Spargesinnungsattentäter

Sparpaket. Lobbyisten planen, das ohnehin unambitionierte Sparpaket zu sabotieren. Knickt die Regierung ein?

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Der 27. November 2010, ein Samstag, war demonstrationsmäßig ereignisreich – in und um Wien: Beim Kreisverkehr in Parndorf hielten Gegner einer Reststoffdeponie eine Kundgebung ab. Auf dem Stephansplatz versammelten sich katholische Aktivisten, um gegen die Übergabe einer Ottakringer Kirche an die serbisch-orthodoxe Gemeinde zu protestieren. Und bei der Urania startete ein Protestzug von 110 Organisationen zu einer Großdemonstration gegen das rot-schwarze Sparpaket, das die Bundesregierung einen Monat zuvor im steirischen Loipersdorf beschlossen hatte. Um 16.07 Uhr setzte die Austria Presse Agentur eine Meldung ab: „Regierung entschärft Sparpaket.“ In einer überraschend anberaumten Pressekonferenz hatten Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll zuvor erläutert, wie das Sanierungsprogramm noch „abgeschliffen“ (Pröll) werde – vor allem bei Pensionisten, Pendlern und Familien.

Im Anschluss zeigten sich die Koalitionschefs doppelt stolz: auf die Entschärfungen ebenso wie auf das verbleibende Restpaket. Finanzminister Pröll: „Die Abschärfungen bedeuten kein Aufschnüren des Finanzrahmens. Das Sparpaket hält.“ Kanzler Faymann: „Der Kurs im Großen und Ganzen hält.“
Weder Sparpaket noch Kurs hielten. Die dramatische Fehleinschätzung vom November 2010 lässt sich seit Freitag vergangener Woche exakt in Zahlen fassen: 26,5 Milliarden Euro beträgt das Sanierungsprogramm bis 2016, das unter anderem durch die „Entschärfungen“ des Loipersdorfer Sparpakets erst notwendig wurde.

Ausgerechnet Freitagabend der ersten Ferienwoche hatten Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindel­egger nach wochenlangen Verhandlungen gewählt, um ihr Sparpaket zu präsentieren. Nach dem Sonderministerrat versuchten die Regierungsspitzen, die historische Dimension ihrer soeben gefällten Entscheidung herauszuarbeiten – mehr oder weniger eloquent: Kanzler Faymann erläuterte, in Österreich würden dank des Sanierungsprogramms „Mittelschichten nicht nur auf Wahlplakaten existieren, sondern auch real, weil die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter ausein­andergehen darf“. Vizekanzler Michael Spindelegger betonte, das Sparpaket würde dem Land „eine Zukunft garantieren“, unter anderem dank eines „Kostendämpfungspfads im Gesundheitsbereich“.

Rund 70 Prozent der Budgetkonsolidierung machen die Einsparungen aus, 30 Prozent neue Einnahmen. Die von ÖVP-Seniorenbund-Obmann Andreas Khol ­geforderte „Belastungsgerechtigkeit“ ist durchaus gegeben. Fast alle werden zur Kasse gebeten: Beschäftigte, Unternehmer, Pensionisten, Beamte, Bauern, Finanzsektor, Industrie.
Zwischen der rot-schwarzen Willenserklärung des vergangenen Freitags und der angepeilten Beschlussfassung Ende März im Nationalrat liegen freilich noch lange Wochen. Eine Schwebephase voller Unruhe steht bevor. Denn rote und schwarze Lobbyisten schicken sich bereits an, das Sparpaket für ihre Klientel aufzuschnüren. Bleibt die Regierung standhaft?
Trotz der zur Schau gestellten Einigkeit sitzt das gegenseitige Misstrauen in den Koalitionsparteien tief. In der SPÖ herrschen Zweifel, ob Michael Spindelegger die schwarz dominierte Beamtenschaft unter ihrem Spitzengewerkschafter Fritz Neugebauer im Griff hat. Im Gegenzug misstraut die ÖVP der roten Durchsetzungskraft. Ein schwarzer Spitzenfunktionär: „Wir wissen nicht, ob Kanzler und SPÖ-Minister auch halten können, was wir beschlossen haben.“

In roten Fahnenfragen musste sich die SPÖ zum Zorn ihrer Arbeitnehmerver­treter beugen. Vermögenssubstanzsteuern bleiben auch pro futuro gewerkschaftliche 1.-Mai-Träumereien – trotz Unterstützung von Spitzengenossen wie Michael Häupl. Der Wiener Bürgermeister hatte erst vor zwei Wochen ex cathedra erklärt, es werde „natürlich vermögensbezogene Steuern geben“. Und auch Arbeiterkammerdirektor Werner Muhm hatte keine Gelegenheit ausgelassen, als Kanzlerberater parteiintern auf Erbschafts- und Vermögensteuern zu drängen. In so manchen Treffen soll Kanzler Werner Faymann als Verhandlungsunterlage sogar Papiere mit dem AK-Logo aus der Aktentasche gezogen haben. Den Verzicht auf Vermögensteuern kommentierte ÖGB-Präsident Erich Foglar im „Standard“ mit subtiler verbaler Drohgebärde: „Schauen wir einmal.“
Dass die Gewerkschafter SPÖ-Parteivorsitzende leicht aus dem Job katapultieren können, weiß niemand besser als Werner Faymann. Schließlich war er bei der Demontage seines Vorgängers teilnehmender Beobachter. Alfred Gusenbauer hatte sein Schicksal als Kanzler und Parteivorsitzender besiegelt, als er im Frühjahr 2008 eine – später zurückgezogene – Pensionsautomatik absegnete, welche die Renten an die Inflation anpassen sollte. Einige Wochen später übernahm Werner Faymann die Partei.

In den vergangenen Wochen soll der Bundeskanzler nicht übermäßig Energie in die Informationsarbeit gesteckt haben. Die sozialdemokratischen Gewerkschafter wurden eher nachlässig über Verhandlungsfortschritte auf dem Laufenden gehalten. Umso mehr telefonierte Vizekanzler Michael Spindelegger in der vergangenen Woche, vor allem mit seinem im Salzburgischen urlaubenden Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer. Das fulminante Ergebnis: Neugebauer bekannte sich zu „einer grundsätzlichen Einigung“ mit der Regierung, im öffentlichen Dienst einzusparen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit der von der Regierung angekündigten Nulllohnrunde für Beamte 2013 ist gering. Neugebauer kommentierte entsprechende Pläne bereits Ende Jänner deftig: „Für dumme Vorschläge und Herumpfuschen sind wir nicht zu haben. So etwas führt nur zu einer Bauchlandung der Sonderklasse.“

Mit Widerstand muss der ÖVP-Chef auch aus anderen schwarzen Kraftzentren rechnen. Dass Spindelegger Steuererhöhungen ohne Verwaltungsreformen zugestimmt hatte, kritisierte Wirtschaftsbund-Chef Christoph Leitl parteiintern scharf. Die Industrie zürnt über Einschnitte bei der Gruppenbesteuerung und die höhere Belastung von Spitzengehältern. Die Bauern werden gleich mehrfach getroffen: durch die neue Umwidmungsabgabe, die Abschaffung der Förderung des Agrardiesels und höhere Pensionsbeiträge. Und für die – mehrheitlich schwarz dominierten – Gemeinden werden Bauvorhaben aufgrund der Schließung von Steuerlücken schmerzhaft teurer.

Dass die Regierung das Sparpaket Ende März im geplanten Ausmaß realisiert, wird selbst von ihren Beratern bezweifelt. Der Vorsitzende des Staatsschulden-Ausschusses, Bernhard Felderer: „Die Frage ist, ob das alles umsetzbar ist.“
Dabei handelt es sich entgegen der Regierungspropaganda keineswegs um „das größte Sparpaket aller Zeiten“. Die Feinanalyse zeigt: Das Sparpaket ist eine Mogelpackung.

- Die behaupteten 26,5 Milliarden Euro Einsparungen sind rein statistisch-kumulativ. Substanziell wird Österreichs Gesamtverschuldung im Jahr 2016 um etwa 15 Milliarden Euro geringer ausfallen, als das ohne Sparpaket der Fall gewesen wäre.

- Gegen alle rot-schwarzen Bekenntnisse werden durch die neuen Solidarbeiträge die Steuern auf Arbeit neuerlich erhöht. Vermögen bleiben verschont.

- Die Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage lässt die Lohnnebenkosten und damit die Belastung des Faktors Arbeit weiter ansteigen.

- Wie die Länder ihren Konsolidierungsbeitrag von 5,2 Milliarden Euro leisten sollen, ist ebenso offen wie allfällige Sanktionen gegen ein zu wenig sparsames Bundesland.

- Dass die österreichische Finanz aus einem Abkommen mit der Schweiz eine Milliarde Euro als Schwarzgeld-Steuer lukriert, ist mehr Schätzung als Berechnung.

- Strukturelle Reformen im Gesundheits- und Verwaltungsbereich sind im Sparpaket 2012 nicht vorgesehen. Es bleibt bei symbolischen Maßnahmen wie der Verkleinerung von Nationalrat und Bundesrat sowie unverbindlichen Absichtserklärungen.

- Die Finanztransaktionssteuer im Ausmaß von 500 Millionen Euro jährlich ist eine Phantomabgabe ohne Grundlage im EU-Recht.

- Die privilegierte Hacklerregelung bleibt bestehen. Die nun beschlossenen Pensionsreformen betreffen mehrheitlich zukünftige und nicht bestehende Renten.

- Dass die Infrastrukturprojekte der ÖBB per Federstrich um 900 Millionen Euro redimensionierbar sind, lässt entweder an der Validität der vorherigen oder der nunmehrigen Planungszahlen zweifeln.

- Zwar werden Förderungen quer durch die Politikfelder gekürzt, Maßnahmen bei Agrarsubventionen bleiben aber aus.

Noch bevor das Konsolidierungsprogramm im Ministerrat Freitag vergangener Woche beschlossen wurde, begannen Spitzenvertreter von SPÖ und ÖVP, es parteipolitisch zu verwerten. ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner interpretierte die Sparpaketsverhandlungen als rot-schwarzes Koalitionsmatch und reklamierte – gemessen am Verhältnis Einnahmen und Ausgaben – einen „7:3-Erfolg für die ÖVP“. Der oberösterreichische SPÖ-Chef Josef Ackerl empfahl der Volkspartei eine „Frischzellenkur in Sachen Politik der Gerechtigkeit“. Es sei ein „Skandal“, wie die ÖVP auch beim Sparpaket „die Millionäre verteidigt“.
Nur die Chefs blieben harmonisch. „Ich danke dir, Michael“, sagte Kanzler Faymann nach der Pressekonferenz Freitagabend zu seinem Stellvertreter. Spindelegger gab den Dank zurück. Zuvor hatte der ÖVP-Obmann Einblick in sein sparpaket-bedingtes Arbeitspensum gewährt: „Die letzten Wochen waren die härtesten in meinem Leben.“
Die kommenden könnten noch härter werden.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.