Literatur

Abrechnung mit der „Bild“-Zeitung im neuen Roman von Stuckrad-Barre

Schon jetzt soll ein juristisches Vorgehen gegen das neue Buch des Schriftstellers Benjamin von Stuckrad-Barre geprüft werden.

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Drei Könner der zügellosen Selbstdarstellung prallen aufeinander: Benjamin von Stuckrad-Barre, Matthias Döpfner und Julian Reichelt, die Hauptdarsteller eines so kuriosen wie konsequent schlammschlachtmäßigen Mediendramas, das seit geraumer Zeit die deutschsprachige Nachrichtenwelt bewegt. Döpfner, 60, ist ein deutscher Manager, Ex-Journalist und seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer-Verlagsgruppe, die mit dem Boulevard-Riesen „Bild“ zu Europas größten Zeitungs- und Digitalverlagen zählt. Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, 48, war wiederum selbst ein lange Jahre von gröberen ideologischen Zweifeln nicht angekränkelter Springer-Autor.

Er schrieb für „Die Welt“ und galt von 2008 bis 2018 als Star des Konzerns. Schließlich Julian Reichelt, 42, der Mitte Oktober 2021 mit sofortiger Wirkung von seinem Chef und langjährigen Förderer Döpfner als „Bild“-Chefredakteur freigestellt worden war; Reichelt, so hieß es damals seitens des Konzerns zur Begründung, habe Privates und Berufliches nicht klar getrennt, nachdem in deutschen Medien und in einem langen Bericht der „New York Times“ von möglichem Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen die Rede gewesen war. Reichelt bestreitet die Vorwürfe. Während der Reichelt-Affäre 2021 soll Döpfner zu Mitarbeitern gesagt haben, dass es sich in der Affäre um den „Bild“-Chefideologen Reichelt um eine Intrige handeln würde.

Kürzlich brach die Männerfreundschaft zwischen Stuckrad-Barre, Döpfner und Reichelt endgültig entzwei. Das Buddy-Gehabe kam jäh an ein Ende, nachdem Stuckrad-Barre eine SMS Döpfners publik gemacht hatte, in welcher der Verlagschef erklärt hatte, Reichelt sei „halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda-Assistenten geworden.“ Döpfner bezog sich in seinem umstrittenen DDR-Flashback auf einen Kommentar, in dem Reichelt im Frühjahr die Corona-Einschränkungen der deutschen Bundesregierung scharf kritisiert hatte.

Das desaströse Bild, das die „Bild“ derzeit abgibt, wurde vergangenen Donnerstag durch eine Veröffentlichung der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ zusätzlich verdüstert. In einem „Zeit“-Dossier wurden private Chatnachrichten Döpfners zitiert, in denen er sich abfällig über Ostdeutschland und den Islam äußerte: „free west, fuck the intolerant muslims“. Seit Dienstag ist auch der Podcast „Boys Club – Macht & Missbrauch bei Axel Springer“ abrufbar, in dem Frauen zu Wort kommen, die von Missbrauchsvorfällen im Hause Springer berichten. Der exklusive Spotify-Podcast wurde von TV-Entertainer Jan Böhmermann produziert. Spätestens an dieser Stelle wächst sich der Zirkus um die Medienmänner zum Fall Reichelt-Döpfner-Stuckrad-Barre-Böhmermann aus.

Was nach Romanstoff und Smoking Gun klingt, ist nun tatsächlich zu einem Buch geworden. Heute erscheint der Roman „Noch wach?“ von Benjamin von Stuckrad-Barre, der sich allen Gerüchten zufolge mit den Missbrauchsvorwürfen gegenüber Julian Reichelt auseinandersetzt und Prosa-Schlaglichter auf die teils unterirdischen Arbeitsstrukturen und -bedingungen im Hause Springer wirft, in dem Stuckrad-Barre in Form eines MeToo-Romans mit seinem alten Ziehvater Mathias Döpfner abrechnen soll. Ein Rache-Roman? Ein Boulevard-Sittenbild? Schlüsselloch-Schmutzwäsche-Stück? Die fiktionale Aufarbeitung der „Bild“-Realität? Welche Rechnungen werden beglichen? Attackiert Stuckrad-Barre, der seine eigene Bedeutung selbstredend nicht hoch genug einschätzt, die „Bild“-Zeitung, das Fachblatt für das An-die-Wand-stellen?

„Noch wach?“ schwimmt jedenfalls auf den Wellen einer virtuosen PR-Offensive daher. Bereits im Februar ließ der Verlag verlauten: „Literarisch brillant, humorvoll und kompromisslos erzählt dieser Roman von Machtstrukturen und Machtmissbrauch, Mut und menschlichen Abgründen.“ Nachdem das Buch im Vorfeld mit Videoschnipsel-Aussagen von Prominenten wie Jasna Fritzi Bauer, Caren Miosga, Lena Meyer-Landrut, Kurt Krömer, Verena Altenberger, Jan Delay und Carolin Kebekus umfänglich promotet worden war, wurde es den Zeitungsredaktionen landauf landab heute Vormittag, Punkt zehn Uhr, als PDF zugestellt. Rezensionsexemplare, mit denen die Redaktionen üblicherweise im Vorfeld einer Buchveröffentlichung bestückt werden, wurden keine verteilt. profil wird „Noch wach?“ in der kommenden Ausgabe besprechen.

Vor der eigentlichen Romanhandlung steht im Buch: „Dieser Roman ist in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, er ist jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte. Daher erhebt der Roman keinen Anspruch, Geschehnisse und Personen und ihre beruflichen und privaten Handlungen authentisch wiederzugeben.“

Laut einer Meldung des deutschen „Tagesspiegel“ lässt Ex-„Bild“-Chefredakteur Reichelt bereits ein juristisches Vorgehen gegen das Buch prüfen.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.