Birgit Minichmayr: "Die Testosteron-Männer werden aussterben"

Die Schauspielerin Birgit Minichmayr über Kindererziehung, fehlende Solidarität in der Gesellschaft, ihre Rückkehr ans Burgtheater und "Öffiwichser".

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Interview: Karin Cerny

profil: Hat der neue Burgtheaterdirektor Martin Kušej Sie lange dazu überreden müssen, ins Ensemble zurückzukehren? Minichmayr: Um ehrlich zu sein: Ich habe gehofft, dass er mich fragt. Der Zeitpunkt hat gepasst - wenn man schon eine private Familie hat, ist es auch schön, wieder eine berufliche zu haben.

profil: Kušej will das Ensemble stärker ans Haus binden. Werden Sie dann noch so viele Filme drehen können? Minichmayr: Momentan drehe ich fast mehr, als dass ich Theater spiele. Darauf zu verzichten, war nie ein Thema - sonst hätte ich mich nicht darauf eingelassen. Aber ich verstehe, dass er das Profil des Burgtheaters schärfen möchte. Bestimmte Akteure sollen nur in Wien im Theater zu sehen sein, es werden ja auch keine Gäste engagiert. Dadurch, dass es die Volksbühne unter Castorf nicht mehr gibt, erübrigt sich die Frage für mich ohnehin, wo ich sonst noch spielen könnte.

Ich hatte Angst, dass man mich irgendwann einfach nicht mehr sehen wollen würde. Manchmal konnte ich mich selbst nicht mehr sehen.

profil: Vor genau 20 Jahren gaben Sie Ihr Debüt am Burgtheater. Wie war das damals? Minichmayr: Ich war 22. Die Vorstellung, ein Leben lang am Burgtheater zu bleiben, bedrohte mich eher. Ich hatte Angst, dass man mich irgendwann einfach nicht mehr sehen wollen würde. Manchmal konnte ich mich selbst nicht mehr sehen. Deshalb habe ich diese Tapetenwechsel mit anderen Städten und Theatern gebraucht - um wieder ein weißes Blatt Papier zu werden, um ein anderes Publikum zu haben, das man erobern möchte, Kollegen, mit denen man noch nie gespielt hat.

profil: Waren Ihre Zwillingsmädchen auch ein Grund dafür, sesshaft zu werden? Minichmayr: Es ist angenehm, mit meinem Mann und den Kindern hier zu sein. Ich wohne schon länger wieder in Wien, mache halbe-halbe mit ihm. Zuerst war ich in Karenz, dann war er an der Reihe. Bei Dreharbeiten waren die Kinder meist dabei, meine Mutter und meine Schwägerin haben aufgepasst. Jetzt sind die Mädchen vormittags bei einer Tagesmutter.

profil: Werden Sie die Kinder zu den Proben mitnehmen? Minichmayr: Es hat keiner etwas davon, wenn die da rumturnen. Mich entspannt das sicher nicht. Ich glaube, es ist wichtig, als Mutter intensiv bei den Kindern zu sein, aber genauso wichtig ist es, sich voll auf den Job zu konzentrieren. Sonst verzettelt man sich in beiden Bereichen.

profil: Sie sind also keine Glucke? Minichmayr: Es gibt den schönen Spruch: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Ich war auch direkt nach der Geburt keine Mutter, die ihr Kind nicht aus dem Arm gibt. Ich fand von Anfang an wichtig, dass meine besten Freundinnen und Freunde meine Kinder halten.

profil: Sind Sie streng in der Erziehung? Minichmayr: Die beiden sind jetzt 14 Monate alt und mitunter recht trotzig. Ich muss es aushalten, wenn sie sich auf den Boden werfen, wenn ich ihnen etwas verbiete, und darf nicht weich werden. Diese Wut, die zum Teil in diesen kleinen Körpern wohnt, kommt mir manchmal auch sehr anstrengend vor. Es gibt so viele Erziehungsbücher und Ratschläge zur Frage, was man alles falsch machen kann. Die perfekte Erziehung werde ich sicher nicht hinkriegen. Und ich weiß auch gar nicht, ob es darum geht. Meine Eltern haben auch nicht alles richtig gemacht, und trotzdem hatte ich eine tolle Kindheit. Ich kann nur das beste Geländer für meine Mädchen sein, ihnen Vertrauen geben und das Geliebtwerden spüren lassen - dass sie immer, so viel Scheiße sie auch bauen mögen, nach Hause kommen können.

Das sind schon Schicksalsschläge. Aber es gehört eben auch zu unserem Job, dass man nicht ewig am selben Ort kleben bleibt, dass wir nirgends sicher sind.

profil: Wie ist die Stimmung am Burgtheater? Die Verträge einiger Ensemblemitglieder wurden nicht verlängert. Minichmayr: Kušej hat 19 Leute nicht verlängert. Ich verstehe, dass es schwierig ist, wenn man jahrelang hier gelebt hat. Das sind schon Schicksalsschläge. Aber es gehört eben auch zu unserem Job, dass man nicht ewig am selben Ort kleben bleibt, dass wir nirgends sicher sind. Ich finde die Aufregung auch ein wenig überzogen. So etwas ist kein Einzelfall; es gibt Intendanten, die keinen einzigen Schauspieler von ihrem Vorgänger übernommen haben. Vielleicht hat sich Kušej nur etwas unglücklich ausgedrückt.

profil: Er sagt über sich selbst, dass er ein Raubein sei. Damit haben Sie kein Problem? Minichmayr: Ich kenne ihn schon so lange, wir können gut streiten. Aber wir haben eine unglaubliche Loyalität und Treue zueinander. Er hat mir nie Steine in den Weg gelegt, als ich frei arbeiten wollte. So raubeinig er manchmal auch sein kann, so zart und emotional ist er gleichzeitig. Kušej ist kein Teflontyp, an dem alles abprallt.

Es findet gerade eine Revolution statt, die nicht aufzuhalten ist und nicht nur die Frauen betrifft.

profil: Sie waren unter Frank Castorf an der Berliner Volksbühne. Kürzlich meinte er, dass Frauen sowohl im Fußball als auch in der Theaterriege den Männern unterlegen seien. Minichmayr: Ich habe das Gefühl, er meint solche Sachen polemisch. Gleichzeitig ist es auch eine Tatsache, dass kaum Regisseurinnen bei ihm inszeniert haben. Ich glaube, die Testosteron-Männer werden aussterben. Es findet gerade eine Revolution statt, die nicht aufzuhalten ist und nicht nur die Frauen betrifft. Das kapieren nur viele Männer nicht.

profil: Dabei könnte es für Männer doch auch befreiend sein, dass sie keine alten Rollenmuster wiederholen müssen. Minichmayr: Genau. Natürlich gibt es dumme Sprüche: Man wisse jetzt nicht mehr, wie man flirten soll. Tut mir leid, aber dann konnte man es vorher auch nicht. Es gibt reale Ängste, weil sich Männer nicht mehr so aufführen dürfen wie früher, weil Frauen nicht mehr ihr Eigentum sind. Es ist erschreckend, dass erst vor rund 30 Jahren Vergewaltigung in der Ehe in Österreich überhaupt als Straftatbestand anerkannt wurde. Aber ich habe das Gefühl, bei den 20-Jährigen gibt es eine andere Haltung; die sind viel offener gegenüber den Forderungen von Frauen.

profil: Ist nicht gerade die Kunst nach wie vor ein Hort der Machos und Tyrannen? Minichmayr: Der Geniebegriff wurde stets dem Mann zugesprochen. Das Theater gibt sich zwar gern als moralische Instanz, hat aber oft eine extrem altmodische Struktur. Das bricht gerade auf.

profil: Was hat sich durch die #MeToo-Debatte verändert? Minichmayr: Es geht nicht um eine persönliche Erfahrung, um mitreden zu können. Es geht nicht um Humorlosigkeit, wenn man Herrenwitze nicht mehr hören möchte. Es geht um einen anderen Umgang der Geschlechter -von dem letztlich alle profitieren werden. Ich glaube nicht, dass erzwungener Sex schön ist, für keinen - außer man hat ein Machtund Gewaltproblem. Ich war erstaunt, dass manche Frauen tatsächlich meinten, man sollte es als Kompliment auffassen, wenn man blöd angemacht und angefasst wird. Ich finde toll, wie die Wiener Autorin Stefanie Sargnagel sexuelle Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln thematisiert. Erfahrungen mit "Öffiwichsern", wie sie es so treffend auf den Punkt gebracht hat, haben 99,9 Prozent der Mädchen in meiner Klasse gemacht, ich selbst inklusive. Ich frage mich, was ich da als Kompliment auffassen soll. Das ist doch einfach nur eine erniedrigende Geste.

profil: Sie sind gerade im Kino in der Mainstream- Komödie "Die Goldfische" zu sehen. Mit Filmkommerz haben Sie kein Problem? Minichmayr: Ich mochte das Drehbuch, fand es sehr lustig. Ich spiele eine Blinde mit Alkoholproblemen, die einen Bus fährt. Eigentlich hätte diese Rolle mit einer realen Blinden besetzt werden sollen. Das hat nicht funktioniert, auch weil es eine längere Drehzeit erfordert hätte.

profil: Derzeit wird gerade stark kritisiert, dass es zu wenig Inklusion im Kunstbereich gibt. Minichmayr: Natürlich habe ich mir die Frage gestellt, ob ich als Nichtblinde eine Frau mit Behinderung spielen kann. Mein Kollege Philipp Hochmair meinte kürzlich: "Aber wer soll dann Maria Stuart spielen?" Ich verstehe die Debatte um Repräsentation. Gerade am Theater sind die Ensembles noch immer viel zu homogen. Rollen von Schwarzen werden automatisch von Weißen gespielt. Es muss mehr Diversität geben, die Theater müssen sich öffnen.

profil: Sie wurden beim Grazer Filmfestival vergangene Woche als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Der von Ashley Hans Scheirl gestaltete Preis mutet eigenwillig an: Es sind große goldene Eier. Minichmayr: Ja, toll! Ich habe auch schon einen Platz dafür: Sie werden an der Decke direkt über mir baumeln.

profil: Werden Sie Ihre Töchter dazu anhalten, feministisch zu sein, mehr zu fordern? Minichmayr: Mich nervt es eigentlich schon, dauernd mehr fordern zu sollen. Das fängt im Privaten an. Ich möchte nicht die böse Mutti spielen, die ihren Mann anschnauzt, er soll den Müll runtertragen. Ich möchte keine Peitschen-Lady sein. Es sollte selbstverständlich sein, dass ich gleich viel Gehalt bekomme und dass Männer die Hälfte im Haushalt übernehmen.

profil: Sie waren für den Iffland-Ring im Gespräch. Sind Sie enttäuscht, dass ihn mit Jens Harzer nun doch ein Mann bekommen hat? Minichmayr: Ich kann die Aussage des Regisseurs Kay Voges nachvollziehen, der kritisierte, dass wir mit dieser Auszeichnung den Geniekult aufrechterhalten. Wenn es irgendwann eine Frau wird, ist es auch in Ordnung. Ich würde Bruno Ganz aber nicht Chauvinismus vorwerfen, weil er einen Mann gewählt hat.

In Neuseeland haben bei der Trauerfeier nach dem Attentat auf die Moschee alle aus Solidarität ein Kopftuch getragen. Das würde ich mir für Österreich auch wünschen

profil: Sie meinten in Ihrer Diagonale-Dankesrede, dass Sie beim Spielen die Herzen der Menschen rühren möchten, um politische Veränderungen zu erwirken. Was ist damit konkret gemeint? Minichmayr: Natürlich stellt sich immer die Frage, was Kunst kann. Für mich ist sie ein großes Ventil. Wahrscheinlich würde man die Gesellschaft nicht aushalten, wenn es die Kunst nicht gäbe. Es waren immer die Intellektuellen und die Künstler, die man zuerst eingesperrt hat, wenn es Richtung Diktatur ging. Es gibt also durchaus ein reales Bedrohungspotenzial - das sieht man derzeit in Ländern wie Ungarn. Wir haben in Österreich eine Regierung, die das Auseinanderdriften der Gesellschaft schürt. Es wird gefördert, dass man nach unten tritt. Das ist weder sozial noch menschlich - und auch nicht meine Vorstellung von einem Miteinander.

profil: Ihnen fehlt Solidarität? Minichmayr: Ich finde beschämend, dass man plötzlich von "Ausreisezentren" spricht. Asylwerber gelten per se als kriminell, sie dürfen keine Ausbildung machen, obwohl wir doch eigentlich Fachleute brauchen würden. Das sind absurde Strukturen. In Neuseeland haben bei der Trauerfeier nach dem Attentat auf die Moschee alle aus Solidarität ein Kopftuch getragen. Das würde ich mir für Österreich auch wünschen - dass mehr Menschen zusammenstehen und sagen: Wir wollen diesen Rechtsruck nicht.

Birgit Minichmayr, 41, wurde in Pasching bei Linz geboren. Schon während ihrer Ausbildung am Max Reinhardt Seminar, wo Klaus Maria Brandauer einer ihrer Lehrer war, wurde sie ans Burgtheater engagiert. 2004 ging sie nach Berlin an Frank Castorfs Volksbühne. 2007 kehrte sie an die Burg zurück; 2011 wechselte sie zu Martin Kušej nach München ans Residenztheater, dann arbeitete sie frei. Mit Kušej wird sie ab nächster Saison erneut als Ensemblemitglied ans Burgtheater kommen. Minichmayr wirkte in zahlreichen Filmen mit - in "Abschied. Brechts letzter Sommer" (2000), in Barbara Alberts "Fallen" (2006) und Wolfgang Murnbergers "Der Knochenmann" (2009), in Maren Ades "Alle anderen" und aktuell in der Komödie "Die Goldfische". Vergangene Woche wurde sie im Rahmen des Grazer Filmfestivals "Diagonale" mit dem Großen Schauspielpreis ausgezeichnet. In Wien ist sie ab 24. Mai in dem neuen Stück "Deponie Highfield" des deutschen Diskurstheatermachers René Pollesch am Akademietheater, in Koproduktion mit den Wiener Festwochen, zu sehen. Mit ihr spielen u. a. Kathrin Angerer, Caroline Peters und Martin Wuttke.

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