Causa Kurz: Hält der Falschaussage-Schuldspruch?
Sebastian Kurz ist ein Mensch, der nichts dem Zufall überlässt. Die Übernahme von ÖVP-Parteivorsitz und Kanzleramt im Jahr 2017 bereitete er mit einem kleinen Kreis an loyalen Mitarbeitern über Monate hinweg im Rahmen des „Projektes Ballhausplatz“ vor. Später bekannt gewordene Strategiepapiere aus dem Team Kurz zeigen, wie akribisch die Machtergreifung geplant war.
Auf hunderten Seiten waren interne Abläufe, Klausuren, Gesprächstermine mit Parteimitgliedern, Spendern und Journalisten vorgezeichnet. Aber auch Personalfragen widmete sich die Truppe: von Kabinettsmitarbeitern über Sektionsleiter bis hin zu Regierungsmitgliedern. Lange, bevor überhaupt ein Wahltermin feststand. Auch in den Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ spielten Jobs im Einflussbereich der Regierung eine wesentliche Rolle. FPÖ-Verhandler Arnold Schiefer und sein Gegenüber Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, hielten Postenbesetzungen in einem Sideletter fest.
„Neuer Stil“ und viele Chats
Sebastian Kurz ist ein Mensch, der sein Image stets sorgsam gepflegt hat. Als der damalige Bundeskanzler am 24. Juni 2020 im parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss zu den Absprachen befragt wurde, behauptete er: „Ich habe keine Ahnung, was die vereinbart haben.“ Auch zur Auswahl der Mitglieder des Aufsichtsrates der Staatsholding ÖBAG äußerte er sich eher zurückhaltend. Politischer Postenschacher passte nicht zu dem, was die türkise ÖVP als „neuen Stil“ verkauft hatte. Was Kurz damals nicht wusste: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gelangte an tausende Chatnachrichten zwischen Thomas Schmid und Spitzen der Volkspartei.
Im Untersuchungsausschuss herrscht Wahrheitspflicht. Nach einer Anzeige von SPÖ und Neos nahm die WKStA Ermittlungen auf. In einem aufsehenerregenden Prozess wurde Kurz 2024 wegen Falschaussage – nicht rechtskräftig – zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Und zwar wegen seiner Darstellungen zur ÖBAG-Aufsichtsratskür.
Berufungsverhandlung am OLG
Diesen Montag entscheidet sich, ob das Urteil hält. Das Oberlandesgericht Wien (OLG) hat eine öffentliche Berufungsverhandlung angesetzt. Diese soll rund drei Stunden dauern – und kann auf unterschiedlichste Weise verlaufen. So kann das OLG in der Sache selbst entscheiden, also entweder einen Freispruch fällen oder den Schuldspruch bestätigen. In diesem Fall wäre die Causa rechtskräftig beendet.
Bliebe der Schuldspruch aufrecht, würde sich das OLG dann auch gleich mit dem Strafmaß befassen. Im konkreten Fall könnte es die Strafe auf der ursprünglichen Höhe belassen oder diese senken. Eine Strafverschärfung ist nicht möglich, da die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft als Anklagebehörde ihrerseits kein Rechtsmittel gegen das Urteil aus der ersten Instanz erhoben hat.
Zurück auf Start?
Eine weitere Möglichkeit ist allerdings, dass am Montag noch keine finale Entscheidung in der Causa rund um die mutmaßliche Falschaussage fällt. Stellt das OLG Mängel im Urteil der ersten Instanz fest, kann sie den Akt nämlich zur neuerlichen Verhandlung an das Wiener Straflandesgericht zurückschicken. Letzteres wäre dann an gewisse Vorgaben und Rechtsansichten des Obergerichts gebunden. Theoretisch kann das Oberlandesgericht auch selbst in der Berufungsverhandlung neue Beweise aufnehmen – wenn das zum Beispiel von einem der Verteidiger beantragt und vom Gericht genehmigt wird. In diesem Fall würde das OLG wohl noch einen weiteren Verhandlungstag ausschreiben, bevor es zu einer Entscheidung gelangt.
Die Kurz-Verteidigung hat eine Reihe von Möglichkeiten, wie sie das Urteil bekämpfen kann: War der Richter aus der ersten Instanz befangen? Hat das Gericht die Aussagen von Kurz vor dem U-Ausschuss semantisch falsch interpretiert? Hat das Landesgericht diffizile Rechtsfragen richtig beurteilt – wie zum Beispiel den viel zitierten „Aussagenotstand“ im Untersuchungsausschuss?
Neue Podcast-Staffel „Nicht zu fassen“
Darüber entscheidet beim Oberlandesgericht ein Drei-Richter-Senat. Die Anklage wird entweder durch die Oberstaatsanwaltschaft vertreten oder durch die WKStA selbst. Anwesenheitspflicht für die Angeklagten – in diesem Fall neben Sebastian Kurz auch noch sein früherer Kabinettschef Bernhard Bonelli – besteht nicht. Beide haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Schuldig oder nicht? Diese Entscheidung ist auch ein Urteil darüber, wie Sebastian Kurz einst Politik gemacht hat. Mehr Schein als Sein? Politische Markenpflege um jeden Preis? Das sind Fragen, denen profil nun auch im Investigativ-Podcasts „Nicht zu fassen“ ausführlich nachgeht – in einer eigenen Staffel zu Sebastian Kurz.