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Was hat Ja, Panik gerettet, Herr Spechtl?

Die Rückkehr der Band Ja, Panik: Sänger und Autor Andreas Spechtl über tröstliche Musik in düsteren Zeiten, kalkulierte Stilbrüche – und warum eine Krise keine Chance, aber zumindest einen Neuanfang bedeuten kann.

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profil: Herr Spechtl, das neue Album Ihrer Band Ja, Panik könnte als Reaktion auf die Corona-Krise verstanden werden. Die Texte haben Sie aber schon vor der Pandemie geschrieben. Eine glückliche Fügung?

Andreas Spechtl: Im Gegenteil. Mir schien das alles zu sehr auf die Krise getextet, ich habe anfangs überlegt, einige Passagen wieder zu streichen. Meine Texte nähren sich aus dem politischen Weltgeschehen der letzten fünf bis zehn Jahre. Bis auf das Virus selbst ist ja nichts neu an dieser Krise.

profil: Corona macht die gesellschaftspolitischen Probleme nur sichtbarer?

Spechtl: Wenn man sich ansieht, wie das Gesundheitssystem seit Jahren kaputtgespart wird, wie noch immer Care-, Familien- und Kinderarbeit zu einem Gutteil vom weiblichen Teil der Bevölkerung erledigt wird, dann muss man sagen: All die Probleme waren schon vor Corona da. Das sind Themen, die nur unter der Oberfläche schlummerten. Die gesundheitliche Krise hat die soziale Krise nach oben geschwappt.

profil: Hat die Krise auch etwas Gutes?

Spechtl: Das Sichtbarmachen löst die Probleme nicht. Ärmere oder strukturschwächere Länder müssen sich jetzt schon bei der Vergabe von Impfstoffen hintanstellen. Die Krise exerziert die systemischen Probleme nur nochmal durch. Der Kapitalismus hat zudem gelernt, dass es möglich ist, die Menschen in Homeoffice und Distance Learning zu schicken und testet damit gerade aus, wieviel die Menschen überhaupt noch ertragen – und was man alles mit ihnen anstellen kann.

profil: Dabei sind die Folgen der ökonomischen Krise noch gar nicht greifbar.

Spechtl: Die Frage ist, welche Politik wird die wirtschaftliche Krise nach sich ziehen? Ich beobachte das mit einem Schaudern. Welche Ängste werden geschürt? Auf welchen Schultern wird das ausgetragen? Wenn die Welt, frühestens wohl 2022, wirklich wieder aufgesperrt wird: Erst dann wird man sagen können, was überhaupt noch da ist – auch welche Clubs, welche Lokale, welche MusikerInnen das überstanden haben.

profil: Kann die Musikszene die Krise überstehen?

Spechtl: Die KünstlerInnen, die bisher schon nicht auf Verwertbarkeit ausgelegt waren, die bisher schon unter der Oberfläche operiert haben, werden als erstes wegfallen. Bleiben werden die KünstlerInnen, die auch schon vor der Krise kommerziell funktioniert haben. Es wird wohl – zumindest kurzfristig – eine ziemlich fade Welt werden.

profil: Eine zentrale Songzeile auf „Die Gruppe“ heißt: „The Cure to Capitalism is more Capitalism / And that's the real Capitalism.“ Wie darf man das verstehen?

Spechtl: Es hilft oft schon, die ungeschminkte Wahrheit zu sagen. Das hat etwas Tröstliches. Die Frage, die Ja, Panik schon immer umtreibt, ist diese: Wie geht man damit um, dass man in einem selbstzerstörerischen System lebt, das dir aber zugleich auch die Heilung verspricht, nur um dich wieder in das System einzugliedern, das dich krankmacht. „Denn das, was uns zerstört, will uns gleich schon reparieren“, hieß es bereits 2011 auf unserer Platte „DMD KIU LIDT“. Die bittere Erkenntnis: Du kommst aus dem Hamsterrad nicht heraus. Das ist ein ewiger Ja, Panik-Topos.

profil: „Die Gruppe“ ist das erste Album in sieben Jahren. War immer klar, dass Ja, Panik weiter existieren wird?

Spechtl: Wir beharren darauf, dass es Ja, Panik in der Welt gibt. Die Auszeit war für uns ein Wiederfindungsprozess. Wir hatten jahrelang keine Vorstellung davon, wie ein Neuanfang aussehen könnte. Daher mussten wir die Notbremse ziehen. Wir waren so eng, wir haben zusammen gewohnt, zusammen gearbeitet. Es war ein Punkt erreicht, wo einfach klar war, wir können das jetzt noch ein oder zwei Platten so weitermachen, aber dann geht es vielleicht nicht gut aus.

profil: Die neuen Songs wiegen einen in Sicherheit, um erst mit zeitlicher Verzögerung vor den Kopf zu stoßen. Sind das kalkulierte Stilbrüche?

Spechtl: Als Ja, Panik setzen wir uns in das enge Korsett einer Popband, versuchen aber, uns Übertritte zu leisten, für Überraschungen zu sorgen. Die Freude am Spiel entsteht dann in dieser Brechung der Form. Wir haben für das neue Album viel mit Synthesizerflächen gearbeitet und dann relativ frei über diese Soundlandschaften gespielt. Fast wie im Free Jazz bietet dies Raum für Improvisation.

profil: Zwischen den letzten beiden Ja, Panik-Alben haben Sie drei Soloalben veröffentlicht. War das eine Art Selbstfindung?

Spechtl: Obwohl die letzte Ja, Panik-Platte „Libertatia“ sehr euphorisch klang, kann ich heute sagen, dass es mir damals persönlich nicht besonders gut ging. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich meine dunklen Tage, all die Zweifel, die unschönen Momente in meinem Kopf in die Platte stecken konnte und die Probleme von mir wegschreiben konnte. In seiner Dunkelheit hat das neue Album für mich so etwas fast gospelhaft tröstliches bekommen.

Interview: Philip Dulle

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.