Erhard Grossnigg trat im Dezember an, um die zwei werthaltigsten Signa-Gesellschaften - Prime und Development - zu sanieren. Eine Sanierung ist gescheitert und Grossnigg will bald abtreten.
Interview

Signa-Sanierungsvorstand: „Dieser Kranke wird nicht mehr gesund“

Erhard Grossnigg, scheidender Sanierungsvorstand bei Signa, über die bevorstehende Komplett-Abwicklung, den „tüchtigen“ René Benko und seine Verwunderung, warum Signa für 110 Immobilien 700 Tochter-Firmen brauchte.

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Sie sind seit 1. Dezember Vorstandsvorsitzender der Signa Prime und der Signa Development. Was haben Sie bei ihrem Amtsantritt erwartet - und was ist dann anders gekommen?
Grossnigg
Die Idee, die ich bei Antritt hatte, war, eine Sanierung zu ermöglichen. Es war sofort klar, dass so eine Sanierung Geld braucht, aber keines da ist. Daher habe ich begonnen, die Aktionäre anzuschreiben, damit sie uns Geld borgen. Als ich diesen Brief geschrieben habe, war klar, dass wir Insolvenz anmelden müssen und dass dieses Geld dann einen ganz anderen Status haben wird (etwa als Massekredit, Anm.). Dass es also vorrangig zurückzuzahlen ist. Und trotzdem hat kein Aktionär Geld gegeben. Eigentlich haben wir bis heute kein Geld bekommen. Nur bei Signa Development hat eine Firma des Herrn Dr. Haselsteiner Geld zugeschossen.
Vor einigen Tagen haben die Gläubiger für eine Gesamtverwertung unter Kontrolle eines Treuhänders gestimmt. Offiziell läuft das Verfahren aber immer noch als „Sanierung“. Ist das nicht ein bisschen schönfärberisch - von der Signa wird am Ende des Tages ja nichts übrigbleiben?
Grossnigg
Das Sanierungsverfahren läuft noch bis Juni, dann übernimmt der Treuhänder. Das bedeutet, dass man losgelöst von den Insolvenzregeln bis zu fünf Jahre Zeit für die Verwertung hat. Und da können sich Dinge zum Guten oder zum Schlechten ändern. Ob es eine Sanierung ist, kann man hinterfragen. Aus meiner Sicht ist es keine. Die Sanierung eines Unternehmens bedeutet, dass man einen Kranken wieder gesund macht. Und dieser Kranke wird nicht mehr gesund. Um die Gläubiger zu befriedigen, muss das gesamte Vermögen verwertet werden. Es kann also nichts außer der Erinnerung übrig bleiben.
Sie gelten als jahrelanger Freund von Herr Dr. Haselsteiner. Hat er Sie überzeugt, die Aufgabe anzunehmen?
Grossnigg
Ich hatte in den letzten Jahren viele gemeinsame Unternehmungen mit Dr. Haselsteiner. Aber er hat mir von seinem Investment bei Benko nie erzählt. Ich habe Herrn Benko davor nie gesehen und seit ich da bin, habe ich ihn ein Mal für zwei Minuten gesehen.
Wie oft hatten Sie im Zuge der Sanierung Kontakt mit René Benko?
Grossnigg
Nie. Er wurde auch angeschrieben aber er hat nicht reagiert.
Ist das bedauerlich?
Grossnigg
Ich habe in meinem Berufsleben sehr viele Sanierungen abgewickelt. Ich habe schon erwartet, dass unsere Aktionäre dann auch das Unternehmen unterstützen. Aber das taten sie nicht.
Umgekehrt kam der Vorwurf immer wieder, auch im Zuge der Sanierung, dass nicht genug Transparenz geherrscht hat, dass man nicht ausreichend informiert wurde. Hätte man da nicht mehr tun können?
Grossnigg
Das sagen die Leute jetzt. Warum haben sie vorher nicht gefragt?

Auf Spurensuche

Signa ist aus der prächtigen Firmenzentrale im Palais Harrach auf der Wiener Freyung ausgezogen. Den neuen Firmeneingang im Palais Ferstl muss man suchen. Keine übergroßen Schilder, keine Signa-Fußmatten, es gibt nur eine Türglocke mit dem Firmenlogo.

Hatten Sie mit allen Gesellschaftern gleich viel Kontakt?
Grossnigg
Ja, natürlich. Ich habe es zumindest versucht. Die Signa Prime Selection und die Signa Development Selection sind zwei Aktiengesellschaften. Die eine hat 400 und die andere 300 Firmen unter sich. Und oben ist nichts. In den AGs sind nur Beteiligungsansätze an Tochterunternehmungen und wechselseitige Forderungen an 700 Firmen. Normalerweise haben Sie Anlagevermögen, Warenvorräte, eine Schreibmaschine. Aber da ist nichts! Es ist auch für Leute mit viel Erfahrung sehr schwierig, sich hier ein Bild zu machen. Viele Schwierigkeiten haben mit dem Gang des Herrn Benko in den Handel zu tun.
Warum hat man diese Mehrstöckigkeit in der Firmenstruktur gewählt?
Grossnigg
Es gibt hier komplexe steuerliche Regelungen. Das umfasst die Grunderwerbssteuer, die Gewerbesteuer in Deutschland sowie die Körperschaftssteuer. Ich glaube, man hat diese Struktur gewählt, um Steuern zu optimieren.

Die Firma, die nur 110 Gebäude besitzt, hat 17 Standorte und 700 Firmen. 

Erhard Grossnigg

zur Firmenkonstruktion bei Signa

Jetzt sind wir wieder bei der Frage, was Sie erwartet haben und was Sie vorgefunden haben.
Grossnigg
Die Firma, die nur 110 Gebäude besitzt, hat 17 Standorte und 700 Firmen. Wir haben 11 Standort allein in Deutschland, Standorte in der Schweiz, in Italien. Ich bin es gewohnt, in die Firme zu gehen und wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gibt, hole ich mir die Leute an den Tisch und wir reden. Hier sitzen die Leute am Bildschirm: einer ist in Zürich, einer in Berlin – und einer in Luxenburg. Nach vier Monaten in dem Laden ist einiges passiert. Die Struktur in diesem Unternehmen war ganz anders.
Zurück zu den Gesellschaftern. Hans Peter Haselsteiner hat sich durchaus selbstkritisch über die Dinge geäußert, die in der Vergangenheit passiert sind und man vielleicht genauer hätte hinsehen müssen. Hier waren mitunter die größten Kapazunder im deutschsprachigen Raum an Bord. Wie konnte diesen Menschen das passieren?
Grossnigg
Niemand hat hingeschaut und alle haben dem System vertraut. Benko ist ja ein tüchtiger Bursche. Wenn er nicht so tüchtig wäre, gäbe es kein Goldenes Quartier, kein Park Hyatt, kein Alsterhaus und weiß der Kuckuck was. Niemand hat solche Immobilien gemacht wie Benko. Er hat es auch geschafft, diese Immobilien enorm im Wert zu steigern. Und dann ist er in den Einzelhandel gegangen – Galeria, kika/Leiner. Das ist aber etwas anderes als Immobilien. Im Einzelhandel hat er nie etwas verdient, sondern nur Geld verloren.
Hatte der Gang in den Handel nicht auch den Hintergrund, dort Mieten erhöhen zu können und damit den Wert der Immobilien zu steigern?
Grossnigg
Das schreibt nur ihr! Das schreibt die Presse die ganze Zeit! Das sagt die Galeria und die KaDeWe Group: Wenn ich keine Mieten zahle, schreibe ich keinen Verlust. Wenn der Umsatz sinkt, muss dann auch die Miete sinken?
Nein, aber wenn ich Eigentümer von den Gebäuden und dem Handelsunternehmen bin, überlege ich, wie ich das eine Unternehmen saniere, ohne dem anderen zu schaden…
Grossnigg
Das ist wieder was anderes. Die Behauptung, dass die Mieten überhöht waren, stimmen aber einfach nicht.
Aus Ihrer Sicht war alles marktüblich?
Grossnigg
Ja. Aber das Geschäftsmodell der Galeria/Kaufhof hat ein Problem, weil die Leute da nicht mehr hingehen.
Wie viel hat René Benko eigentlich pro Jahr verdient? Er hatte ja einen Beratervertrag mit Signa Prime und Development.
Grossnigg
Seit ich da bin, bekommt er nichts mehr.
Und vorher?
Grossnigg
Das weiß ich nicht, die Vergangenheit schaut man nicht an.
Die Beraterverträge wurden mit Ende des Jahres aufgelöst, irgendwann müssen sie über Ihren Tisch gegangen sein?
Grossnigg
Ich habe keine Beraterhonorare mehr gezahlt. Dir Firma war in den letzten Monaten schon illiquid.
Wann ist aus Ihrer Sicht die faktische Insolvenz eingetreten?
Grossnigg
Wenn ich das jetzt sagen würde, wissen Sie, welche Konsequenzen das hätte? Ich sage es nicht, weil ich es nicht weiß. Diese Dinge werden irgendwann an ganz anderer Stelle aufgearbeitet werden. Wir bekommen jeden Tag Klagen. Es fühlen sich Leute betrogen. Die großen Versicherungen und die Großgläubiger sind aber alle Profis. Das ist die Klientel, die hier Geld verliert. Und dann schreibt profil zuletzt, dass irgendein kleiner Installateur die letzte Rechnung nicht bezahlt bekommt. Der hat hier jahrelang hohe Rechnungen gestellt, den bedauere ich ehrlich gesagt nicht. Ich bedauere auch die Anwälte nicht, die jahrelang hohe Rechnungen gestellt haben und bezahlt bekommen haben. Benko war offenbar ein extrem großzügiger Mensch. Und er hat seinen Reichtum zur Schau getragen.
Aber er besitzt ja offiziell nichts. Ist das wirklich sein Reichtum?
Grossnigg
Wenn einer jahrelang Millionen verdient, muss er was können und ist nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen. Er hat sich jahrelang 30, 50 Millionen Euro an Dividende ausbezahlt. Er hat nur die letzten Jahre nichts verdient.
Was ist aus Ihrer Sicht der Grund für den Zusammenbruch der Signa?
Grossnigg
Es gibt exogene Faktoren – und endogene Faktoren. Für die endogenen Faktoren ist die Firma verantwortlich. Da gibt es zwei wesentliche Gründe: Dass sie in das Handelsgeschäft gegangen sind, ohne etwas vom Handel zu verstehen. Und dass sie überproportional am deutschen Markt investiert haben. Zurzeit stecken 65 Signa-Immobilien in Insolvenzen – 64 in Deutschland, eine in Österreich. Bei den exogenen – also von außen kommenden – Faktoren spielte wiederum die Zinsentwicklung und die EZB-Entscheidung über die Sonderprüfung der Banken eine wichtige Rolle. Jahrelang waren die Zinsen extrem niedrig, und die Immobilienpreise sind steil hinaufgegangen. Von einem Tag auf den anderen hat sich das geändert. Und plötzlich war eine Immobilie, die – von einer Bank bewertet – vorher 1,2 Milliarden Euro wert war, nur noch 750 Millionen Euro wert.
War Benko letztlich doch zu unerfahren?
Grossnigg
Ein erfahrener Mensch hätte manches nicht gemacht. Ein Beispiel: Der Kauf von Selfridges hat einen Schippel Geld gekostet. Das hätte man nicht mehr machen dürfen. Da wurden insgesamt 3,5 Milliarden Euro ausgegeben, um die zu kaufen – von Signa und den thailändischen Partnern gemeinsam. 
Sie haben angekündigt, die Position als Sanierungsvorstand demnächst zurückzulegen. Es soll jemand kommen, der ein Experte für Immobilienverwertung ist.
Grossnigg
Das ist Herwig Teufelsdorfer. Er ist bereits in beratender Funktion im Haus. Am 10. April gibt es eine Hauptversammlung, bei der auch einige neue Aufsichtsräte gewählt werden. Der neue Aufsichtsrat wird dann hoffentlich die neuen Vorstände bestimmten. Ich habe bereits angekündigt, in beiden AGs meine Funktion zurückzulegen und nur noch eine Übergabe durchführen zu wollen. Herwig Teufelsdorfer soll – sofern die Aufsichtsräte zustimmen – CEO der Prime werden. Und in der Development würde Markus Neurauter diese Funktion übernehmen. Es steht mir aber nicht zu, die Entscheidung des Aufsichtsrats vorwegzunehmen.
Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu zwei Verdachtsmomenten ermittelt: Einerseits sollen in einem Fall Investorengelder nicht zweckkonform verwendet worden sein, andererseits geht es um eine Selbstanzeige wegen einer nicht rechtzeitig erfolgten Steuerzahlung. Betrifft etwas davon die Prime oder die Development?
Grossnigg
Die WKStA hat eine Presseaussendung gemacht und hat uns nicht informiert. Wir wissen es bis jetzt nicht. Daher kann ich nicht sagen, wer betroffen ist. Ich vermute, die Selbstanzeige wurde von einer Steuerberatungskanzlei gemacht, die viele steuerliche Angelegenheiten hier im Haus erledigt hat.
Im Sanierungsverfahren beigezogene Datenforensiker sind auf Transaktionen aus der Zeit vor der Insolvenz gestoßen, die sie sich zumindest auf den ersten Blick nicht erklären können. Können Sie ausschließen, dass jemand versucht hat, vor der Pleite Geld auf die Seite zu schaffen?
Grossnigg
Ich will es nicht ausschließen, aber ich weiß es einfach nicht.
Halten Sie es für möglich?
Grossnigg
Es gibt viele Meinungen, aber wenig Wissen. Zum Beispiel: Wir wollten mehrere Liegenschaften im Paket verkaufen. Das wurde kritisiert, weil ein Paket-Deal angeblich weniger Geld einbringt als ein Einzelverkauf. Wie kann das jemand sagen, ohne die Details zu kennen? Dieser Paket-Deal, den der Gläubigerausschuss abgelehnt hat, wäre ein erstklassiger Deal gewesen. Da wurden für vier Liegenschaften unsere Wunschpreise geboten. 
Die Signa – vor allem die Prime – braucht dringend Geld und hat nur wenig Zeit. Es ist bisher nicht geglückt, maßgeblich etwas zu verkaufen. Auch einen Massekredit gibt es bei der Prime nicht. Wie soll sich das ausgehen?
Grossnigg
Es ist eine schwierige Situation. 95 Prozent derjenigen, die heute Immobilien kaufen wollen, sind Schnäppchenjäger. Die glauben, sie bekommen es billig. Und es ist extrem komplex, Liegenschaften in einer solchen Größenordnung zu verkaufen. Allein die Due-Diligence-Prüfung dauert zwischen drei und neun Monaten.
Eine der Fragen, die im Raum stehen, ist: Ist in den vergangenen Jahren zu hoch bewertet worden?
Grossnigg
Jeder der mir bekannten Verkäufe in den letzten Jahren erfolgte über der internen Bewertung. Im Dezember ist es uns gelungen, eine Immobilie am Wiener Graben zu verkaufen. Da lag die Bewertung bei 60 Millionen Euro – bekommen haben wir 80. Es ist falsch, wenn die Leute sagen, dass die Bewertungen zu hoch waren. Auch hat die Bewertungen nicht die Signa gemacht. Die haben unabhängige Bewerter gemacht, unzählige Hände – inklusive der Investoren – geprüft und das jedes Jahr.
Den Gläubigern wird eine Quote von um die dreißig Prozent geboten, wobei das unter vielen Vorbehalten steht. Auf der anderen Seite gibt es bei der Signa Prime ein Worst-Case-Szenario von nur 5,5 Prozent. Wie realistisch ist denn der Worts-Case?
Grossnigg
Wir haben per 30. Dezember eine Immobilien-Transaktion abgeschlossen und werden wahrscheinlich das Geld in 14 Tagen bekommen. Das ist in der Insolvenz sehr kompliziert, weil es da verschiedene Zustimmungen braucht. Wir haben drei solche Immobilien, wo wir aufs Geld warten. Alle drei in Deutschland, alle geclosed.
Und wenn das Geld kommt, ist dann der Plan für Mai/Juni erfüllt?
Grossnigg
Die vorläufige Insolvenz bei vielen deutschen Projektgesellschaften endet Mitte/Ende April. Bis dahin brauchen wir Geld, um diese aus der Vorinsolvenz zu holen. Vielleicht gelingt es noch diese Woche, dass wir 100 Millionen Euro aus einem Massekredit bekommen. Ich verhandle mit vielen - aktuell befinden wir uns wieder mit einem potenziellen Geldgeber in der in der Endphase der Verhandlungen.

Zur Person:

Erhard Grossnigg, 77, wurde im Dezember 2023 als Sanierungsvorstand bei Signa Prime und Signa Development eingesetzt. Kurze Zeit später musste er beide Unternehmen in die Insolvenz schicken. Grossnigg gilt als langjähriger Freund von Strabag-Gründer und Signa-Gesellschafter Hans Peter Haselsteiner. Er selbst ist über Zwischenfirmen unter anderem an Ankerbrot, Bene und Gaulhofer beteiligt. Darüber hinaus gehört ihm die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten. Grossnigg gilt als erfahrener Sanierer. 

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).