Der kleine Prinz: Stefan Bachmann übernimmt das Burgtheater

Stefan Bachmann galt einst als Wunderkind mit einem Händchen für österreichische Dramatik. Was ist vom neuen Burg-Chef zu erwarten?

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Es begann wie ein Märchen: In nicht allzu ferner Vergangenheit betrat ein junger, charmanter Prinz die Bühne. Er strahlte Zuversicht und Gelassenheit aus, fand es nicht einmal nötig, gegen die Allmacht seiner Vätergeneration aufzubegehren, um den Thron zu besteigen. Der kleine Prinz glaubte an die Macht der Fantasie – und vertrieb so alle bösen Geister. 

In den 1990er-Jahren kam es in der deutschsprachigen Theaterkunst zu einer leisen Machtübernahme von unten, die ganz ohne Rebellion auskam. Die Generation Senkrechtstarter, zu der auch der Schweizer Regisseur Stefan Bachmann gehörte, trat an, die Dominanz von Regiegrößen wie Peter Zadek, Luc Bondy, Peter Stein und Claus Peymann ins Wanken zu bringen. Nachwuchsförderung stand nicht zuoberst auf deren Agenda, gaben sich diese Theatergiganten doch selbst im hohen Alter noch frisch. Plötzlich sah man neue, unerhörte Regiehandschriften: den wuchtigen Bühnenbildhauer Martin Kušej (geboren 1961), den Theaterphilosophen Nicolas Stemann (Jahrgang 1968), den poetisch-akrobatischen Geschichtenerzähler Andreas Kriegenburg (1963), den Pop-Regisseur Stefan Pucher (1965). 

Stefan Bachmann war stets zurückhaltender, lausbübischer und weniger „genialisch“ als die meisten seiner ehrgeizigen Kollegen. Dennoch schien ihm alles mühelos zuzufliegen. Auch auf eine ästhetische Linie wollte sich der in Zürich geborene Regisseur nie festlegen. Seine Inszenierungen erkannte man an ihrer verführerischen Leichtigkeit. Postmoderne Ironie und inniges Gefühl, Komik und Tiefgang, Klassiker und Gegenwartsbezug, bei Bachmann ging das schon in jungen Jahren mühelos zusammen. Ein genauer, feingliedriger Blick auf die Theatertexte und eine popkulturelle Lässigkeit prägen bis heute seine Regiearbeiten. 

Wiener Bachmann-Erfolge

Elfriede Jelineks „Winterreise“ am Akademietheater, ...

... „jedermann (stirbt)“ von Ferdinand Schmalz an der Burg.

Wenn Stefan Bachmann ab der Spielzeit 2024/25 mit dem Wiener Burgtheater die größte und bedeutendste Bühne des deutschsprachigen Raums übernehmen wird, ist das für ihn eine Art Heimkehr. Von 2008 bis 2012 war er hier Hausregisseur und bewies damals, dass ihm österreichische Dramatik liegt: je herausfordernder, desto besser. Seine Version von Elfriede Jelineks „Winterreise“ (2012) siedelte er im Akademietheater auf einer steilen Wand an, die Akteure mussten sich anseilen, um nicht in einen Abgrund zu stürzen. Und am Ende dröhnte in Endlosschleife DJ Ötzis Après-Ski-Hit „Ein Stern, der deinen Namen trägt“. Auch Karin Bergmann holte den Schweizer 2018 an die Burg, wo er mit der Überschreibung des „Jedermann“-Stoffes durch Ferdinand Schmalz überzeugte. „jedermann (stirbt)“ spielte vor einer monumentalen goldenen Mauer, in der ein schwarzes Loch klaffte. Die Hauptrolle verkörperte Markus Hering, der Buster Keaton des Burgtheaters, der auch in seinem Humorverständnis, das Melancholie und Witz vereint, bestens zu Bachmann passt.  

Aber eigentlich hatte Hans Gratzer, der 2005 verstorbene Regisseur und einstige Leiter der Wiener Schauspielhauses, Bachmann für Wien entdeckte: Mit seiner abgründig-komischen Version von Wolfgang Bauers „Skizzenbuch“ (1996 in Kooperation mit den Wiener Festwochen) brachte der junge Regisseur einen weitgehend vergessenen heimischen Autor zurück auf die Bühnen. Hanno Pöschl gab damals den Dichter, der in einer manischen Endlosschleife gefangen war. Bachmanns Karriere nahm indes rasant Geschwindigkeit auf: Von 1998 bis 2006/07 war er Schauspieldirektor am Theater Basel, zahlreiche Einladungen zum Berliner Theatertreffen krönten seinen frühen Erfolg. 

Am Höhepunkt aber zog Bachmann die Notbremse: Anstatt den nächsten Karriereschritt zu planen und sich für ein größeres Theater ins Spiel zu bringen, brach er mit seiner Frau, der Schauspielerin Melanie Kretschmann, auf eine Weltreise auf. Erst die Geburt von Zwillingen brachte das Paar wieder zurück. Dem raketenartigen Aufstieg folgten viele freie Inszenierungen – und die Mühen der Ebene. In den letzten Jahren ist es eher ruhig geworden um das einstige Wunderkind, das seit 2013 das Schauspiel Köln leitet. Statt wie versprochen ein frisch renoviertes Theater übernehmen zu können, musste Bachmann improvisieren und einen alternativen Spielort finden. Aber auch jenseits der Bühne hagelte es negative Kritiken: Die Fluktuation in seinem Team war hoch, was oft auf interne Probleme hinweist. 2018 beklagten Mitarbeitende in einem Artikel im „Spiegel“ eine „toxische Atmosphäre“ und Mobbing durch Bachmanns Ehefrau. 

Ich will Schwellen abbauen und auf eine Stadtgesellschaft modern reagieren, ohne beliebig zu werden.

Stefan Bachmann

Burgtheaterdirektor in spe

Überregionale Strahlkraft fehlte unter Bachmann weitgehend, anders als im Fall seiner Vorgängerin Karin Beier, die das Kölner Schauspiel zu einem Hotspot gemacht hatte, blieben Einladungen zum renommierten Theatertreffen aus. Dafür hat Bachmann viel Stadtteilarbeit geleistet, mit der türkischen Community kooperiert, Stoffe mit Realitätsbezug ermöglicht, wie die semidokumentarische Inszenierung „Die Lücke“ (2014), in der ein Bombenanschlag durch die NSU-Terrorzelle in der Kölner Keupstraße den Anlass gab, mit migrantischen Anrainern und Betroffenen über eine multikulturelle Gesellschaft zu reflektieren. Es wird spannend werden, ob und wie Bachmann dieses Off-Wissen auch im Tanker am Ring umsetzen können wird. 

Was künstlerisch unter seiner Ägide zu erwarten sein wird, dazu wollte Bachmann in der Designierungs-Pressekonferenz  nichts verraten. Aber Prognosen darf man bereits wagen, denn Bachmann ist ein treuer Weggefährte. Der österreichische Autor Thomas Jonigk, 56, etwa begleitet ihn schon lang als Dramaturg. Er holt mit seinem Hang zu überdrehten Gewaltanalysen gern alte Stoffe in die Gegenwart, zuletzt die Inzest-Tragödie „Phaedra“, die in der bilderstarken Regie des deutschen Regisseurs Ersan Mondtag, der auch im Gespräch um die Intendanz des Wiener Volkstheaters gewesen ist, zu einem grellen Comic-Strip mutierte. Mondtag wird unter Bachmann sein Burg-Debüt geben. Die klugen feministischen Abende Pinar Karabuluts sind eine weitere Option, Bachmann hat die Regisseurin früh gefördert. Auch Matthias Köhler, ein interessanter junger Regisseur, der in der Wiener Off-Szene arbeitet (zuletzt: „Bent“ im Hamakom), war bei Bachmann aktiv. Man wünscht ihm eine größere Bühne. Bachmanns zentraler Schauspieler Bruno Cathomas wird vermutlich nach Wien mitziehen. Ebenfalls zum Team könnten Rafael Sanchez, ein Schweizer Regisseur mit spanischen Wurzeln, der Theaterautor und Regisseur Nuran David Calis sowie Robert Borgmann gehören, der in Wien ohnehin kein Unbekannter ist. 

Für das Burgtheater ist Bachmann somit eine solide, aber keineswegs spektakuläre Wahl. Er steht weder als Regisseur noch als Intendant in der ersten Reihe. Das muss kein Nachteil sein, vielleicht bringt er mehr Neugierde, Offenheit und Engagement mit als der glücklose Martin Kušej, der das Burgtheater unbedingt gewollt hatte – aber in der Pandemie durch Abwesenheit glänzte.

Karin   Cerny

Karin Cerny