Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek: „Als Mann hätte ich mich wahrscheinlich längst umgebracht“

Elfriede Jelinek wird diesen Mittwoch 75 Jahre alt. Eine Collage aus Zitaten der Literaturnobelpreisträgerin - mit selten gezeigten Fotos des langjährigen profil-Fotoreporters Walter Wobrazek.

Drucken

Schriftgröße

Seit fast 20 Jahren hat sie sich uns entzogen. Das letzte Mal, dass Elfriede Jelinek (zumindest auf einer Leinwand) in großem Stil die Öffentlichkeit aufsuchte, fand bei der Verleihung des Literaturnobelpreises 2004 statt. Jelineks öffentlichkeitswirksames Auftreten gegen Rechtsnationalismus und Populismus zahlten ihr der Boulevard und die Politik mit brutalen Anfeindungen heim: Es gibt wohl nicht viele Gegenwartsautorinnen, die derart unverhohlen gehasst wurden, deren Werk mit „Dreck“ gleichgesetzt wurde. Jelinek schrieb, uns allen zum Glück, dennoch weiter: Gedichte, Drehbücher, Gerichtsreportagen, Übersetzungen, Libretti, eine Prosa der Musikalität und der inneren Sprengkraft, eine Dramatik, die sich jeder Theaterkonvention verweigert – und die so empfindlich wie grundsätzlich in das Räderwerk der Zeitgeschichte eingreift. Siehe NS-Mitläufertum, Irakkrieg, Trump, Flüchtlingskrise, „Charlie Hebdo“-Attentat. Jelinek lebt und arbeitet in einem waldumsäumten Wiener Randbezirk. Im Bubble Chair, jener ikonischen Sitzgelegenheit, die in ihrem Wohnzimmer an Ketten von der Decke baumelt, sitzen auf dem Foto, das ihre Website ziert, drei Stoffbären. Ein Wiedersehen mit der Autorin ist aktuell immerhin auf profil.at möglich: Der langjährige profil-Fotograf Walter Wobrazek hat Jelinek über Jahrzehnte mit seiner Kamera begleitet.

Manchmal scheitern wir in der Tat, und ich glaube fast, dieses prinzipielle Scheitern ist unser letztes Ziel.“

Die Klavierspielerin, 1983

Auch wenn Erika schneidet oder wenn sie sich sticht, spürt sie kaum etwas. Nur was den Gesichtssinn betrifft, hat sie es zu hoher Blüte gebracht.“

 

„Die Klavierspielerin“, 1983

Die Erde wird blau vor Kälte, aber jetzt noch nicht. Feuervergoldete Jugend, unser einziger Trumpf, wird in den Boutiquen und Sportgeschäften ausgespielt, er sticht, und wir Älteren, wir haben ebenfalls bereits ausgespielt.“

 

„Die Kinder der Toten“, 1995

Schrecklich! Ich habe mich von Journalisten so oft ausziehen lassen.“

 

Interview mit André Müller, 1999

Mein Roman ,Kinder der Toten‘ war eigentlich auch als kleine Gespenstergeschichte geplant. Aber ich bin jemand, bei dem es plötzlich anfängt zu wuchern. Und dann schießen aus dem Geflecht unter der Erde überall die Pilze heraus – bei guter Düngung. Das habe ich dann nicht mehr in der Hand. Ich bin ja keine planerische Autorin.“

Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, 2004

Natürlich freue ich mich auch, da hat es keinen Sinn zu heucheln, aber ich verspüre eigentlich mehr Verzweiflung als Freude.“

 

Interview nach der Literaturnobelpreisbekanntgabe mit der APA, 2004

,Die Kinder der Toten‘ ist sicher mein wichtigstes Werk. Es enthält alles, was ich sagen wollte; es hätte eigentlich genügt, dieses eine Buch zu veröffentlichen.“

 

 

Interview mit profil, 2004

Als Mann hätte ich mich wahrscheinlich längst umgebracht.“

Interview mit André Müller, 2004

Am Schreibtisch führe ich Krieg gegen die Menschen, die es sich in der Normalität, um die ich sie beneide, bequem gemacht haben und das Leben genießen können. Ich bin da im Grunde ganz totalitär. Ich sage, dass nach dem, wie die Nazis hier gehaust haben, niemand das Recht hat, ruhig und glücklich zu leben.“

 

Interview mit André Müller, 2004

Ich strebe heute mit meinem Schreiben nur noch das Überleben an. Ich werfe mich, indem ich schreibe, aus mir heraus. Denn wenn ich mir meiner Identität bewusst werde, bin ich tot. Ich will mich nicht kennenlernen. Ich lebe aus zweiter Hand, aber ich beklage mich nicht. Ich bin an der Lebensferne, die meine Krankheit ist, selber schuld. Mein Selbsthass kommt jeden Tag. Ich weiß, dass ich mit dem Schreiben nichts ändere. Aber was soll ich sonst tun? Ich kann ja nichts anderes. Das Schreiben ist für mich ein Segen, weil ich dazu das Haus nicht verlassen muss. Wäre ich nicht Schriftstellerin, wäre ich Sozialrentnerin.“

 

Interview mit André Müller, 2004

Ich habe auch ein bisschen gebetet, dass ich ihn nicht bekomme, weil ich furchtbare Angst habe, mein zurückgezogenes Leben – zumindest eine Zeit lang – nicht so weiterführen zu können, wie ich möchte. Ich scheue die Öffentlichkeit extrem, und ich hoffe, dass man mir trotzdem erlauben wird, privat zu bleiben. Ich will keine öffentliche Person sein.“

 

 Interview mit profil, 2004

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.