Evelyn Steinthaler: Unter "nationalistischen Werwölfen"

Ein neues Buch berichtet von der Lebens- und Leidensgeschichte der Kärntner-slowenischen Zeitzeugin Katja Sturm-Schnabl.

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Fast alles nimmt nach dem „Anschluss“ ein Ende. Die slowenisch gesungenen Messen verstummen, die slowenische Sprache wird verboten. Der Toman-Hof nordöstlich von Klagenfurt wird von sogenannten „Kommissionen“ aufgesucht, die überprüfen, ob die slowenische Familie Sturm politisch zuverlässig sei. Katja, die zweitälteste Tochter auf dem Bauernhof, geboren 1936, spricht zu dieser Zeit kein Wort Deutsch. Ein Kind, wie die Publizistin Evelyn Steinthaler in ihrem neuen Buch „Das Mädchen und der Umhang“ schreibt, unter „nationalistischen Werwölfen“.

„Das Mädchen und der Umhang“, ein knapp 150 Seiten starker Text zwischen Biografie und Bericht, erzählt eindrücklich die Lebens- und Leidensgeschichte der Sprachwissenschafterin und Literaturhistorikerin Katja Sturm-Schnabel: Katja wurde als Sechsjährige im Rahmen der verharmlosend genannten Aktion „Aussiedlung“ ab April 1942 nacheinander in die Zwangsarbeiterlager Ebenthal, Glasow, Eichstätt und Klagenfurt deportiert; die große Schwester Veri wurde ermordet. Unter einem imaginierten Umhang suchte Katja in diesen schwarzen Jahren Schutz.

Steinthaler, 51, verbirgt ihre Sympathien für Katja an keiner Stelle, was dem Buch nur zugutekommt. Das Vorgehen der Autorin ist umso verständlicher, als Steinthaler sich auf dem Feld der NS-Opferforschung mit Engagement und Verve bewegt: Sie hat über die Emigration des Opernsängers Richard Tauber und über die Liebe prominenter Paare in der Zeit des Nationalsozialismus geschrieben. In dem Comic „Peršmanhof – 25. April 1945“ (mit Illustrationen von Verena Loisel) erinnerte Steinthaler an ein Verbrechen auf dem Kärntner Anwesen, bei dem nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten noch Angehörige der SS wüteten: Elf Personen, darunter sieben Kinder, fielen dem Massaker zum Opfer.

Aus der Beschreibung eines Lebens wird in „Das Mädchen und der Umhang“ eine empathisch festgehaltene Leidensgeschichte. Steinthaler schreibt über Katjas Zeit im Zwangsarbeiterlager: „Sie sollen allesamt ungebildetes Arbeitsvieh werden. Später wird Katja herausfinden, dass ihre von der SS geplante Unbildung im Lager ein Teil des ,Generalplans Ost‘ sein sollte. Katja und die anderen Kinder im Lager sollten nichts anderes werden als slawische Sklaven im Dienst der deutschen Herrenmenschen.“ Und weiter: „Die SS will die Kinder brechen, damit sie all das Böse, das ihnen in den Lagern widerfahren ist, mit in das Leben nehmen, das auf sie wartet.“

Ihr Schutzmantel begleitete Katja noch im Nachkriegsösterreich. Die große Mehrheit war mit dem Verdrängen und Vergessen beschäftigt, den Rückkehrern wurden Brocken in den Weg gelegt, oft begleitet von Pöbeleien: „Sturm, du schreibst hier Slowenisch! Warum? Was soll das?“, schimpfte der Klassenvorstand. Bald kippte diese Stimmung in den pogromartigen „Ortstafelsturm“ im Herbst 1972, bis heute, schreibt Steinthaler, ein „Schandmal der Kärntner Nachkriegszeit“. Näheres dazu findet sich in diesem wichtigen Buch.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.