Robert Reinagl
"Die Zeit der Chauvinisten ist vorbei"

Burgschauspieler Robert Reinagl: "Die Zeit der Chauvinisten ist vorbei"

Burgschauspieler Robert Reinagl über die Vorwürfe gegen den früheren Intendanten Matthias Hartmann

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Die Tageszeitung "Der Standard" hat am Freitag den offenen Brief online gestellt und den Ex-Burg-Chef damit konfrontiert. Matthias Hartmann wehrt sich heute zudem im Gespräch mit der dpa gegen die Vorwürfe.

Der Wiener Schauspieler Robert Reinagl ist einer der Unterzeichnenden, er gehört seit dem Jahr 2000 dem Burg-Ensemble an und nimmt zu den wesentlichen Punkten im profil-Interview Stellung.

profil: Sie gehören zu jenen Burgtheater-Mitarbeitern, die nun in einem offenen Brief den Machtmissbrauch von Ex-Burg-Chef Matthias Hartmann anklagen. Warum haben Sie unterschrieben? Reinagl: Als Hartmann gekündigt wurde, stand das Haus unter Schock, viele waren froh, dass er weg war. Erst nach und nach kamen Dinge wieder hoch, von denen man merkte, sie sind noch nicht verarbeitet. Vor allem Kolleginnen berichteten von Verhaltensweisen ihres ehemaligen Chefs, die einfach nicht okay waren. Das belastet sie noch immer. Insofern ist diese Idee im Zuge der #MeToo-Debatte entstanden. Ich begrüße das sehr – an dieses „Pappn halten“ und wegducken hat man sich schon viel zu lange gewöhnt.

profil: Manche fragen sich, warum nicht sofort, also damals reagiert wurde. Reinagl: Weil man solche unangenehmen Dinge halt gerne verdrängt. Weil man denkt, wen interessiert das schon, das kann man sowieso nicht beweisen. Vieles, was wir ansprechen, ist ja nicht strafrechtlich relevant, aber es vergiftet die Arbeitsatmosphäre. Es ist demütigend. Gerade im Theater ist es ja sehr zweischneidig, weil wir uns auf der Bühne natürlich exponieren und entäußern. Aber das ist eben die Bühne und nicht der private Bereich.

Matthias Hartmann

profil: Wie geschützt ist man, wenn man Kritik äußert? Reinagl: Es gibt keinen Schutz – und das wird gerade für Schauspieler immer prekärer. Du hast mittlerweile nur noch Verträge für ein oder zwei Jahre. Du bist auch nach langer Zeit an der Burg nicht mehr unkündbar. Nach der Auslagerung in den Bundestheaterkonzern fiel dieser Schutz weg. Das Neoliberale ist also auch im Theater angekommen. Als ich vor 18 Jahren an dieses Haus kam, hatten wir 130 Schauspielerinnen und Schauspieler im Ensemble. Jetzt sind es 65. Die Angst wird größer, dass man wieder auf der Straße steht. Man wird ja auch nicht mehr gekündigt, der Vertrag wird einfach nicht verlängert. Das kann man nicht vor Gericht bringen.

profil: Wie war die Stimmung des Machtmissbrauchs unter Hartmann konkret? Reinagl: Sexuelle Übergriffe sind nur ein Teil dieses Kuchens. Seine Amtszeit war geprägt von einem durch und durch autoritären Gehabe. Das ist im Grunde aber auch, was die Menschen in Österreich gerade in ihre Regierung gewählt haben. Aber mir hilft es bei der Kreativität nicht, wenn ich von einem Choleriker angeschrien werden, wenn mich jemand vor den Kollegen demütigt. Ich werde heuer 50, und ich habe den tiefen Wunsch nach einem respektvollen Umgang.

profil: Was in dem offenen Brief aufgelistet wurde, ist nur die Spitze des Eisbergs? Reinagl: So ist es. Da gibt es richtig hässliche Vorfälle. Jeder kann solche Geschichten erzählen. Aber da müsste von den Betroffenen der Wille da sein, das öffentlich zu machen. Und so etwas muss man dann durchstehen. Da braucht man eine sehr dicke Haut. Es ist deutlich genug, was wir anklagen, für alles andere müsste man vor Gericht. Wie konkret hätten es die Leute denn gern?

profil: Früher meinten bestimmte Regisseure oft, man müsse Schauspieler „brechen“, sie als „Material“ verwenden. Hat sich da etwas verändert? Reinagl: Ich finde nicht, dass man sich menschlich schlecht benehmen muss, um zu guten künstlerischen Ergebnissen zu kommen. Es ist auch für mich wichtig, dass ich in meiner Arbeit gefordert werde. Aber ich glaube, die Zeit der Chauvinisten ist vorbei – und zwar nicht nur im Theater. Das habe ich Hartmann auch gesagt: „Ich glaube, du willst jeden Tag bestätigt bekommen, dass du der Chef bist. Ich weiß das. Wenn du es immer vergisst, dann schreib es dir auf einen Zettel!“

Das Burgtheater Wien

profil: Ist das ein allgemeines Aufgebehren gegen verkrustete Hierarchien? Reinagl: Ich finde, das geht einfach nicht mehr. Und es geht vielen Kolleginnen und Kollegen so, dass sie in Zukunft von vornherein andere Grenzen ziehen möchten. Eine Kollegin meinte einmal, seit Hartmann an die Burg gekommen war, würde es da wie in einem Bordell riechen. Es war billig und abwertend, wie wir behandelt wurden. Das lässt sich oft nicht so genau greifen. Aber es war klar, die Intendanz hatte einfach überhaupt keinen Respekt vor ihrem Team. Mich hat es nicht überrascht, dass da noch etwas kommt. Es wurde ja alles gerne vertuscht, das zeigt auch die Geschichte mit der entlassenen kaufmännischen Geschäftsführerin Silvia Stantejsky, die ebenfalls wochenlang im Haus totgeschwiegen wurde.

profil: Unter Karin Bergmann gibt es keine Probleme? Reinagl: Es ist nicht so, dass wir jetzt eine große glückliche Familie wären. Aber sie ist in Ordnung. Sie ist zu anderen hart, aber auch zu sich selbst. Wenn jemand am Sonntag freiwillig Dienst macht, dann ist es die Frau Direktor.

profil: Wie wird es weitergehen? Reinagl: Das kann ich nicht sagen. Ich finde gut, dass etwas gesagt wurde. Jeder sollte in seinem Umfeld schauen, was schief läuft, das Theater darf da keine Ausnahme sein. Das ist auch ein Aufruf an die Politik. Die handelnden Personen haben es immer sehr gut verstanden, Kulturinstitutionen wie Theater oder Bundesmuseen zu vergeben, als ob es kleine Königreiche wären. Sie wussten genau, dass Hartmann seine ganze Familie an die Burg bringt – und niemand sagte etwas. Ministerin Claudia Schmid verlängerte seinen Vertrag ohne triftige Notwendigkeit. Man redet nie mit den Schauspielern, weil wir der Politik egal sind. Aber bei der Familie Hartmann war man immer so nett zum Essen eingeladen. Es werden schillernde Persönlichkeiten gesucht, aber es muss doch nicht zwingend jemand sein, der völlig egomanisch ist. Es braucht in vielen Bereichen eine moralische Revision.

Gespräch: Karin Cerny

Zur Person

Robert Reinagl wurde 1968 in Wien geboren, er ist seit 2000 am Burgtheater Ensemblemitglied. Er wirkte u.a. in Schnitzlers "Professor Bernhardi" (Regie: Dieter Giesing) und in Katie Mitchells Dramatisierung von Handkes "Wunschloses Unglück" mit. Aktuell führt er in "Vorhangverbot!" das Publikum durch 240 Jahre Burgtheater-Geschichte und wirkt in der Nestroy-Posse „Liebesgeschichten und Heiratssachen“ mit. Im Salzburger "Jedermann" verkörperte er von 2010 bis 2012 den Koch. Von 2013 bis 2017 war er Lehrbeauftragter für Sprachgestaltung am Reinhardt Seminar.

Karin   Cerny

Karin Cerny