Weg mit der Wehrpflicht!

Weg mit der Wehrpflicht! Warum das Bundesheer völlig neu definiert gehört

Bundesheer. Warum das Bundesheer völlig neu definiert gehört

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Verteidigungsminister Norbert Darabos gefällt sich in einer neuen historischen Rolle. „Natürlich weiß ich, dass es ein für Österreich wichtiger Schritt ist, aber wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, Experten aus mehreren Ländern befragt und alles gründlich überlegt“, erklärt er im Gespräch mit profil. Der SPÖ-Politiker wird am Montag dieser Woche in der „Sala terrena“ der Landesverteidigungsakademie in der Wiener Stiftskaserne verkünden, dass die 1956 für das damals neu geschaffene Bundesheer eingeführte allgemeine Wehrpflicht möglichst noch heuer abgeschafft oder zumindest ausgesetzt werden soll.

Zunächst wird Darabos, der selbst ­Zivildiener war, sieben verschiedene Modelle zur Zukunft des Bundesheers präsentieren, dar­unter auch den gegenwärtigen Status quo mit aufrechter Wehrpflicht. Aber Darabos wird klarstellen, welches Modell davon seine Zustimmung wie auch den einstimmigen Segen des SPÖ-Präsidiums am vergangenen Mittwoch gefunden hat: das von Schwedens konservativer Regierung kopierte Modell Nummer drei eines Berufsheers mit einer Miliz aus Freiwilligen und zusätzlichen, für kürzere Zeitspannen verpflichteten „Soldaten auf Zeit“. Darabos, der noch vor wenigen Monaten die Beibehaltung der Wehrpflicht als „in Stein gemeißelt“ bewertet hat, möchte die wohl folgenschwerste Reform des Bundesheers einleiten. Die Chancen dazu stehen so gut wie noch nie:

• Die geopolitische Lage und der Beitritt zur Europäischen Union führten dazu, dass Österreich heute nur noch von Staaten umgeben ist, von denen auf absehbare Zeit keine militärische Aggression mehr zu erwarten ist.

• Nur noch drei EU-Staaten außer Österreich halten an der allgemeinen Wehrpflicht fest: Finnland, Griechenland und Zypern. Zuletzt hat auch die deutsche Regierung die Wehrpflicht ausgesetzt.

• Die klassische Landesverteidigung, bei der das Bundesheer noch während des Kalten Kriegs das Konzept der Raumverteidigung mit Guerilla-Taktik und Verteidigung von strategisch wichtigen Verkehrswegen verfolgte, ist längst überholt.

Die Einberufung von jährlich bis zu 26.000 Grundwehrdienern erscheint vor diesem Hintergrund als zunehmend sinnlose und von den Entwicklungen in der europäischen Sicherheitspolitik überholte Maßnahme. Wozu sollen so viele junge Männer ein halbes Jahr ihres Lebens für einen immer sinnloser empfundenen Militärdienst opfern? Denn auf die im Rahmen der gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU-Länder vorgesehenen Missionen oder Auslandseinsätze werden ohnehin keine Präsenzdiener entsandt, sondern nur Berufs- oder Milizsoldaten mit längerer Ausbildung.

Cyberwar.
Das Verteidigungsministerium nennt als neue Bedrohungen Terrorismus und Cyberwar-Angriffe auf Kommunika­tionseinrichtungen, dazu noch konventionelle Attacken auf Energiezentralen. Aber gerade in der Abwehr dieser neuen Gefahren sind Präsenzdiener fehl am Platz. Ein Cyberwar-Angriff benötigt EDV- und IT-Fachkräfte, die in einer modernen Berufsarmee verstärkt Platz finden sollten.

Dazu kommen die Verpflichtungen zur Verteidigungspolitik, die Österreich als EU-Mitglied zuletzt im Vertrag von Lissabon eingegangen ist. Die bereits 1992 beschlossenen „Petersberg-Aufgaben“ sehen neben humanitären Operationen auch „Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“ vor. Daneben soll die Kooperation bei der militärischen Beschaffung verstärkt werden. Nur ein modern ausgestattetes Berufsheer ist in der Lage, die immer breiter angelegten Aufgaben in der europäischen Verteidigungspolitik zu erfüllen. Darabos will für diese Einsätze zumindest tausend Soldaten ständig zur Verfügung haben.

Erstmals beschickt heuer das Bundesheer eine Battlegroup der EU mit 180 Soldaten, an der auch Verbände aus Deutschland, den Niederlanden, Finnland und Litauen beteiligt sind. Seit 1. Jänner ist die Battlegroup für ein halbes Jahr einsatzbereit und kann jederzeit für bis zu vier Monate in eine Krisenregion entsandt werden. Eine erste Übung in den Niederlanden verlief erfolgreich. Auch für UNO-Blauhelm-Einsätze werden gut ausgebildete Spezialisten gebraucht und nicht Grundwehrdiener.

Einen Vorteil hat die Einberufung von Präsenzdienern allerdings: Freiwillige melden sich nach der Grundausbildung leichter zum weiterführenden Dienst im Heer, auch zu Auslandseinsätzen. Viele spätere Führungskaderangehörige kamen erstmals durch den Wehrdienst mit dem Militär in Kontakt.

Während in Schweden die Rekrutierung von freiwilligen Soldaten derzeit gut verlaufen soll, werden aus NATO-Ländern wie Belgien oder den Niederlanden Probleme gemeldet. Nicht immer melden sich bestqualifizierte Leute, sondern immer häufiger auch Personen, die im zivilen Berufsleben versagten. Doch eine Rückkehr zur 1992 ­abgeschafften Wehrpflicht komme nicht infrage, betonte der belgische Generalleutnant Baudoin Sommers bei einer Enquete in Wien. Belgien habe sich auf internationale Einsätze konzentriert, und dafür seien Wehrpflichtige ungeeignet.

Natürlich spielt die Höhe des Soldatensolds eine wichtige Rolle. Kann diese mit dem Lohnniveau ziviler Jobs mithalten, steigt auch die Qualität der Bewerber. So melden sich für UNO-Einsätze stets mehr österreichische Soldaten, als gebraucht werden. Nettogehälter ab 4000 Euro stellen einen ausreichenden Anreiz dar.

Bleibt der Katastropheneinsatz im Inland:
Präsenzdiener stellen beim Kampf gegen Hochwasser billige Arbeitskräfte dar. Sie sollen künftig durch freiwillige Hilfskräfte ersetzt werden, ergänzt durch Berufssoldaten. Darabos will dafür zehntausend Mann bereitstellen und durch Prämien anwerben.

Das von Darabos avisierte Mischsystem aus Berufssoldaten und Milizangehörigen kann gerade bei Naturkatastrophen flexibel reagieren. Gleichsam auf Knopfdruck sollen so Tausende Reservisten zum Einsatzort gebracht werden. Diese sind für diesen Dienst weit besser ausgebildet als normale Grundwehrdiener. Also auch kein Argument zur Beibehaltung der Wehrpflicht.

Geschönte Zahlen.
Bleibt der Streit um die Kosten eines auf Berufssoldaten und Freiwillige aufbauenden Heers. Generalstabs­offiziere des Bundesheers stützen sich gerne auf eine Dissertation eines Heeresangehörigen, wonach ein Berufsheer doppelt so teuer käme wie das bisherige System, also über vier Milliarden Euro kosten würde. Freilich: Die Rechnung stimmt nur, wenn jeder Grundwehrdiener durch einen Berufssoldaten ersetzt werden müsste, was nicht geplant sei, so Darabos. Er behauptet, dass die Abkehr von der Wehrpflicht mit dem gleichen Budget wie bisher zu finanzieren wäre.

So lautete auch die Vorgabe an seinen Planungsstab: Der Umstieg von der Wehrpflicht dürfe keinesfalls teurer kommen als das jetzige Bundesheer, das jährlich 2,1 Milliarden Euro erhält. Spitzenoffiziere bezweifeln die vorgelegten Hochrechnungen. „Man hat hier die Zahlen geschönt. Das geht sich nie aus“, so ein hoher Offizier. Schon jetzt sei es nur sehr schwer gewesen, die 2000 Mann für die so genannten „Kaderpräsenzeinheiten“ (KPE) anzuwerben. Diese Freiwilligen verpflichten sich auf drei bis sechs oder höchstens neun Jahre zum Dienst im Heer und erhalten durchschnittliche Monatsgehälter von rund 2300 Euro brutto. In ähnlicher Höhe soll sich auch die Entlohnung der nach einem Ende der Wehrpflicht anzuwerbenden 8000 Mann, die als Soldaten auf Zeit die bisherigen Rekruten ersetzen, bewegen.

Im Kabinett Darabos werden diese Einwände zurückgewiesen. Natürlich müssten Berufsoffiziere die Wehrpflicht verteidigen, die bisher ihre Existenz gesichert habe. So wie in Schweden würden sich auch in Österreich durchaus genügend Freiwillige melden. Dafür werde auch ein Prämiensystem und eine kostenlose Ausbildung, die eine spätere Rückkehr ins zivile Leben erleichtere, sorgen.

Neben den derzeit ziemlich verunsicherten Berufssoldaten üben sich vor allem ÖVP-Politiker in hinhaltendem Widerstand oder gehen in Deckung. „Wir sehen überhaupt keinen Grund, die Wehrpflicht abzuschaffen und durch eine bezahlte Truppe zu ersetzen“, stellte ÖVP-Chef Josef Pröll über seinen Sprecher klar. Der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas urgiert eine tiefere Debatte über die künftigen Ziele Österreichs in der EU-Sicherheitspolitik und stellt den Zweck der Neutralität infrage. „Die SPÖ zäumt das Pferd vom Schwanz auf. Aber auch ich erkenne in den Verteidigungsbudgets der EU-Länder ein enormes Einsparungspotenzial.“

Trauma 1934.
Bereits im vergangenen September hatte Außenminister Michael Spindelegger mit Plänen zu einer „Wehrpflicht light“ aufhorchen lassen. Ein Arbeitskreis unter seiner Leitung schlug damals eine deutliche Reduktion des Bundesheers auf 15.000 Mann vor. Dafür bräuchten auch weit weniger Präsenzdiener als bisher eingezogen zu werden, hieß es. Eine Abkehr von der Wehrpflicht wurde ausgeklammert. Damals erinnerte Darabos die ÖVP an das Regierungsprogramm, „worin sich die Regierung ganz deutlich zur Wehrpflicht bekennt“.

Jetzt werden in der ÖVP alternative Modelle überlegt, etwa die Frage, ob Wehrpflichtige künftig wählen sollen, ob sie nach vier Monaten Wehrdienst später noch zwei Monate an Übungen anhängen oder durchdienen wollen.
Doch die Nervosität in der Volkspartei steigt. Blockiert sie Darabos’ Reformpläne, könnte die Abschaffung der Wehrpflicht bei den nächsten Nationalratswahlen 2013 der SPÖ junge Wähler zutreiben, ganz ähnlich wie bereits 1971, als Bundeskanzler Bruno Kreisky den damals neunmonatigen Präsenzdienst mit dem Wahlschlager „Sechs Monate sind genug“ verkürzt hatte. Dass Darabos nun mit seinen Plänen zur Abschaffung der Wehrpflicht laufend auf christdemokratische Politiker wie den deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg oder die konservative Regierung in Schweden verweist, hat die ÖVP zusätzlich verunsichert.

Bundeskanzler Werner Faymann kündigte vorige Woche beschwichtigend an, mit der ÖVP Gespräche zur Heeresreform starten zu wollen. Denn die SPÖ brächte zwar die laut Wehrgesetz für eine Aussetzung der Wehrpflicht notwendige einfache Mehrheit gemeinsam mit den Grünen und dem BZÖ zustande, aber ein Alleingang in einer so wichtigen Frage ohne Volkspartei würde wohl zu einem Koalitionsbruch führen.

Doch daran will in der SPÖ niemand denken. Darabos verweist vor allem auf die Stärkung der Milizeinheiten, um damit die weiterhin gesicherte ­Verankerung des Heers in der Bevölkerung zu betonen. Auch in der eigenen Partei gibt es nach den Erfahrungen im Bürgerkriegsjahr 1934 noch immer Vorbehalte gegenüber einer Berufsarmee. Doch in der vorwöchigen Präsidiumssitzung zeigten sich die SPÖ-Granden von Darabos’ Vortrag beeindruckt, verrät ein Teilnehmer. Selbst Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, die zuvor Sorgen über Einsparungen bei den Militärkommandos und über höhere Kosten durch den Wegfall des Zivildienstes geäußert hatte, lobte die Präsentation des Verteidigungsministers
als „vorbildlich“. Zudem präsentierte Sozialminister Rudolf Hundstorfer ein Ersatzmodell für den Zivildienst, das ebenfalls ­keine höheren Kosten verursachen soll.

Vorbehalte in der SPÖ gab es vorige Woche noch vom Wehrsprecher der SPÖ, Stefan Prähauser, und vom Gewerkschaftschef Erich Foglar. Auch Bundespräsident Heinz Fischer will weiterhin an der Wehrpflicht festhalten.
Die SPÖ ist entschlossen, die Österreicher über die Wehrpflicht bei einer Volksbefragung oder Volksabstimmung zu befragen. Darabos will damit auch den „oft gehörten Vorwurf der Abgehobenheit der Politik von der Bevölkerung entkräften“.

Dass ein solches Referendum zugunsten einer Abschaffung der Wehrpflicht ausgehen werde, davon ist Darabos auch wegen einer im Vorjahr bestellten Meinungsumfrage beim Sora-Institut überzeugt. 58 Prozent von 1400 Befragten sprachen sich gegen die Wehrpflicht aus. Dabei fiel auf, dass sehr viele Anhänger der Wehrpflicht gar nicht beantworten konnten, wieso sie gegen eine Abschaffung eintreten.

Auch in einer neuen Umfrage des Karmasin-Instituts im Auftrag von profil lehnen 64 Prozent die Wehrpflicht ab und bevorzugen ein Berufs- oder Freiwilligenheer. Noch im Sommer 2010 waren es nur 48 Prozent.

Der Trend geht also klar gegen die Wehrpflicht. Einige Unsicherheit bei Meinungsforschern lösen nur jene Männer aus, die Militär- oder Zivildienst abgeleistet haben und diesen Dienst am Staat nun auch von den Jüngeren einfordern.

Schreibstube.
Doch Befragungen von Präsenzdienern ergeben ein klares Bild: Die Mehrheit hält die sechs Monate Dienst mit der Waffe großteils für Zeitverschwendung. Allgemeines Lob findet das integrative Element, dass junge Männer aus allen sozialen Schichten sechs Monate beisammen sind. Aber nach einer sechswöchigen Grundausbildung wird die Mehrheit der Grundwehrdiener zu Diensten vergattert, die sehr oft als wenig sinnvolle Tätigkeiten empfunden werden: Hilfsdienste in der Schreibstube oder als Fahrer, Koch bis hin zum umstrittenen Grenzeinsatz im Burgenland.

„Immer mehr Präsenzdiener zweifeln die Sinnhaftigkeit ihres Dienstes für den Staat an“, warnt der ÖVP-Abgeordnete und frühere Milizsprecher Michael Ikrath. „Wenn das Bundesheer die Präsenzdiener nicht sinnvoller einsetzen kann, bin auch ich für eine Abschaffung der Wehrpflicht. Aber zuvor sollte noch über die künftigen Aufgaben des Bundesheers geredet werden.“

Der frühere Sektionschef und Beauftragte für strategische Studien im Verteidigungsministerium, Erich Reiter, drückt es noch drastischer aus: „Die Wehrpflicht ist heute großteils eine reine Geldverschwendung. Junge Leute werden mangelhaft für längst nicht mehr benötigte militärische Ziele ausgebildet. Wegen des Fehlens von moderner Ausrüstung und Bewaffnung wären die jungen Männer im Ernstfall ohnedies chancenlos. Und für Friedenseinsätze im Ausland darf man sie nicht einsetzen.“

Die Wehrpflicht bindet durch Tausende Ausbildner mehr als die Hälfte des Bundesheerpersonals und verschlingt mehr als 40 Prozent des Verteidigungsbudgets. Geld, das wesentlich effizienter in eine kleinere Berufsarmee investiert werden könnte, so Reiter.

Wirtschaftlich würde die Abschaffung der Wehrpflicht nur eine vorübergehende Belastung des Arbeitsmarkts bedeuten. Bereits im Jahr 2001 hat die damalige Forscherin am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), Gudrun Biffl, im Auftrag des Verteidigungsministeriums eine Studie über „Implikationen eines Freiwilligenheers für den österreichischen Arbeitsmarkt“ präsentiert. Schon damals kam sie zum Schluss, dass unter Berücksichtigung aller gesellschaftlichen Kosten des Wehrdienstes „das Modell des Heers mit wehrpflichtigen Grundwehrdienern nicht billiger ist als das Modell eines Freiwilligenheers“. Biffl merkte an, dass „der spezialisierte Einsatz des Militärs in Friedensmissionen eine berufsspezifische Ausbildung voraussetzt, über die Grundwehrdiener häufig nicht verfügen“.

Dazu kommen negative Folgen wegen des späteren Eintritts in den Arbeitsmarkt. „Der Grundwehrdienst ist wegen der Einkommensverluste gegenüber einer Marktbeschäftigung mit einer Besteuerung von Jugendlichen gleichzusetzen“, kritisierte die Studie.

Sie schließt mit einer Prognose:
„Der gesamtwirtschaftliche Nutzen aus der Reform wird daher Kosten, die im Gefolge der Umstellung der Systeme auftreten können, deutlich übertreffen.“

Biffl, heute Professorin an der Donau­universität Krems, hält ihre Studie noch immer für unverändert gültig: „Ich freue mich, dass meine Forschungsergebnisse nun endlich berücksichtigt werden.“

Lesen Sie im profil 3/2011 ein Interview mit Verteidigungsminister Norbert Darabos über seine Pläne für die Heeresreform.