Leonie Salzmann Särge statt Paragrafen
Arbeitsmarkt

Jobwechsel: Städtische Bestattung statt private Paragrafen

Lust auf Neues, Tätigkeiten mit Sinn: Warum Beschäftigte aus der Privatwirtschaft in den öffentlichen Dienst wechseln.

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Christoph Herzeg, geboren 1981 in Villach, hatte eine beeindruckende Karriere hinter und eine vielversprechende vor sich. Nach Stationen an der Uni und im Amt der steirischen Landesregierung heuerte der Jurist 2011 beim Kärntner Chemie- und Metallurgie-Konzern Treibacher an. Doch irgendwann verlor er die Lust am Business-Alltag. 2019 bewarb sich Herzeg erfolgreich als neuer Magistratsdirektor der Stadt Villach. Das Gehalt ist geringer, die Lust höher: „In einem Industriebetrieb beschäftigt man sich mit Wachstumsvorgaben und Umsatzprognosen für das nächste Jahr. In der Verwaltung beschäftigen wir uns mit der Zukunft der Stadt.“

Herzeg ist kein Einzelfall. Die Durchlässigkeit zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst ist mittlerweile Normalität: Im Idealfall lernen beide Welten voneinander. Doch angesichts des eklatanten Fachkräftemangels werden sie zu Konkurrenten am Arbeitsmarkt. Bund, Länder und Gemeinden stehen der Privatwirtschaft bei der Rekrutierung um nichts mehr nach – und werben gezielt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab.

Über Jahrzehnte galt: Der Staat ist behäbiger, bietet weniger Karrierechancen und will Beamte aus Spargründen eher loswerden als gewinnen. Familienfeindliche Wochenenddienste bei Bahn, Bus, Pflege- und Polizeistation trugen zum schlechten Ruf des Staates als Arbeitgeber bei. Doch dieses Image kann sich die öffentliche Verwaltung nicht mehr leisten. Die anstehende Pensionierungswelle in der Baby-Boomer-Generation erfasst den gesamten öffentlichen Dienst, vom Lehrer bis zur Krankenpflegerin.

Die Gründe für den Wechsel in den öffentlichen Dienst sind mannigfaltig. profil hat mit fünf Job-Hoppern gesprochen.

Thomas Vierich, 59, vom Journalisten zum Lehrer

Seine Ex-Frau zähle nach 30 Jahren als Lehrerin die Tage bis zur Pension. Thomas Vierich steigt mit 59 in den Job ein. Der studierte Historiker und Germanist war unter anderem Chefredakteur der „Österreichischen Gastro- und Hotelzeitung“ sowie Krimiautor. Am Beginn seiner Karriere hatte er auch unterrichtet. Darauf besann er sich, als ihn Storys über immer neue Hoteleröffnungen nicht mehr erfüllten. Über die Quereinsteiger-Plattform des Bildungsministeriums „Klasse Job“ meldete er sich für eine halbe Lehrverpflichtung über 12,5 Wochenstunden und gab mehrere Oberstufen-Gymnasien als Präferenz an. Er lud seine Zeugnisse hoch, absolvierte einen Online-Psychotest, bestand ein Hearing über Zoom. Die pädagogische Ausbildung kann er berufsbegleitend absolvieren. Im September geht es los. Welcher Schule er zugeteilt wird, weiß er noch nicht.

Viorela-Anca Olar, 35, von der Kellnerin zur Buslenkerin

„Ich war so abgehetzt. Ich hatte nicht einmal Zeit, Wasser zu trinken“, erinnert sich die 35-jährige Viorela-Anca Olar an ihren Kellnerjob in einem italienischen Restaurant im 21. Wiener Gemeindebezirk. „Ich verdiente 1200 Euro für Vollzeit. Überstunden wurden oft nicht bezahlt. Aber ich war eingeschüchtert und dachte, ich finde nichts Besseres.“ Zweifel daran kamen der gebürtigen Rumänin, die mit 15 Jahren mit den Eltern nach Österreich zog, beim Anblick einer Buslenkerin, die immer zur selben Uhrzeit am Lokal vorbeifuhr. „Sie wirkte zufrieden“, erinnert sich Olar. Auch der Verdienst von 1900 Euro brutto bereits in der Ausbildung war verlockend. 2018 wurde sie eine von 1350 Buslenkerinnen und -lenkern in der Stadt. Ihr Mann, der im selben italienischen Restaurant als Koch arbeitete, folgte ihr bald nach. Als Mutter konnte sie auf 30 Stunden reduzieren und wurde von den ständigen Wochenenddiensten befreit. Ewig will sie nicht Busse lenken, bei den Wiener Linien aber definitiv bleiben.

Adrian Aranyos, 35, von der Agentur ins Stadtratbüro

„Es ist wie Tag und Nacht“, erinnert sich der 36-jährige Adrian Aranyos an seine sieben Jahre in der Privatwirtschaft. Er arbeitete in mehreren Social-Media-Agenturen. Eigentlich ein sehr gefragter Job. Die Zeit sei jedoch von „enormem Leistungsdruck geprägt“ gewesen. „Anerkennung gab es selten, Benefits enden oft bei Eis oder Mineralwasser.“ Heute arbeitet Aranyos im Social-Media-Team des Wiener Klimastadtrates Jürgen Czernohorszky. „Ich finde es sinnvoller, Bürgerinnen und Bürger über Umwelt- und Klimathemen zu informieren, als Geld für die Chefs zu scheffeln.“ Neben dem Sinn ist es die Sicherheit, die ihm gefällt. „Wenn ich mich verändern will, könnte ich auch Förster im Wienerwald werden.“ Ein weiteres Zuckerl für ihn ist die betriebliche Gesundheitsförderung, von der Arbeitsmedizin bis zur Arbeitspsychologie. Er verdient heute für weniger Stress, mehr Anerkennung und Sinnerfüllung gleich gut wie früher. Auch, weil ihm die Stadt Vordienstzeiten angerechnet hat.

Leonie Salzmann, 28, von der Anwaltskanzlei zur Bestattung

Als sie die Anwaltsprüfung absolviert hatte, ging es rund auf ihrem LinkedIn-Profil. Headhunter kontaktieren sie mehrmals pro Woche über die Business-Plattform. „Als Juristin bist du ein rares Gut“, erinnert sich Leonie Salzmann (28). Doch bei ihr löste die Vorstellung, das Leben einer Anwältin zu führen, eine Sinnkrise aus. „Du vertrittst Einzelinteressen von Personen oder Firmen. Nach dem Fall hört man in der Regel nichts mehr voneinander. Ich wollte Teil einer Organisation sein, die für die ganze Gesellschaft relevant ist, mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Schichten.“ Ihre Wahl fiel auf die Bestattung Wien, die eine Assistenz für die Geschäftsführung suchte. „Am Thema Tod finde ich irrsinnig spannend, dass er noch immer ein Tabu ist, obwohl er jeden betrifft. Das gilt es aufzubrechen.“ Überrascht war sie, wie sehr das Thema „Nachhaltigkeit“ auch in der Bestattungsbranche angekommen ist. „Der neueste Trend geht zum Pilzsarg“, gibt sie ein Beispiel. „Das organische Material wirkt wie Styropor, löst sich komplett auf im Boden und absorbiert dabei auch die Körpergifte umweltschonender. Das verbessert die Bodenqualität."

Lothar Rentschler, 57, vom internationalen Manager zum Mittelschullehrer

Er war im Top-Management von Bacardi, bei Medienagenturen und bei namhaften Glücksspielfirmen. Pro Woche saß er drei bis vier Tage im Flugzeug. Heute radelt er in den Wohnpark Wien Alt-Erlaa und unterrichtet in der Fachmittelschule, einer anderen Form des polytechnischen Lehrgangs für 14- bis 15-Jährige. „Der Job ist im Vergleich zu meiner früheren Tätigkeit unfassbar erfüllend, aber auch unfassbar schlecht bezahlt.“ Vor fünf Jahren drückte der Vielflieger die Stopp-Taste. Aus gesundheitlichen und familiären Gründen. Er las einen profil-Artikel über „Teach for Austria“, lud Bewerbungsvideos auf einer Plattform hoch und wurde der älteste „Fellow“ dieser Privatinitiative, die Akademiker und Quereinsteiger mit Berufserfahrung an Schulen mit hohem Anteil von sozial benachteiligten Jugendlichen schickt. „Wenn ein Schüler am Anfang des Jahres nur sagt, das kann ich nicht, und am Ende besitzt er ein gewisses Maß an Selbstvertrauen, Sozialkompetenz und gute Umgangsformen, ist das ein tolles Gefühl.“ Seit 2021 unterrichtet er. Der Bedarf an Quereinsteigern war so groß, dass er gleich als Fachbereichsleiter Handel & Büro und als Schulqualitätskoordinator startete. Ab September ist er Klassenvorstand. „Ich werde hier arbeiten, so lange es geht.“ 
 

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.