Kino

„Ein bisschen irre“ oder: Sehnsuchtsdetonation

Michael Ostrowskis und Helmut Köppings eigenwillige Comedy „Der Onkel – The Hawk“ geht diese Woche an den Start. profil hat Hauptdarstellerin Anke Engelke und Comedian Michael Ostrowski zum Film befragt.

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Die mühevolle Herstellungsgeschichte dieses Films ist ihm keineswegs anzusehen. Aber tatsächlich wurde das Kinounterfangen „Der Onkel – The Hawk“ von der Projektkommission des Österreichischen Filminstituts mehrfach abgelehnt. Wenige Wochen vor dem Dreh stand dieser plötzlich auf Messers Schneide. Also ging Michael Ostrowski, Koautor, Koregisseur und Hauptdarsteller, noch einmal auf Financiers-Suche – und erhielt unerwarteten Rückenwind von Freunden aus der Immobilienbranche. Und siehe, es war alle Nervenkrisen wert: Nur ein begnadeter Nichtsnutz-Darsteller wie Michael Ostrowski kann eine derart neben allen Konventionen des „guten“ Geschmacks liegende Comedy tragen. Neben Anke Engelke und der bayrischen Humorlegende Gerhard Polt in einer Nebenrolle sind auch Hilde Dalik und Simon Schwarz als polyneurotisches Nachbarspaar sichtlich lustvoll (und kongenial) dabei behilflich, ein Charakterlustspiel in erstaunlicher Schärfe und unmittelbarer Nähe zu den verqueren Possen des Michael Glawogger entstehen zu lassen.

So fasst Ostrowski selbst im profil-Interview seinen Film kurz: „Einer, der sich einschleicht in ein Haus, wirkt als Katalysator, und plötzlich explodieren dort alle Sehnsüchte.“ Filme wie „Man Bites Dog“ und Jacques Audiards „Der wilde Schlag meines Herzens“ inspirierten Ostrowski zu einer „schwarzen Komödie mit melodramatischen Zügen, denn im Kern dieses Films steckt eine große, unerfüllte Liebesgeschichte, eine starke Gefühlsebene.“

„Der Onkel“ ist auch ein Familienunternehmen, drei der Kinder Ostrowskis spielen tragende Rollen, vor allem Maris, 14, und Elisea, 19, haben da einiges zu bewältigen. In „Der Onkel" steckt alles komödiantisch Wesentliche: Menschenkenntnis, Wortwitz, Pop-Feinsinn, Hipster-Klamauk – und einiges an abgründiger Weltsicht.

Anke Engelke, 56, Schauspielerin, Entertainerin, Musikerin

profil: Was hat Sie an dem Projekt „Der Onkel“ gereizt? War es auch der leicht bizarre, neben den üblichen Geschmackskonventionen liegende Witz?
Anke Engelke: Michael Ostrowski ist so ein Powerspieler! Ich hatte riesengroße Lust darauf, seine Partnerin zu spielen. Die Story, Dramaturgie, Dialoge fand ich sofort irgendwie typisch österreichisch: ein bisschen abwegig, skandalös, ein bisschen irre, sehr intensiv, sehr emotional. Bizarr, sagen Sie? Ja, vielleicht.

profil: Kannten Sie Michael Ostrowski bereits? Wie war Ihr erster Eindruck von ihm?
Engelke: Ja, wir kannten uns von aufregenden Dreharbeiten in – das klingt jetzt leider sehr V.I.P. – Südafrika, und dort fand ich ihn und seine Arbeitsweise schon klasse: total engagiert, super vorbereitet, wirklich im Thema (es ging um Whistleblowing und Agrarlobbyismus). Und die Kirsche auf der Torte war, dass er ein astreiner Mensch ist. Was mir außerdem sofort auffiel: keinerlei Popanzigkeit trotz Superstarstatus, keine blöde Eitelkeit, nur Lust am Spiel.

profil: Erleichtert oder kompliziert es die Arbeit, wenn man mit einem Regisseur arbeitet, der selbst Comedian ist?
Engelke: Weder noch, finde ich: wenn jemand den Job super macht, ist es doch schnuppe, woher die komödiantische Begabung kommt. Die Regiseur:innen von Filmen, die ich richtig lustig finde, also etwa das Ehepaar Dayton & Faris bei „Little Miss Sunshine“, oder die Coen-Brüder: alles keine Comedians, glaube ich. Aber Ihre Frage ist berechtigt, weil es Gegenbeispiele gibt, also Filme die gelungene Komödien sind, weil Komiker:innen Regie geführt haben: Josef Hader, Phoebe Waller-Bridge, die Marx Brothers, Monty Python.

profil: Wie liefen die Dreharbeiten? War da mehr Spaß am Set, vielleicht auch: improvisatorischer Freiraum als anderswo? Oder sind Komödien in der Regel schlicht harte Arbeit? 
Engelke: Das waren wirklich außergewöhnlich wunderbare Tage in Wien. Und das passiert gar nicht so oft, dass man morgens aufsteht und sich wie verrückt freut auf den Drehtag, und dass man nach Drehschluss traurig ist, weil man ahnt, dass es so schön nicht immer sein kann. Dadurch, dass die Vorbereitungen so präzise gemacht worden waren und dass Michael, sein Co-Regisseur Heli Köpping und der Kameramann Wolfgang Thaler dem Team morgens jede Szene blind vortanzen konnten, hatten wir ungewöhnlich viel Raum zum Spielen. Je besser die Vorbereitung, desto mehr Platz für Improvisation. Arbeit ist das alles trotzdem, harte Arbeit sogar, haha, wie das klingt, aber wir brauchen kein Mitleid, wir lieben ja, was wir tun, sehr.

profil: Welche Rolle spielt das Kino in Ihrer Karriere (verglichen mit Musik, Live-Entertainment oder mit TV-Unternehmungen wie „LOL“)?
Engelke: Kino ist schon die große Liebe, vermutlich weil ich selber so gern und so viel ins Kino gehe. Dass ich zum Beispiel nicht mehr für die Berlinale arbeite, macht mich schon traurig: Ich habe ja 13 Mal die Eröffnung und die Preisverleihung moderiert, und um die Protagonist:innen bei der Preisverleihung zu kennen, habe ich nicht nur alle Wettbewerbsfilme gesehen, sondern auch – quasi um die Temperatur des Festivals zu erfassen – viele Filme in den anderen Sektionen. Und so waren das am Ende des Festivals oft 30 bis 35 Filme die ich innerhalb der zehn Tage sehen konnte. Ich liebe es, abzutauchen in andere Welten und Einblick zu bekommen in andere Leben, in andere Sichtweisen. Ich liebe Kino. Trotzdem: Musik bleibt eine große Leidenschaft von mir, denn ich singe zwar nicht besonders gut, aber total gerne, und ohne Angst. Und zwar nicht alleine, sondern immer mit Band, mit Orchester, weil ich keine gute Solistin bin, weder auf der Bühne, nicht bei der Arbeit generell. Und Fernsehformate sind inzwischen auch so klasse, dass ich gern dabei bin: „LOL“ ist so ein Beispiel, oder „Wer stiehlt mir die Show“ – da geben sich gute Leute einfach Mühe, Unterhaltungsfernsehen zu machen das empathisch, fröhlich und nicht dumm ist.

profil: Wie sehen Sie die Funktion von Comedy in derart harten, politisch und pandemisch erschütterten Zeiten?
Engelke: Der Zweck heiligt nicht die Mittel: man sollte keine Comedy-Grütze abliefern und behaupten, dass das jetzt nun mal einfach wichtig sei, man müsse die Menschen jetzt mehr denn je zum Lachen bringen. Am Ende entscheidet das jeder Mensch individuell für sich: brauche ich jetzt gerade ein Buch, eine Kino-Komödie, ein Gespräch, Stille oder ein Wurstbrot, oder muss ich bitte einfach weinen dürfen oder brüllen?

profil: Wie definieren Sie Ihren Handlungsspielraum als Komödiantin? Darf man, muss man über bestimmte Grenzen gehen?
Engelke: Unterscheidet sich der Handlungsspielraum einer Komödiantin von dem anderer? Unterscheidet man zwischen Verhalten im Beruf und im Privaten? Ich hoffe doch, dass ich mir in beiden Blasen meiner Verantwortung bewusst bin und mich anderen und dem Planeten gegenüber nicht wie ein Idiot verhalte. Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und deren Arbeit sichtbar ist, sind keine besseren Menschen, sind keine Expert:innen.

profil: Denken Sie daran, sich an einem eigenen Filmprojekt zu versuchen? Die Fallhöhe des deutschsprachigen Lustspiels ist gemeinhin ja eher gering, man könnte auf die Idee kommen, mit selbsterdachtem Material zu arbeiten, oder?
Engelke: Nie Regie geführt, oh Gott nein, das könnte ich nicht! An der KHM in Köln habe ich als Gastprofessorin 5 Jahre lang Regiestudierende betreut, ohne den geringsten Schimmer zu haben von dramaturgischem Arbeiten, Aber Spielen kann ich, und Erfahrungen weitergeben, und inspirieren und loben. Mehr nicht.

Michael Ostrowski, 49, Schauspieler, Autor, Regisseur

profil: War es von Anfang an klar, dass Anke Engelke in „Der Onkel“ als Hauptdarstellerin auftreten würde?
Michael Ostrowski: Die Rolle der Gloria war lange das ganz große Fragezeichen; es war die einzige Rolle unter den tragenden, die wir nicht schon für jemanden geschrieben hatten. Wir wussten aber, der Film würde mit dieser Besetzung stehen und fallen. Denn es brauchte die richtige Mischung aus freudvollem Spiel und Leidensfähigkeit; das ist in Wahrheit ja eine sehr dramatische Rolle: eine vom Schicksal gebeutelte Frau, die herausfindet, dass ihr im Koma liegender Mann Schmiergeldlieferant war. Diese Tragik musste aber, und das war das Schwierige, mit Humor gespielt werden.

profil: Woher kannten Sie einander?
Ostrowski:
Anke und ich lernten einander in Kapstadt kennen, ich war 2016 nur zwei Tage dort, hatte einen Drehtag. Der Film hieß „Tödliche Geheimnisse“, ein Fernsehkrimi. Damals konnten wir schon gut miteinander. Als ich ihr dann unser Drehbuch gab, liebte sie es; und sie vertraute mir, hielt es für denkbar, dass ich etwas machen konnte, das Hand und Fuß hat, obwohl ich ja erst einen Film inszeniert hatte; ihr Vertrauen war sehr berührend.

profil: Ihre Kinder spielen in „Der Onkel“ zentrale Parts. Dieser Film ist ein Familienunternehmen.
Ostrowski: Das kam als Idee erst sehr spät auf. Maris und Elisea beschlossen irgendwann, einfach zum Casting zu kommen. Für mich stand zuerst die schwierige Frage im Raum, ob ich mit meinen Kindern das tun könnte, was ich sonst mit anderen Schauspielern mache – nämlich über die Grenzen des guten Geschmacks gehen? Und ich kam drauf, dass ich das gerade mit meinen Kindern konnte! Ich war in der Lage, mit ihnen noch einen Schritt weiterzugehen in Sachen Humor, Abgründigkeit und Absurdität.

profil: War der verstorbene Regisseur Michael Glawogger, mit dem Sie ja etliche Filme gemacht haben, eine entscheidende Inspiration für „Der Onkel“?
Ostrowski: Wir hatten natürlich diese Geistesverwandtschaft, ich glaube aber, dass „Der Onkel“ in eine andere Richtung geht. Es ist ein anderes Genre: eine schwarze Komödie mit melodramatischen Zügen, denn im Kern dieses Films steckt auch eine große, unerfüllte Liebesgeschichte. Da ist eine starke Gefühlsebene, die auch in das Nachbarspaar gespiegelt wird. Der Film hat eine lakonische Tiefe, hoffe ich.

profil: Der Film sieht aus, als hätte es sehr viel Spaß am Set gegeben. Vermutlich war es aber doch eher harte Arbeit?
Ostrowski: Es war zwar auch harte Arbeit, aber hauptsächlich war es schön, eine riesige Freude. Wenn kein gutes Set-Klima herrscht, eine Atmosphäre, in der man sich in den Wahnsinn der Komödie fallen lassen kann, kann so etwas nicht funktionieren. Und dann kam eben noch dazu, dass Anke ein derart unprätentiöser Mensch ist. Sie sitzt morgens am Set und liest erst einmal die „Süddeutsche“ und „Die Zeit“ fertig, dann tritt sie vor die Kamera und knallt einem den Text hin, den wir ihr gerade noch umgeschrieben haben, als hätte sie ihn seit vier Wochen gelernt. Und es hat mir so viel Auftrieb gegeben, dass sie derart Feuer und Flamme für das Buch und unser Projekt war.

profil: Als Schauspielerin kam sie dem Film sehr entgegen?
Ostrowski: Ja, Anke ist ein extremer Teamplayer, wie ich auch. Ihr Credo ist: Man muss immer das Richtige für den Film tun. Ein Film ist nur dann gut, wenn die Egos in den Hintergrund treten. Sie nahm sich überall dort zurück, wo es richtig war für ihre Figur und die Story. Und sie gab in den Momenten Gas, wo es ebenfalls stimmte.

profil: Die Genauigkeit, das Liebevolle an dieser Inszenierung fällt auf.
Ostrowski: Ich hoffe!
Es geht ja um Nuancen, um Blicke, um das falsche Wort an der falschen Stelle.

profil: Wie haben Sie es zuwege gebracht, Kabarett-Legende Gerhard Polt zu einem Kurzauftritt zu bewegen.
Ostrowski: Wir sind lange schon befreundet. Aber er hatte
eine Bedingung: „Wir müssen nach dem Dreh essen gehen.“ Das war allerdings leicht zu erfüllen.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.