Martin Kušej, designierter Burgtheater-Chef

Burgtheater: Der neue Direktor Martin Kušej gibt sich kämpferisch

Keine Überraschung, aber eine gute Wahl: Der Kärntner Regisseur Martin Kušej übernimmt ab Herbst 2019 das Burgtheater. Er kündigt an, den Spielplan radikaler und politischer zu gestalten - "und auch mal sinnlos Geld zu verheizen“.

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Eigentlich laboriert Martin Kušej, 56, noch an den Folgen einer Bandscheibenoperation, doch bei der Pressekonferenz am vergangenen Freitag im Bundeskanzleramt, bei der bekannt gegeben wird, dass er ab Herbst 2019 die Burgtheaterdirektion übernimmt, betritt er leichten Schrittes und demonstrativ lässig in Jeansjacke das Rednerpult. Kušej, der in seiner Jugend Profihandballer war, weiß, dass Theater viel mit Sport zu tun hat: Voller Körpereinsatz ist gefragt. Man muss Muskeln zeigen und darf nicht vorschnell in Deckung gehen. Sein Konzept: klare Ansagen statt verschwurbelter Konzepte. Erster Eindruck: Da brennt jemand für seine neue Aufgabe. Und das kann durchaus ansteckend wirken.

Kušej kündigt an, er werde "Vollgas“ geben; das Burgtheater solle so radikal wie Frank Castorfs Berliner Volksbühne vor 25 Jahren werden - oder ebenso umstritten wie unter Claus Peymann in den 1980er- und 1990er-Jahren. Es ist sympathisch, dass Kušej angriffige Ansagen nicht scheut. Er könne Bilanzen lesen, meint er auf Anfrage lakonisch, man müsse aber "auch mal sinnlos Geld verheizen“ dürfen ("einfach weil wir es wollen“), das man dann halt anderswo wieder einspart. Mit Martin Kušej wird in der Burg ein Künstler am Ruder sein, der weiß, dass Risiko im Theater wichtig ist. Es bringt nichts, nur auf die Quote zu schielen, man muss eben bisweilen auch wagen, den Saal leerzuspielen, wie es Kušej in seiner Anfangszeit als Regisseur öfter passierte.

Kušejs wilde Jahre als Regieberserker sind allerdings gezählt. Wuchtig sind seine Arbeiten nach wie vor, aber sein Blick auf die Welt ist feingliedriger geworden. In seinen neueren Arbeiten gibt er den Akteuren mehr Raum zu atmen und zu glänzen. Das strenge Konzept erdrückt sie nicht mehr.

Erfolgreiche Zeit am Münchner Residenztheater

So eigenwillig wie Castorfs Volksbühne ist das Münchner Residenztheater, das Kušej seit 2011 leitet, bislang nicht. Aber es hat sich unter seiner Intendanz in die erste Liga der deutschen Bühnen gespielt, was keine geringe Leistung ist. Nach Anlaufschwierigkeiten in den ersten beiden Jahren läuft der Betrieb nun rund. Kušej hat einen Weg gefunden, gediegenes Theater auf hohem Niveau mit spannenden Experimenten zu verbinden, was auch für die Burg der richtige Mittelweg sein könnte. Sein größter Trumpf in dieser Saison: Ulrich Rasches finstere, wuchtige Inszenierung von Schillers Freiheitsdrama "Die Räuber“, mit Sprechchören, wie man sie seit Einar Schleef nicht mehr dermaßen überzeugend und beängstigend gesehen hat. Eine postapokalyptische Räuberbande bewegt sich zombiegleich den ganzen Abend über auf riesigen Förderbändern - was die Theatertechniker viel Schweiß und Nerven kostete. Sportlich betrachtet ist Kušej am "Resi“, wie die Münchner Theaterinstitution zärtlich genannt wird, auf dem Zenit; er hat die Inszenierung des Jahres und mit Valery Tscheplanowa die Schauspielerin des Jahres im Team. Kein Wunder, dass er in Wien so siegesbewusst auftritt.

Der Zeitpunkt für einen Stürmer und Dränger wie Kušej ist goldrichtig. Karin Bergmann hat das nach der Entlassung von Matthias Hartmann 2014 nicht nur finanziell schwer angeschlagene Haus konsolidiert und befriedet, aber künstlerisch auch ein bisschen nivelliert. Kulturminister Thomas Drozdas Entscheidung, einen Künstler zu holen, der für seine radikale Regiehandschrift bekannt ist, erscheint vor diesem Hintergrund durchaus sinnvoll. Kušej sei ein Theatermacher, der "im schwärzesten Pessimismus das letzte bisschen Humanität findet, das uns bleibt“, schreibt Georg Diez in seinem Buch "Gegenheimat“ über den in Wolfsberg als Kärntner Slowene geborenen Regisseur, der nie um eine politische Positionierung verlegen war.

Kušej selbst betont, er stehe für eine "klare Haltung gegen die FPÖ und den rechten Populismus. Das ist genetisch in mir drin.“ Und er kündigt eine keineswegs auf flächendeckenden Konsens angelegte Theatervision an: Das Burgtheater müsse sich internationalisieren, um fit für die Zukunft zu sein. "Wir haben eine multikulturelle Gesellschaft. Es kann nicht sein, dass wir mittel- und langfristig das Theater durch eine einzige Sprache, nämlich Deutsch, definieren.“ Es müsse an der Burg auch um eine Art von Theater gehen, die jenseits der Sprachbarriere funktioniere. Diesen Weg bestreitet Kušej jetzt bereits am Residenztheater, wo Regiekräfte wie die Kroaten Ivica Buljan und Oliver Frljiæ oder die Slowenin Mateja Koležnik inszenieren. Außerdem sollen Kinder- und Jugendtheater zentrale Pfeiler des Burgtheaters werden, so Kušej, um ein Publikum für die Zukunft zu generieren. Zudem werde die neuere österreichische Dramatik eine große Rolle spielen.

"Raubeiniger" Teamplayer

Im Vorjahr schlug der Abgang des jungen Schauspielers Shenja Lacher vom Residenztheater mediale Wellen. Er meinte, das Theater sei die letzte Bastion quasi-preußischer Herrschaft, die Strukturen am Haus seien ihm Haus zu autokratisch, er habe keine Lust mehr, "sich anschreien und respektlos behandeln zu lassen“. Christine Dössel, Theaterkritikerin der "Süddeutschen Zeitung“, meinte daraufhin, Kušej sei "ein Theaterpatriarch par excellence“, der Kritik nicht dulde. Im profil-Interview vor einem knappen halben Jahr beschwichtigte Kušej. Er verstehe sich durchaus als Teamplayer, habe sich die Chefrolle aber erst mühsam aneignen müssen: "Ich war das eine oder andere Mal sicher raubeinig.“

Nach dem Abgang von Matthias Hartmann lagen die Nerven im Burgensemble blank: Bergmann und ihrem Team ist es gelungen, die Fronten innerhalb des Hauses zu schließen. Kušej muss als neuer Chef also durchaus aufpassen, dass er den richtigen Ton trifft, um es sich mit der Belegschaft nicht zu verscherzen. Im Vorfeld streut er ihr daher Rosen: "Ich stehe für ein klares Bekenntnis zum Schauspieler- und Ensembletheater.“ Der Begriff "Schauspieler“ sei inzwischen "schon fast ein verpöntes Wort“ und durch "Performer“ ersetzt worden. Dem postdramatischen Theater steht Kušej eher skeptisch gegenüber: "Ich war auch ganz schön dekonstruktivistisch unterwegs. Aber manchmal habe ich das Gefühl, wir haben uns da in eine Sackgasse bewegt.“ Das Publikum wolle im Gegensatz zur digitalen Welt doch gerade im Theater "noch Menschen schwitzen sehen“.

Für Martin Kušej ist die Berufung an die Burg nach 25 Jahren in Deutschland eine späte Heimkehr. Bereits mehrfach war er für wichtige Kulturposten im Gespräch gewesen. 2005 stand er kurz davor, die Wiener Festwochen zu übernehmen. Dann wurde Luc Bondys Vertrag doch noch verlängert. Ein Jahr später galt Kušej als Favorit für die Nachfolge von Klaus Bachler am Burgtheater. Damals erhielt Matthias Hartmann den Zuschlag - und Kušej schied im Zorn aus Österreich. Im Gegenzug schnappte er Hartmann die Burgschauspielerin Birgit Minichmayr weg.

Kušej hat den Vorteil, dass er das Burgtheater bestens kennt, seit 1999 wirkte er als Regisseur regelmäßig am Haus und lieferte legendäre Inszenierungen wie "Glaube und Heimat“ (2001), "König Ottokars Glück und Ende“ (2005) oder "Der Weibsteufel“ (2008). Kulturminister Drozda schätzt Kušej noch aus seiner Zeit als kaufmännischer Geschäftsführer des Burgtheaters unter Bachler. Seine Wahl zeigt, dass naheliegende Lösungen nicht immer die schlechtesten sind. Kušej hat bewiesen, dass er ein Theater dieser Größenordnung leiten kann. Und er bringt die nötige Leidenschaft mit. Er steht für ästhetische Wagnisse und ökonomische Vernunft, er scheut die Provokation nicht, muss aber nicht aus jedem Stoff und um jeden Preis billige Erregung gewinnen. Mehr kann man nicht erwarten.

Karin   Cerny

Karin Cerny