"Crimes of the Future"
Kino

"Crimes of the Future" von David Cronenberg: Skalpell!

David Cronenbergs jüngster Film, "Crimes of the Future", ist ein subversives Objekt. Es pfeift auf Kinokonventionen und guten Geschmack.

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Zu behaupten, der Regisseur David Cronenberg dringe kühn in das Innere seiner Figuren vor, hat mit psychologischem Feinsinn meist nur in zweiter Linie zu tun. Er öffnet seine Protagonisten gerne ganz buchstäblich. Etwa den angeschlagenen Künstler Saul Tenser (Viggo Mortensen), der sich - assistiert von Partnerin Caprice (Léa Seydoux) - in seinen ebenso verfemten wie angesagten Performances innere Organe entnehmen lässt. Das Operative ist hier der letzte Schrei der Gegenwartskunst und der finale Sex einer ermatteten Gesellschaft.

Das "Neue Fleisch", das der kanadische Kinofuturist Cronenberg einst in seinem Body-Horror-Klassiker "Videodrome" (1983) ausgerufen hat, es hört nicht auf zu wachsen. Die Körper verwandeln sich, passen sich einer veränderten Umwelt, einer sich ihrer Auslöschung nähernden Erde an; eine abgründige Evolution setzt sich in Gang. Cronenberg, 79, schraubt in "Crimes of the Future" Libido und Chirurgie ineinander. Und er handelt in aller Ruhe mit abwegigen Ideen: Menschen lassen sich bei ihm modische Schnitte in Gesicht und Bauchdecke verpassen, um ihre Attraktivität zu erhöhen, eine Autopsiemaschine dringt publicitywirksam unter die Bauchdecke einer kindlichen Leiche, und die skulpturalen Betten, in denen der Künstler schläft, arbeiten mit einer Software, die dem chronischen Schmerz des darin Schlafenden entgegenwirken soll. Tiefenentspannt in die äußerste Obszönität: In diesem kühlen Körperkunst-Noir ist die Subversion der Langsamkeit zu entdecken.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.