Der Rest ist Außenpolitik

Michael Spindelegger: Der Rest ist Außenpolitik

Außenpolitik. Österreich verplempert sein internationales Potenzial

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Vorsicht, Ausland! Es war eine Reisewarnung der besonderen Art, die Außenminister Michael Spindelegger kürzlich aussprach. Eine, die ihn selbst betrifft, und sie lautet: Im Zweifel besser zu Hause bleiben! Der Bundesminister für europäische und internationale Beziehungen wird in diesem Jahr das Budget für seine Dienstreisen um zehn Prozent kürzen. Spindelegger sagte das mit sichtbarem Stolz, denn er möchte bei dem Vorhaben, in seinem Ressort die Reise- und Repräsentationsausgaben einzuschränken, mit gutem Beispiel vorangehen. Den "Weg der Sparsamkeit“ nannte er das, und den wolle er gehen. Wohin auch immer er führen mag.

Der Betrag, der dabei eingespart werden kann, ist nicht der Rede wert, der symbolische Gehalt dieser Maßnahme jedoch umso wertvoller: kürzer, weniger, kleiner. Es gibt nichts, was nicht weiter schrumpfen könnte, und: Die österreichische Außenpolitik ist das, was übrig bleibt.

Würde der zuständige Minister allen Institutionen einen Besuch abstatten, die demnächst geschlossen werden, müsste er eine Explosion seines Reisebudgets befürchten: Da wären die Botschaften in Oman, Simbabwe und Kolumbien, die Generalkonsulate in Zürich, Krakau und Chicago sowie die Koordinationsbüros der staatlichen Entwicklungshilfeorganisation Austrian Development Agency (ADA) in Serbien, Albanien und Nicaragua.

Auch die freiwilligen multilateralen Beiträge an UN-Organisationen und andere internationale Institutionen werden weiter gekürzt. 2011 wurden sie bereits um fünf Millionen Euro verringert und erreichten damit "den Stand vor der Mitgliedschaft Österreichs im UN-Sicherheitsrat“, argumentierte man damals. Jetzt darf es noch weniger sein. Von den rund 20 Millionen Euro werden 2012 weitere vier abgezwackt. Wo genau, wird erst Anfang des Sommers verraten. Waren bei der letzten Kürzung "Frauen, Kinder und Flüchtlinge“ laut Spindelegger verschont geblieben, so werde das diesmal möglicherweise nicht zu halten sein. Für Österreichs internationales Engagement gilt ab sofort: Rette sich, wer kann.

Dabei fehlt nie der Hinweis, das Außenministerium erfülle "weiterhin die Kernaufgaben“. Aber welche sind das bloß? "Der konsularische Schutz für alle Österreicher im Ausland und die weltweite Vertretung der Interessen Österreichs“, lautet die Formulierung der Pressestelle des Hauses am Minoritenplatz, und mit der besteht ein Schüler bestimmt die mündliche Matura in Politischer Bildung, aber wie sieht das Konzept im Detail aus?

Ranghohe Diplomaten in Wien und im Ausland ließen in den vergangenen Wochen auf profil-Anfrage, wie sie die aktuelle Außenpolitik beurteilten, ein gequältes Seufzen vernehmen. Die häufigste Gegenfrage lautete: "Haben wir denn eine?“

Zumindest keine, die irgendjemandem aufgefallen wäre. Zwar kann das Ministerium punktuelle Erfolge vorweisen: die Erlangung des nichtständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat (2009-2010), die Annäherung Serbiens an die EU, die Bestellung von Thomas Mayr-Harting zum EU-Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, die Ernennung von Hans Dietmar Schweisgut zum Leiter der Delegation der EU in Japan oder die Ansiedlung der Internationalen Anti-Korruptions-Akademie in Österreich.

Doch nach Meinung vieler fehlt es an einer sinnvollen Strategie, um die Außenpolitik nachvollziehbar und effektiv zu machen. Wolfgang Petritsch, Leiter der ständigen Vertretung Österreichs bei der OECD in Paris, ortet "viele positive Elemente, aber kein Konzept“. Ähnlich argumentiert Erhard Busek, Ex-Vizekanzler und Vorstand des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa, im profil-Interview.

So genannte Schwerpunkte verkommen oft zu Überschriften. Die für Österreich bedeutendste Region, der Balkan, gilt zwar als unumstrittener Fokus, wird aber dennoch oft erstaunlich stiefmütterlich behandelt. Das zuständige Referat im Außenministerium ist mit einem einzigen Beamten besetzt. Dem wird zwar von allen Seiten große Kompetenz bescheinigt, doch eine Person bleibt eine Person. Auch einige Botschaften am Balkan sind lediglich mit einem Diplomaten besetzt. Dabei hält etwa Osteuropaexperte Busek die Vertretungen in den Balkanländern für weitaus wichtiger als die Botschaften in den EU-Staaten.

Die österreichische Offensive im Schwarzmeerraum, Spindeleggers Steckenpferd der vergangenen Jahre, gibt vor allem Rätsel auf. In der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku wurde 2010 trotz allgemeinen Spardrucks eine Botschaft eröffnet, um die wirtschaftlichen Interessen Österreichs - präzise: die Hoffnung auf Erdgas für die geplante Nabucco-Pipeline, an der die OMV maßgeblich beteiligt ist - zu fördern. Doch die verhinderten Betreiber des Nabucco-Projekts schauen bisher in die unverlegte Röhre, und worin die übrige Strategie bestehen soll, weiß niemand so recht.

In den übrigen Weltgegenden enthält sich Österreich meist so lange wie möglich eines Standpunkts und betet um eine gemeinsame EU-Linie. In der Frage der Anerkennung Palästinas als eigener Staat etwa können sich die 27 Außenminister nicht einigen, also schweigt Österreich und lässt keinerlei Präferenz für eine der beiden Alternativen erkennen.

Eine solche Absenz in wichtigen Fragen hat durchaus Tradition. Vor Beginn des Irak-Kriegs etwa weigerte sich die damalige Außenministerin Benita Ferrero-Waldner beharrlich, für oder gegen einen Krieg Stellung zu beziehen. Keine Meinung zu haben gilt üblicherweise als "Position der Mitte“.

Michael Spindelegger wird allgemein nicht als unfähig oder unwillig eingeschätzt. Der einzige wesentliche Unterschied zwischen ihm und seinen Vorgängern ist, dass er das Amt des Außenministers als Teilzeitjob erledigen muss. Darunter leidet zwangsläufig die Performance. Vor lauter Unverbindlichkeit und Vorsicht, sich bloß nicht auf etwas festzulegen, das sich anschließend als nicht mehrheitsfähig erweisen könnte, gibt der umgängliche Niederösterreicher Sätze von sich wie diese: "Wir haben eine Grundsatzproblematik, die heißt: Vertragsänderung ja oder nein. Ich glaube, in dieser Situation sind wir alle gut beraten, nicht mit fertigen Beschlüssen zum Europäischen Rat nach Brüssel zu fahren, sondern offen zu sein, offen für eine gute Lösung jetzt und auch für spätere Jahre.“ So viel zur Frage Ja oder Nein.

Dabei beschäftigt das Außenministerium zahlreiche hervorragende Mitarbeiter, die mit Verve an Dinge herangehen, wenn man sie lässt. In der Debatte um eine geplante Verwässerung des Verbots von Streumunition etwa stampften österreichische Diplomaten wie der Leiter der Abteilung Rüstungskontrolle im Außenministerium, Alexander Kmentt, und der österreichische UN-Botschafter in Genf, Christian Strohal, vergangenen November höchst vernehmbar auf. Doch das Potenzial an Kompetenz und gutem Willen verkümmert oft, weil von Minister Spindelegger keine Initiativen kommen.

Die österreichische Außenpolitik kennt mehr Akteure als nur den Minister und sein Haus am Minoritenplatz. Der Bundeskanzler hat ebenfalls eine internationale Rolle zu spielen, und das tut er auch - allerdings ganz offensichtlich nicht minder konzeptlos. Kürzlich vollführte er mitten in der Legislaturperiode einen Schwenk von unverhohlener EU-Skepsis zu offener Begeisterung für mehr EU-Integration und erklärte dies in einem Interview mit dem "Standard“ damit, dass er "dazugelernt“ habe. Hoppla, jetzt probieren wir mal die Gegenrichtung!

Die dank WikiLeaks öffentlich gewordene Einschätzung der US-Diplomatie, wonach die österreichische Regierung an Außenpolitik generell desinteressiert sei, muss ein wenig modifiziert werden: Das Ausmaß des Desinteresses hängt von der Tagesverfassung ab.

Zu allem Überfluss dilettieren noch einige gänzlich unkontrollierbare Exponenten einer Außenpolitik by Shock and Awe durch den Orbit.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner kam im Februar auf die Idee, Österreich könne die Entwicklungshilfe an die Bedingung knüpfen, dass die Empfängerstaaten abgeschobene Asylwerber aufnähmen. Das Außenministerium musste höflich darauf hinweisen, dass die meisten Asylwerber aus Ländern kommen, die von Österreich keine Entwicklungshilfe erhalten.

FPÖ-Protagonisten entsenden sich immer wieder selbst zu Missionen, die dem gesamten diplomatischen Dienst die Schamesröte ins Gesicht treiben. Mal vergewissern sich Freiheitliche in Tschetschenien bei dem in Menschenrechtsfragen übel beleumundeten Präsidenten Ramsan Kadyrow, dass es in dem Nordkaukasus-Staat keinerlei politische Verfolgung gebe. Mal tummelt sich Parteichef Heinz-Christian Strache in Israel, um sich angeblich von der Siedlungsproblematik ein Bild zu machen.

Aufseiten der SPÖ betreibt Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer Freak-Diplomatie und hält als gut dotierter Berater des kasachischen Regimes Kontakt mit Astana.

Das Parlament ist in Sachen Außenpolitik auch keine große Stütze. Der außenpolitische Ausschuss schiebt oft relevante Anträge monatelang vor sich her. Noch schlimmer steht es um den Unterausschuss für Entwicklungszusammenarbeit, der wegen eines läppischen Streits zwischen den Vertretern von SPÖ und ÖVP über die Frage, welcher Minister eingeladen werden soll, bloß noch einmal pro Jahr zusammentritt.

So dümpelt die Außenpolitik als ungeliebtes Kind von Regierung und Parlament dahin, und es bleibt Initiativen engagierter Diplomaten oder Beamter vorbehalten, gelegentlich Akzente zu setzen. Mit einer Offensive des Ministers ist hingegen in naher Zukunft nicht zu rechnen. Zu viele Argumente sprechen dagegen: Man müsste sich festlegen. Man müsste sich zwischen Ja und Nein entscheiden. Man müsste ein Konzept ausarbeiten. Man müsste Ressourcen bereitstellen. Und am Ende würde es auch noch zusätzliche Reisekosten verursachen.

Lesen Sie im profil 13/2012: "Einfach nur peinlich" - Der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek über die notorische Schwäche der österreichischen Außenpolitik und unnötige EU-Botschaften.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur