Fliege sucht Klebeband

Rosa Pock: Fliege sucht Klebeband

Literatur. Rosa Pocks mitleidloser Blick auf die Liebe

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Rosa Pock weiß ausufernde Geschichten darüber zu erzählen, wie das brummig-dunkle Timbre ihrer Stimme in bühnenreif-absurder Konstellation für heillose Verwirrung sorgte. Einst hausten Pock und der Wiener Poesiepionier H. C. Artmann, mit dem sie von 1972 bis zu dessen Tod 2000 verheiratet war, ein Jahr lang in einem Gartenhaus: ein Zimmer und ein Bett, in das man sich wegen einer knietiefen Grube vor der Schlafstätte nur durch Luftsprung begeben konnte. Eines Tages wurde Pock von einem Nachbarn, wohl in Kenntnis des bizarren Rituals, in Flirtabsicht angesprochen: Ob er Pock auf ein Glas einladen dürfe. „Bei unserem ersten Date erklärte ich ihm, dass H. C. rasend eifersüchtig sei, obwohl er das nie war“, erinnert sich Pock an das Treffen. Weitere Annäherungsversuche blockte die Autorin am Telefon ab. Mit tiefer Stimme fragte sie den Galan, der sich mit dem argwöhnischen Artmann verbunden glaubte: „Arthur, bist du’s?“ Der Kavalier tauchte auf Nimmerwiedersehen unter. „Bisweilen fühle ich mich in eine Komödie à la Georges Feydeau versetzt“, sagt Rosa Pock, die ebenso oft lacht, wie sie gern und viel raucht.

Gwöhnliche Worte, ungewöhnliche Dinge
Spätestens mit ihrem sechsten Buch „wir sind idioten“, einem Band mit zwei kürzeren und einer längeren Erzählung, etabliert Pock, 63, nun auch ihre eigene literarische Tonlage. Man merkt der studierten Philosophin in „wir sind idioten“ an, dass sie ihren Schopenhauer gelesen und dessen Schreibideal verinnerlicht hat: Man gebrauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge. In lakonischer Manier schildert die Schriftstellerin, klassisch-avantgardistisch strikter Kleinschreibung verpflichtet, die Trennung eines Paares, das sich in ein Gespinst von amourösen, aber auch wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten verstrickt hat. „kleinanleger der liebe sind wir“, klagt darin eine namenlose Stimme. „paar sein, allein sein, alles ist eines und nichts, wenn da nicht wäre das begehren.“ Der Kunstslang, den Pock für das Lamento ihrer Figuren erfindet, lässt die vertrauten Regeln der Grammatik hinter sich – das ungestüme Voneinander-Scheiden raubt buchstäblich den Verstand: „kein zufall ist es, dass in der sprache rache enthalten und fluch in der flucht, wie das leben sich liest vom ende her als nebel.“ Das Rätsel der Liebe verpackt Pock in drastische Bilder: „eine fliege sucht ihr klebeband. ein klebeband sucht seine fliege.“

Seit knapp 20 Jahren publiziert Rosa Pock unter ihrem Mädchennamen, im Alltag trägt sie den Namen ihres verstorbenen Mannes. Bis heute lebt und arbeitet sie in der karg möblierten Wohnung im achten Wiener Gemeindebezirk mit den Werken berühmter Künstlerfreunde an den Wänden, in der H. C. Artmann, bereits schwer krank, die letzten Jahre seines Lebens verbrachte. In den Regalen der Bibliothek reihen sich die Werke des zum Klassiker avancierten Autors, in einer der unteren Stellagen stapeln sich die einstigen Arbeitsbehelfe des Lyrikers, Sprachspielers und Übersetzers: französische, albanische, englische, spanische, italienische, bulgarische, finnische, japanische, hebräische, arabische, katalanische, irische, indonesische, russische Wörterbücher.

Pock sieht sich nicht als Künstlerwitwe, die das literarische Erbe ihres Mannes löwenhaft verteidigen und die Schriften Artmanns in den Bezirk des Quasireligiösen heben muss. „Die Arbeit meines Mannes wurde und wird verkannt“, resümiert sie nüchtern. „Als 2003 ein Park im 14. Bezirk nach ihm umbenannt wurde, vermeldete das Rathaus stolz, dass damit ein ,bedeutender Mundartdichter‘ geehrt werde. Dialektdichtung macht einen Bruchteil des Gesamtwerks aus!“ Die hasserfüllten Attacken Jörg Haiders gegen Artmann hat Pock nicht vergessen, der Politik begegnet sie inzwischen mit schwarzem Humor: „Mir gibt seit geraumer Zeit eine Koinzidenz zu denken.“ H. C. Artmann wurde am 12. Juni geboren. „Seit ich weiß, dass H. C. Strache am selben Tag Geburtstag feiert, zweifle ich an der Astrologie.“

Demut ist das Wichtigste
In ihrem eigenen Schreiben orientiert sich Pock ausdrücklich an Artmanns Kunst. „Man lese die ,Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes’ von 1953: Demut ist das Wichtigste, es geht nicht ums Ich, sondern um Hingabe, ums Hergeben.“ Allzu ernst dürfe man das eigene schriftstellerische Tun ohnehin nicht nehmen: „Faktisch habe ich H. C. kaum je arbeiten gesehen. Von ihm hörte man nie: ,Ab jetzt keine Störung mehr! Ich sitze am Schreibtisch.‘“ H. C. Artmann sei es nicht nur als Dichter darum gegangen, die so genannte Realität mittels gezielter Risse gleichsam zu ramponieren: „Sein bevorzugtes Angriffsziel war der Alltag. Die ewige Bestätigung des Realen ergibt Hoffnungslosigkeit.“

Rosa Pock: wir sind idioten. Droschl, 90 Seiten, EUR 16,–

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.