Sebastian Kurz vor Medien
Urteil

Acht Monate bedingt: Was passiert jetzt mit Sebastian Kurz?

Was das – nicht rechtskräftige – Urteil gegen den Ex-Kanzler und früheren ÖVP-Chef rechtlich und politisch bedeutet, und wie es mit ihm nun weitergehen könnte.

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Sebastian Kurz „ist schuldig“, entschied Richter Michael Radasztics am Straflandesgericht Wien vergangenen Freitag. Das Urteil gegen den früheren Bundeskanzler, nun Investor und Unternehmensberater, war nach zwölf langen Verhandlungstagen gefällt: acht Monate bedingte Haft. 

In zwei Anklagepunkten zum Vorwurf der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss ist Kurz freigesprochen worden, in einem nicht. Bei Letzterem geht es um Aussagen bezüglich seiner Einbindung in die Aufsichtsratsbestellung bei der Staatsholding ÖBAG. Kurz selbst ist der Meinung, dass er das Ausmaß seiner Einbindung ausreichend dargelegt hat. Im U-Ausschuss sei er dabei jedoch unterbrochen worden, dann sei seine Redezeit vorbei gewesen. Er habe gar nicht die Möglichkeit gehabt, seine Rolle bei der Besetzung von Spitzenposten darzulegen. Der Richter sah das anders und deutete seine Ausführungen als Falschaussage. Kurz hat Rechtsmittel angemeldet, das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Aber was bedeutet das für Sebastian Kurz? Kann die ÖVP noch so treu zu ihm halten wie bisher, ohne ihre Wählerschaft zu kränken? Und wie oft werden Befragte in U-Ausschüssen sich nun an Ereignisse „nicht erinnern können“, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden?

Der „schuldig“-Gesprochene selbst empfindet das Urteil als „sehr ungerecht“. Er sei „optimistisch, dass wir in zweiter Instanz recht bekommen“.

profil hat mit dem Juristen Robert Kert und der Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik die wichtigsten Szenarien erörtet.

1. Welche rechtlichen Möglichkeiten hat Sebastian Kurz nach dem Urteil?

Bereits unmittelbar nach der mündlichen Urteilsverkündung kündigte Sebastian Kurz an, mit allen juristischen Möglichkeiten gegen den Schuldspruch anzukämpfen. Laut Robert Kert, Professor für Strafrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien, gibt es für den Ex-Kanzler genau drei Möglichkeiten: Er kann aufgrund der Beweiswürdigung in Berufung gehen, gravierende Verfahrensmängel oder Fehler bei der Anwendung des Strafgesetzes beanstanden oder die Art und Höhe der Strafe anfechten.

Es ist davon auszugehen, dass die Verteidigung von Sebastian Kurz alle drei dieser rechtlichen Hebel betätigen wird. Solange noch keine schriftliche Urteilsbegründung des Richters vorliegt, können Juristen über die Details nur spekulieren. Einige mögliche Anhaltspunkte liefert Kert dennoch im profil-Gespräch: Kurz könnte bei seiner bisherigen Verteidigungsstrategie bleiben, dass er im Ibiza-U-Ausschuss nicht falsch ausgesagt hätte. Er könne auch darauf pochen, dass seine – laut Erstgericht unvollständigen – Aussagen vor dem U-Ausschuss keine falsche Aussage im Sinne des Strafgesetzes seien. Auch einen allfälligen Aussagenotstand könne er zu seiner Verteidigung heranziehen, dann müsse er jedoch argumentieren, falsch ausgesagt zu haben, weil sonst die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung bestanden hätte. 

(Kurz hat im Prozess wiederholt betont, bei seiner Aussage im U-Ausschuss Sorge vor strafrechtlicher Verfolgung gehabt zu haben. Richter Radasztics verglich allerdings das Aussageverhalten des damaligen Kanzlers mit jenem, das er bei einer späteren Befragung im Ausschuss an den Tag gelegt hatte. Radasztics kam – zusammengefasst – zu dem Schluss, dass Kurz beim ersten Mal nicht so agiert hätte wie jemand, der besonders große Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen habe.)

Für den weiteren Rechtsweg müssen die Kurz-Anwälte auf das schriftliche Urteil warten, welches in Ausarbeitung ist. Es gibt keine Frist – das kann Wochen bis Monate dauern. Erst danach kann Kurz in die nächste Instanz gehen, die übrigens auch die letzte Instanz ist. Gibt ihm das zuständige Oberlandesgericht Wien recht, würde das Urteil aufgehoben und könnte das Oberlandesgericht selbst eine Entscheidung treffen oder eine Wiederholung des Verfahrens in erster Instanz anordnen. Über die Strafhöhe kann jedenfalls das Oberlandesgericht entscheiden. So lange gilt Kurz als unschuldig.

2. Was bedeutet „8 Monate bedingt“?

„Die Strafe wurde verhängt, sie wird aber vorläufig nicht vollstreckt“, erklärt Strafrechtsexperte Kert. Angenommen, das Urteil wird rechtskräftig, dann dürfte Sebastian Kurz während einer Probezeit von drei Jahren nicht rückfällig werden. Bedingte Strafnachsicht heißt dies laut Gesetz und bedeutet nichts anderes als „Strafe auf Bewährung“.

Richter Michael Radasztics anlässlich des Prozesses gegen Ex-Bundeskanzler Kurz wegen Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss am Landesgericht in Wien

Richter Michael Radasztics sah bei Kurz keinen Aussagenotstand gegeben.

Abgeordnete seien aber dafür verantwortlich, im U-Ausschuss konkrete Fragen zu stellen.  

3. Wann müsste Kurz ins Gefängnis?

Begeht er während der Probezeit eine gerichtliche Straftat (darunter fällt etwa eine erneute Falschaussage in einem anderen Gerichtsverfahren), dann könnte die bedingte Nachsicht widerrufen werden und müsste Sebastian Kurz für acht Monate ins Gefängnis.

4. Was bedeutet das Urteil für allfällige weitere Verfahren?

Gegen Sebastian Kurz laufen weitere Ermittlungen. Deren Ausgang nimmt das erste Urteil nicht vorweg. Sollte es zu weiteren Anklagen und allenfalls wieder zu einer Verurteilung kommen, müsste der Richter aber die jetzige Strafe beachten und nur eine Zusatzstrafe verhängen, also nur noch die Differenz zwischen einer Gesamtstrafe und den acht Monaten. 

5. Welche politische Signalwirkung hat das Urteil? 

Sebastian Kurz ist kein aktiver Politiker mehr (und erklärt auch immer, keiner mehr sein zu wollen) – dennoch ist er stark im Fokus. Über seiner Person schwebe „rechtlich Ungeklärtes“, sagt Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik an der Universität Graz. Dazu kommt laut Praprotnik: ÖVP-Mitglieder würden sich unisono loyal gegenüber dem früheren Parteichef zeigen.

Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer wollte im Kurz-Prozess zuletzt „keine Belastung für den Wahlkampf“ erkennen. Nehammers Loyalität gegenüber Kurz galt seit der ersten Stunde. Alle sieben aktiven ÖVP-Regierungsmitglieder hatten im Oktober 2021 eine gemeinsame Erklärung unterschrieben, hinter Sebastian Kurz zu stehen, kurz bevor seine Kanzlerschaft nach der „Chat-Affäre“ zu Ende ging. 

„Folgenschwer“ für die Partei sei das Urteil laut Praprotik nicht – aber „unangenehm“. Den Türkisen würde es in die Hände spielen, dass bis zu den EU- und Nationalratswahlen noch etwas Zeit verbleibe. Außerdem bewerten Wählerinnen und Wähler Ereignisse „durch eine parteipolitische Brille“, was der Partei viel Argumentationsspielraum verschafft. Wie groß dieser ist, hängt jedoch stark davon ab, wie lange Kurz auf das schriftliche Urteil warten muss. Je später er in Berufung gehen kann, desto eher könnte dieses Urteil der ÖVP-Wahlagenda in die Quere kommen.

Aber muss die ÖVP ihre Loyalität Kurz gegenüber ablegen, jetzt wo ein erstes Urteil gegen ihn gefällt worden ist? Unter Wählerinnen gebe es auch noch Menschen, die hinter Sebastian Kurz stehen, erklärt Praprotnik. Würde sich die ÖVP klar gegen Kurz stellen, könnte sie diese Anhängerschaft potenziell verärgern, vermutet die Polit-Beobachterin.

Um künftige U-Ausschüsse macht sich die Politologin wenig Sorgen. Das Problem der „Erinnerungslücken“ von Politikerinnen und Politikern habe es in Untersuchungsausschüssen immer gegeben. Ein Problem kann diesbezüglich darin bestehen, dass parallel zu einem U-Ausschuss strafrechtliche Ermittlungen laufen. Mit einem gewissen „Spannungsverhältnis“ müsse man leben, meint Praprotnik: „Man kann weder ein Gerichtsverfahren aufschieben noch einen U-Ausschuss erst abhalten, wenn ein Urteil feststeht.“ Es müsse also weiterhin möglich sein, dass sowohl politische als auch juristische Aufklärung zur gleichen Zeit stattfinden kann. 

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.