Scheuer Star: Basquiat, um 1985 in seinem Atelier in Manhattan; im Hintergrund eines seiner Gemälde.
Kunst

Basquiat in der Wiener Albertina: "80 Prozent Wut"

Jean-Michel Basquiats beeindruckendes Werk wird in der Wiener Albertina gewürdigt. Die Karriere Basquiats wirft allerdings eine Frage auf: Wie rassistisch ist der Kunstbetrieb?

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Zwei Uniformierte mit knallrosa angelaufenen Gesichtern bedrohen eine schwarze Gestalt. Ihre Kappen kennzeichnen sie als Polizisten. Über der Szenerie schwebt das Wort "Defacement" - "Verunstaltung". Das Gemälde trägt den Titel "Death of Michael Stewart". Sein Hintergrund: die Ermordung eines schwarzen Künstlers durch Angehörige der New Yorker Polizei. Das Werk entstand nicht unlängst, als nach ähnlichen Fällen Millionen von Menschen auf die Straße gingen, sondern bereits 1983. Sein Urheber: der 1960 geborene Jean-Michel Basquiat, dem die Wiener Albertina nun eine 50 Werke umfassende Ausstellung widmet ("Basquiat. Of Symbols and Signs", 9. September bis 8. Jänner). Gewalttätige Polizisten ziehen sich durch das Œuvre des New Yorkers, der als Galionsfigur der Black Art gilt und über den es immer wieder heißt, dass er Graffitikunst in die Museen und Galerien brachte - eine Sichtweise, die zumindest simplifiziert, in den Augen vieler Fachkundiger sogar falsch ist.

Denn Basquiats Kunst ist weitaus komplexer. In seinen Werken bevölkern expressive, archaische Figuren die Bildflächen-Leinwände, Holzbretter, bisweilen auch Türen und Kühlschränke -, begleitet von Buchstaben, die wie hingekritzelt wirken, bisweilen Dinge bezeichnen, im Stil konkreter Poesie, aber auch mit Sprache spielen. Wenn zwei blau gekleidete Möbelpacker von dem Schriftzug "Ideal" begleitet werden und der erste Buchstabe rot abgesetzt ist vom Rest des Wortes, so legt dies die Lesart "I deal" - "Ich handle" oder eben auch: "Ich deale" nahe. Schwarze Boxer, über denen Kronen schweben, maskenartige Fratzen, Schriftzüge von Lebensmittelerzeugnissen, skelettartige Kämpfer, Figuren, die aus Schriftblöcken zusammengesetzt sind, jede Menge Zeichen, Kürzel, Piktogramme, Symbole: Der Sohn einer Puerto-Ricanerin und eines Haitianers verarbeitete, was ihn umgab. Er benötige stets "Quellenmaterial", um zu malen, bekannte er einst in einem Interview.

Der Wiener Kunsthistoriker Dieter Buchhart, der mit Albertina-Kuratorin Antonia Hoerschelmann die Ausstellung gestaltet hat, begeistert sich seit 20 Jahren für den Künstler und ist einer der besten Kenner seines Werks. "Basquiat hat eine ganz eigene Methode des Copy-and-Paste. Er versteht es, von überall her zu nehmen und die Dinge zu etwas Neuem zu verbinden - Alexander der Große trifft auf HipHop, der Regisseur Jean-Luc Godard auf Dinge aus der Populärkultur", sagt er. "Seine Kunst ist extrem komplex und intelligent, ist mit unzähligen Verweisen und Zitaten versehen, sodass es lange braucht, um sie zu durchdringen." Seine Kollegin Hoerschelmann fasziniert, "dass Basquiat als junger Mann alles aufsog wie ein Schwamm, sich Wissen aneignete - etwa über Kunstgeschichte, Filme, westliche wie afrikanische Kulturgeschichte, um all das als etwas Eigenes umzusetzen."

Basquiat hat eine ganz eigene Methode des Copyand-Paste."

Dieter Buchhart, Kurator

Dass Basquiat vor allem mit Graffitikunst assoziiert wurde, hat mit seinem ganz frühen Werk zu tun, als er noch Teenager war und mit seinem Freund Al Diaz unter dem Kürzel "SAMO" Wände bemalte-sein Freund, der Journalist Glenn O'Brien, nannte ihn einmal den "ersten Graffitisprayer, der auf den Hauswänden New Yorks poetisch wurde". Doch sein Referenzrahmen war ein deutlich weiterer. Basquiats Mutter hatte ihn bereits als Kind in die großen Kunstmuseen der Stadt mitgenommen. Eine Zeit lang, erzählt Buchhart, studierte der Künstler jeden Tag im Museum of Modern Art die dortige Sammlung. Er las Mark Twain und William S. Burroughs, liebte schon als Kind Picassos "Guernica" und studierte Anatomieatlanten.

Sein vielschichtiges Œuvre machte Basquiat zum ersten schwarzen Kunststar. Mittlerweile handeln Galerien und Auktionshäuser seine Bilder zu irreal erscheinenden Preisen-der Rekord liegt bei 110,5 Millionen Dollar für ein Gemälde, das 2017 versteigert wurde. Bereits in seinen frühen Zwanzigern zeigte der New Yorker seine Arbeiten in renommierten US-Galerien wie jenen von Annina Nosei, Larry Gagosian und Mary Boone, mit 22 wurde er auf der Whitney Biennale präsentiert, kurze Zeit später unterschrieb er einen Vertrag mit dem prominenten Schweizer Galeristen Bruno Bischofberger, der ihn später für eine Zusammenarbeit mit Andy Warhol zusammenbringen sollte. 1982 reüssierte der Shootingstar auf der Documenta 7 als jüngster Künstler. Nicht einmal 25 Jahre alt musste Basquiat werden, um zur Kunstprominenz des Landes zu gehören und ein Millionenvermögen zu verdienen. 1988 brachten diesen sprühenden Geist die Drogen um. Er wurde bloß 27 Jahre alt.

Sein sagenhafter Erfolg bewahrte Basquiat nicht vor Rassismus. Während sich Museen und Sammler um seine Kunst rissen, hielt in seiner Heimatstadt kaum je ein Taxi für ihn an, wechselten Weiße die Straßenseite, wenn sie ihn erblickten. So erzählt es Buchhart: "Basquiat erlebte starken Alltagsrassismus." Eine seiner vielen Publikationen zu Basquiat widmete er dessen Selbstporträts. Darin findet sich auch das Bild "Death of Michael Stewart", das den Polizeimord thematisiert. "Basquiat sagte über Stewart: 'Das hätte ich sein können'", so Buchhart. "Da wurde er brutal mit der Realität des Todes durch Rassismus konfrontiert."

In einem Interview meinte der Künstler 1985, viele Leute hätten "dieses Bild von mir: der Wilde auf der Flucht, der wilde Affenmensch." So porträtierte er sich selbst als Affe. "Mein Werk ist zu 80 Prozent Wut", bekannte er. Basquiat umkreiste das Thema von vielen Seiten, auch wenn er schwarze Boxer abbildete, die eine der wenigen Möglichkeiten legaler Gegenwehr einer diskriminierten Minderheit praktizierten.

Auf vielen Fotos ist Basquiat der einzige Schwarze, etwa wenn man ihn umringt von Galeristen, Kollegen, Sammlern sieht. Im weiß dominierten Kunstbetrieb blieb er die Ausnahmefigur. Eine ambivalente Rolle. Kuratorin Hoerschelmann sagt: "Als Role Model war Basquiat immens wichtig. Er hatte aber den Wunsch, nicht als schwarzer Künstler, sondern als Künstler zu reüssieren."

In den vergangenen Jahren legte der Kunstbetrieb-endlich-das Augenmerk stärker auf die Arbeit schwarzer Kreativer wie Kerry James Marshall, Kehinde Wiley, Simone Leigh, Tschabalala Self und Sonia Boyce. 2020 kürten gleich zwei Zeitschriften, das deutsche "Monopol" und das britische "Art Review", die Black-Lives-Matter-Bewegung zur Nummer eins der wichtigsten Kunst-Player. Erst 40 Jahre nach Basquiats Tod beginnen Museen und Galerien, ihren Kanon zu öffnen. Die Augen waren zuvor fest verschlossen. Denn weder die Malerei der "Harlem Renaissance" in den 1920erund 1930er-Jahren noch Basquiats ältere Zeitgenossen wie David Hammons oder Senga Nengudi waren zu dessen Lebzeiten groß beachtet worden-obwohl Letztere ihre Werke im New Yorker Non-Profit-Space "Just Above Midtown" (JAM) zeigten, der auf Black Art spezialisiert war. Während die Whitney Biennale Basquiat abfeierte, befand es keiner der Verantwortlichen für wert, eines der Studios der JAM-Leute zu besuchen, wie die Künstlerin Lorraine O'Grady in einem Artikel scharf kritisierte.

Im Nachhinein erstaunt es, dass Basquiats aufsehenerregendes Schaffen die Kunstwelt nicht damals schon nachhaltiger aufrüttelte und er tatsächlich eine Einzelerscheinung blieb. Viele Museumsdirektoren, Sammler und Galeristinnen umschwirrten Basquiat - doch kaum jemand von ihnen kam auf die Idee, sich in den Ateliers anderer afroamerikanischer Künstlerinnen und Künstler umzusehen. So erinnert gerade der Erfolg Basquiats daran, wie sehr der Kunstbetrieb lange Zeit ebenso an strukturellem Rassismus laborierte wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche.

Immerhin hat sich nun eine Gegenbewegung in Gang gesetzt. Es war hoch an der Zeit.

 

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer