Doron Rabinovici
Doron Rabinovici: Aliens sind auch nur Menschen

Aliens sind auch nur Menschen

Der Wiener Autor und Historiker Doron Rabinovici hat einen Science-Fiction-Roman über den latenten Faschismus in der Polit- und Medienwelt geschrieben - nicht sonderlich originell, aber beklemmend.

Drucken

Schriftgröße

"Sie kamen über Nacht. Wir schliefen tief.“ Leise, beinahe unmerklich findet eine Invasion statt. Außerirdische haben unseren Planeten überfallen - allerdings ganz anders, als es uns Hollywood-Filme weismachen wollen, in denen Aliens gern Megacities plattmachen. Der in Tel Aviv geborene, seit seiner Kindheit in Wien lebende Autor und Historiker Doron Rabinovici, 55, lässt seinen Roman "Die Außerirdischen“ ungewöhnlich zurückhaltend beginnen. "Beklemmend bis heute, heimgesucht worden zu sein, ohne irgendetwas bemerkt zu haben. Als wir aufwachten, war über uns entschieden“, heißt es da auf der ersten Seite lakonisch.

Rabinovici, der als politischer Kopf mit Essays und Literatur ("Andernorts“, 2010) über Rechtsextremismus und jüdisches Erinnern bekannt wurde, überrascht mit diesem Plot. "Meine Freunde haben mich alle skeptisch angeschaut: ‚Du willst wirklich einen Sci-Fi-Roman schreiben?‘“, erzählt er im profil-Gespräch. Die Idee habe er lange mit sich herumgetragen, es sei ihm aber nicht vordergründig um das Entwerfen fremder Welten gegangen. Die sich zuspitzende politische Wirklichkeit hat ihn beim Schreiben zunehmend beflügelt: "Was gerade weltweit passiert, ist dermaßen verrückt, dass man eigentlich Außerirdische benötigt, um es zu erklären.“ Insofern spielt der Roman zwar mit futuristischen Motiven, versteht sich aber als Politsatire auf die neoliberale Gesellschaft und die Verführbarkeit der Menschen. Durch diesen Anspruch reiht sich "Die Außerirdischen“ in das große Feld der - gerade boomenden - literarischen Dystopien ein (siehe Kasten). Wenn die Zeiten unsicherer werden und die Zukunftsängste wachsen, tritt die Science-Fiction-Literatur an, um negative Tendenzen mahnend zu überhöhen und aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen einen Zerrspiegel vorzuhalten.

Bizarre Spiele

In der Romantrilogie "Die Tribute von Panem“ (2008-2010) der US-Autorin Suzanne Collins, die zum Welterfolg (und in Starbesetzung verfilmt) wurde, schickt eine abgeschottete Luxuselite ausgewählte Untertanen in einen live übertragenen Wettkampf um Leben und Tod, zur Unterhaltung einer dekadenten Oberschicht. Auch bei Rabinovici gibt es Spiele, die für die vermeintlichen Außerirdischen, die jedoch nie jemand tatsächlich zu Gesicht bekommt, veranstaltet werden. Die Aliens haben einen bizarren Wunsch: Sie verlangen Menschenopfer, wollen das Fleisch von Freiwilligen verzehren, die in medial ausgestrahlten Wettkämpfen gegeneinander antreten. Die Verlierer werden als Helden gefeiert - und auf einer tropischen Insel rituell getötet. "Dürfen Menschen sich als Delikatesse anbieten?“, wird anfangs noch empört gefragt - aber bald hat niemand mehr Einwände. Es passiert schließlich alles nur zum Wohl der Gesellschaft: "Die Champs treten für uns alle an. Für ein kosmisches Zeitalter ohne Krieg, ohne Hass, ohne Hunger und ohne Krankheiten.“ Erzählt wird das alles aus der Ich-Perspektive eines Food-Kritikers, der mit seiner Quoten-TV-Talkshow plötzlich Furore macht.

"Ich bin mit den ,Star Trek‘-Filmen aufgewachsen“, sagt Rabinovici. "Ufos tauchen vor allem in gesellschaftlichen Krisenzeiten auf. Während des Kalten Krieges hat man die Gerüchte über Außerirdische gerne weiterleben lassen, um von der massiven realen Spionagetätigkeit abzulenken.“ Ihn habe interessiert, wie schnell wir bereit sind, zu "Agenten der eigenen Vernichtung zu werden“. Der aktuelle Totalitarismus komme als Freiwilligkeit daher, die neuen Diktatoren inszenierten sich als die wahren Demokraten.

"Unsere zivilisatorische Haut ist sehr dünn"

Der Roman entwickelt beim Lesen einen beachtlichen Sog, er analysiert pointiert gesellschaftliche Mechanismen. Aber seine Schwächen sind offensichtlich: Sonderlich überraschend ist "Die Außerirdischen“ nicht komponiert. Man durchschaut sofort, dass es Aliens gar nicht braucht, um durchzuspielen, wie leichtfertig sich Menschen gegenseitig abschlachten. Die "Trauminsel“, auf der die "Märtyrer“ völlig schmerzfrei getötet werden sollen, erweist sich als humanitäre Katastrophe. Ein bestialischer Ort, der im Morast versinkt, wo die Menschen, fern der Zivilisation, um ihr "nacktes Leben“ kämpfen. Die Insel selbst ist eine Vernichtungsmaschine. Assoziationen an nationalsozialistische Konzentrationslager stellen sich dabei ebenso ein wie Gulag-Beschreibungen oder Bilder überfüllter Flüchtlingsstätten. "Ich könnte nie literarisch Erfundenes über ein historisches KZ schreiben“, sagt der Autor. "Ich kann nur innerhalb einer Fiktion berichten, wie es gewesen sein wird. Ich bin aufgewachsen mit dem Bewusstsein, dass alles, was einmal passiert ist, jederzeit wieder geschehen könnte. Unsere zivilisatorische Haut ist sehr dünn, das haben die Genozide in Kambodscha und Ruanda bewiesen.“

Auch wenn dieser Roman stilistisch und dramaturgisch nicht übermäßig raffiniert erscheint, ist er als Gedankenspiel und in seiner brutalen Zuspitzung doch ein kühner Wurf. "Sind wir nicht Meister, wenn es darum geht, zu töten und zu sterben, nicht ohne zu beteuern, wie süß und fein das aus diesem oder jenem Grund, für die eine oder andere Sache ist?“, heißt es etwa. Der Mensch ist des Menschen größter Feind. Wir brauchen keine Außerirdischen, um es uns unangenehm zu machen.

Doron Rabinovici: Die Außerirdischen. Suhrkamp. 250 S., EUR 18,99

Karin   Cerny

Karin Cerny