Chinas Hilfs-Polizei in Wien: Spur zu Verein mit Polit-Connections

Von Stefan Melichar
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Anfang Dezember 2023. In einem Wiener Hotel gibt sich die Auslandschinesen-Community Österreichs ein großes Stelldichein. Die chinesisch-sprachige „European Times“ berichtet online mit zahlreichen Fotos. Darauf zu sehen: viele Herren in dunklen Anzügen mit roten Krawatten. Und rote Wiener Rathaus-Prominenz.
Ein führender Politiker des Wiener SPÖ-Gemeinderatsklubs schwingt eine Rede. Eine Gemeinderätin ergreift ebenso das Mikro wie ein hochrangiger Funktionär des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands in Wien. Vertreter zahlreicher Auslandschinesen-Organisationen aus Österreich sind erschienen. Und – quasi zur offiziellen Abrundung – auch ein Vertreter der chinesischen Botschaft.
Anlass für das Event: Die Amtseinführung neuer Funktionäre bei einer Organisation, die sich selbst als „The Chinese Association in Austria“ bezeichnet. Im Vereinsregister sucht man diese „Association“ allerdings vergeblich. Und auch die Internetpräsenz scheint sich auf chinesisch-sprachige Medienberichte zu beschränken. Dabei entfaltet diese Organisation offensichtlich einiges an politischer Anziehungskraft. Und nicht nur das. Seit geraumer Zeit gibt es Hinweise, dass es auch in Österreich – wie in anderen Ländern – eine Art inoffizielle chinesische Auslands-Polizeistation gibt beziehungsweise gegeben hat. Eine behördliche Parallelstruktur des autoritären Regimes, die in westlichen Staaten alle Alarmglocken schrillen lässt. In Österreich konnten nun erstmals die Spuren weiterverfolgt werden – und zwar ins Umfeld jener nicht registrierten „Association“ mit beträchtlichen SPÖ-Kontakten.
Investigativ-Projekt „China Targets“
profil ist Teil einer internationalen Investigativ-Kooperation unter der Leitung des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ). Bei der Recherche geht es unter anderem um Strategien der Machthaber in Peking, Einfluss auf die chinesische Community im Ausland zu nehmen und Regimegegner in aller Welt mundtot zu machen. Am Projekt namens „China Targets“ (sinngemäß übersetzt: in Chinas Visier) sind unter anderem der britische „Guardian“, die „Washington Post“, das ZDF, der „Spiegel“ und das deutsche Investigativ-Büro „Paper Trail Media“ beteiligt. In Österreich berichtet – neben profil – auch „Der Standard“.
Eine der chinesischen Auslands-Strategien in den vergangenen Jahren umfasste die Einrichtung inoffizieller Polizeidienststellen in zahlreichen Ländern – oft unter Einbindung lokaler Auslandschinesen-Organisationen mit gewissen Nahebeziehungen zur Kommunistischen Partei Chinas. Dies wurde 2022 durch die in Spanien ansässige Menschenrechts-NGO „Safeguard Defenders“ aufgedeckt.
Der Polizei-Station auf der Spur
Die NGO verwies bereits damals darauf, dass derartige Dienststellen nicht etwa nur Verwaltungs-Services für Auslandschinesen erbringen würden. Sie sollten auch mithelfen, die Stimmungslage der Auslandschinesen und öffentliche Meinungen einzufangen. Die Rede war zudem von einem politischen Informationsschub und von einer Involvierung in die Jagd nach angeblichen Kriminellen, die ins Ausland geflüchtet waren und heimgeholt werden sollten. Die Menschenrechtsaktivisten zitierten diesbezüglich unter anderem einen chinesischen Medienbericht aus dem Jahr 2019. Dieser befasste sich speziell mit Auslands-Polizeistationen, welche von den Sicherheitsbehörden einer Region namens Qingtian etabliert worden waren. Qingtian gilt als eine wichtige Herkunftsregion für chinesische Auswanderer auch in Österreich. Und eine der Auslands-Stationen der Behörde aus Qingtian verortete „Safeguard Defenders“ tatsächlich in Wien. Nähere Details blieben jedoch unbekannt – bis jetzt.
Auf Anfrage teilte die NGO nun weiterführende Informationen zu einschlägigen chinesischen Medienberichten. Einer dieser Artikel enthielt einen Screenshot einer Art – per Video-Konferenz abgehaltenen – Eröffnungszeremonie. Eine der Bildkacheln soll dabei die Dienststelle in Österreich zeigen. Zu sehen sind drei Personen. Das Bild ist allerdings zu klein, um diese zu identifizieren.
Aber es gibt noch mehr: Gewisse Connections in Sachen Auslands-Polizeistation sieht „Safeguard Defenders“ nämlich ausgerechnet in Bezug auf „The Chinese Association in Austria“ beziehungsweise auf früheres Führungspersonal der Organisation. Der ehemalige Präsident der „Association“ – ein Handelsunternehmer aus Wien – ist nämlich augenscheinlich auf dem Screenshot eines Videocalls abgebildet, den er mit Vertretern einer Sicherheitsbehörde aus Qingtian abgehalten haben soll. Wobei offenbar im Raum der Behörde das Symbol der Auslands-Polizei angebracht war. Dieser Screenshot findet sich in einem chinesisch-sprachigen Internet-Artikel aus dem April 2020. Damals ging es um die Situation der Auslandschinesen in der Corona-Pandemie.
„Auslandschinesen geholfen“
Der frühere Präsident der „Association“ ließ eine Anfrage von profil, „Standard“ und „Paper Trail Media“ unbeantwortet. Die damalige Generalsekretärin der Organisation, die in Wien lebende Li Qin, nahm jedoch telefonisch Stellung. Sie bestätigte dabei grundsätzlich die Involvierung, bestritt aber, dass es sich um Polizeiarbeit gehandelt habe. Mittlerweile gebe es das schon lange nicht mehr. Sie selbst sei auch nicht mehr im Verein tätig.
Sinngemäß erklärte Li Qin, man habe Auslandschinesen geholfen, die ihren Führerschein verlängern lassen wollten, aber wegen der Corona-Pandemie nicht nach China fliegen konnten. Eine fixe Räumlichkeiten dafür habe es nicht gegeben. Manche Leute seien zum damaligen Präsidenten des Vereins ins Geschäft gegangen. Man habe – sinngemäß – nichts mit der normalen Polizei zu tun gehabt, sondern mit der Verkehrspolizei. Es sei nur darum gegangen, zu helfen.
Diese Argumentation erinnert an offizielle Erklärungsversuche Chinas, nachdem seinerzeit die Existenz der Auslands-Dienststellen in verschiedenen Ländern aufgeflogen war. Eine andere Sprache spricht allerdings die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst in ihrem „Verfassungsschutzbericht 2023“: „Chinas Nachrichtendienste erachten die chinesische Diaspora in Österreich als eine wichtige Ressource, um ihre Ziele zu erreichen. In der Instrumentalisierung, Repression und Überwachung chinesischer Bürgerinnen und Bürger spielen auch die sogenannten chinesischen ‚Übersee-Polizeidienststellen‘ (‚OPS‘) eine essentielle Rolle. Bei diesen Polizeistationen handelt es sich um illegitime Parallelstrukturen, die sich zur Ausspähung und Beeinflussung der chinesischen Diaspora sowie zur Durchsetzung ideologischer Leitlinien der Kommunistischen Partei Chinas unter Auslandschinesen eignen.“
Connection ins SPÖ-Umfeld
Li Qin bestritt im Gespräch, etwas mit der Kommunistischen Partei zu tun zu haben. In Österreich engagiert sie sich aber sehr wohl politisch: Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Chinesische Unternehmer:innen“ des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands (SWV) Wien. Ihr Ehemann, Markus Hanzl, ist Vorsitzender der Sparte Handel im SWV Wien. Li und Hanzl sind – gemeinsam mit ihren Kindern – auch in einem Internet-Beitrag des Frauenverbands der Stadt Lishui, zu der Qingtian gehört, zu sehen – quasi als eine auslandschinesische Vorzeigefamilie. Li Qin wird dabei sinngemäß als Propaganda- oder Werbebotschafterin von Qingtian im Ausland dargestellt. Danach gefragt, meint sie, sie stelle lediglich China im Gespräch mit interessierten Menschen richtig dar. Einen gewissen Eindruck davon erhält profil im direkten Gespräch: Den Menschen in China gehe es gut, meint Li Qin. Sie seien zufrieden und glücklich. Der Wirtschaft gehe es gut. Die Leute hätten zufriedene Gesichter.
Ein anderer chinesischer Internet-Artikel widmet sich hingegen hauptsächlich Hanzl. Er wird darin als „Schwiegersohn Qingtians“ dargestellt und äußerst positiv zitiert, was die ursprüngliche Heimat seiner Frau betrifft. profil, „Standard“ und „Paper Trail Media“ fragten auch bei ihm nach. Würde der SWV-Wien-Spitzenfunktionär dem Eindruck zustimmen, dass es sich um einen Propaganda-Artikel handelte? Profitiert er politisch von einer besonders freundlichen Haltung gegenüber China? Falls nicht: Wie erklärt er sich dann seine vielen Vorzugsstimmen bei der Wiener Wirtschaftskammerwahl 2025? Tatsächlich war Hanzl mit großem Abstand Vorzugsstimmen-Kaiser in der Fachgruppe Gastronomie, obwohl er sich auf seiner Website hauptsächlich als Marktfahrer und Händler präsentiert. Hat er insbesondere von Betreibern von China-Restaurants überproportional viele Vorzugsstimmen erhalten? Hanzl wollte darauf nicht näher eingehen: „Die mit Ihren Fragen aufgeworfenen Annahmen entsprechen nicht den Tatsachen. Mehr werde ich dazu nicht sagen.“
Freundschaft und „Sonderfall“
Noch wortkarger zeigte sich der langjährige SPÖ-Politiker und frühere Bundespräsident Heinz Fischer. Er ist Präsident der Österreichisch-Chinesischen Freundschaftsgesellschaft (ÖGCF) – eine besonders wichtige Gruppierung im vielfältigen Beziehungsnetzwerk zwischen Peking und Wien. Die ÖGCF verfügt über ein eigenes „Überseechinesenkomitee“ – wobei Recherchen von „Paper Trail Media“ bei einigen früheren hochrangigen Funktionären auf mögliche Verbindungen zum sogenannten „United Front Work Department“ (UFWD) hinweisen. Das UFWD gehört zur Kommunistischen Partei. Es steht im Geruch, Propaganda und Einflussnahme im Ausland zu betreiben. Fischer ließ eine Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Im Verfassungsschutzbericht wird das UFWD – neben zwei zivilen und zwei militärischen Nachrichtendiensten Chinas – als „Sonderfall“ bezeichnet. Außerdem heißt es, chinesische Nachrichtendienste würden sich unter anderem um die Etablierung chinesisch-österreichischer „Freundschaftsvereine“ bemühen. Dabei handle es sich „um Soft-Power-Tools des chinesischen Propagandaapparates, mit denen unter anderem die Verbreitung eines chinafreundlichen Narrativs begünstigt werden soll“.
Heinz Fischer ist im Internet in einem Video aus dem Jahr 2022 zu sehen, als er sich im Rahmen eines „Menschenrechts-Seminars“ äußerst positiv über den Fortschritt für das „menschliche Individuum“ („individual human being“) in China seit den 1970er-Jahren äußerte. In Bezug auf Menschenrechte gebe es „unterschiedliche Zugänge“ („different approaches“), meinte Fischer. Unterlegt sind seine Worte im Video mit Hochglanz-Werbebildern aus dem Reich der Mitte – Menschen mit auffallend zufriedenen Gesichtern.

Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.