Im kommenden August wird Robert De Niro 82 Jahre alt werden. DiCaprio, mit dem er schon seit über drei Jahrzehnten arbeitet, nennt er immer noch „Kiddo“ (etwa: Kleiner). Und den politischen Aktivismus lässt er sich vom hohen Alter nicht nehmen. Allerdings spricht er nur, wenn er dringend muss, wenn er sich genötigt sieht, Missverständnisse zu klären oder Einspruch zu erheben; seine Einsilbigkeit hat sich über die Dekaden noch verstärkt. Sie hat aber auch mit seinem Beruf zu tun, den er betont undramatisch ausübt. De Niro weiß, dass man mit wohldosiertem Nachdruck, mit Zurückhaltung und Stille viel mehr erreichen kann als mit Entgrenzung und Exzess.
In zwei Komödien von Brian De Palma verschaffte sich der junge De Niro Ende der 1960er-Jahre erste Anerkennung. Der Ruhm folgte, als die Welt erkannt hatte, was sie an ihm hatte, wie selbstverständlich: Als der Mafioso Vito Corleone trat er im zweiten Teil von Francis Ford Coppolas „Der Pate“ (1974) auf, als Vietnamkrieger in Michael Ciminos „The Deer Hunter“ (1978), einen charismatischen Bandenführer gab er in Sergio Leones letztem Film, in „Once Upon a Time in America“ (1984), einen Profidieb an der Seite Al Pacinos in Michael Manns „Heat“ (1995). Seit den frühen 1970er-Jahren hat er außerdem in zehn großen Inszenierungen seines Freundes Martin Scorsese Hauptrollen gespielt: De Niro verkörperte den mental schwer angeschlagenen Kriegsveteranen Travis Bickle in „Taxi Driver“ (1976), den Boxer Jake LaMotta in „Raging Bull“ (1980) und den Kidnapper Rupert Pupkin in „The King of Comedy“ (1983), zuletzt noch den historischen Massenmörder William King Hale in „Killers of the Flower Moon“ (2023).
Angesichts dieses massiven Lebenswerks erscheint die Tatsache, dass De Niro bislang nicht mehr als zwei Oscars und zwei Golden Globes besitzt, fast befremdlich. Aber das Gewinnen spielt keine Rolle, wenn man es stattdessen darauf anlegt, Daseinsfragen zu beantworten. Um all dies zu erörtern, lud das Festival am Tag nach der Eröffnung zu einem „Rendez-vous avec Robert De Niro“, zur Masterclass mit einer Legende. Als Talk-Sparringpartner wählte man den französischen Fotografen und Filmemacher JR, der auch als street artist und Kollaborateur der Künstlerin Agnès Varda bekannt ist. Das gemeinsame biografisch-dokumentarische Kinoprojekt, an dem De Niro und JR seit ein paar Jahren werken – und, mit offenem Ausgang, wohl noch viele weitere Jahre arbeiten werden –, stand daher zunächst im Zentrum des Gesprächs.
Es wurde schnell persönlich, denn JR hat mit seiner Kamera De Niros Familienforschung festgehalten: wie dieser das Atelier seines Künstlervaters, eines namhaften Vertreters des Abstrakten Expressionismus, intakt gehalten und unlängst erstmals auf Skizzenbücher und Notizen durchsucht habe; wie er es spät gewagt habe, in den Tagebüchern seiner Mutter zu lesen. Der 1993 verstorbene Vater hieß ebenfalls Robert De Niro – die Strahlkraft seines Namens wird nun von jenem des weltberühmten Sohns überdeckt. Auch deshalb wolle er die Erinnerung an seinen Vater wachhalten, gab der Schauspieler zu – und um seinen eigenen Kindern all das nahezubringen, was ihr Großvater geleistet habe.
Das Filmdrehen gehe ihm oft auf die Nerven („Ich habe keine Lust dazu, aber ich fühle mich dazu verpflichtet“), und er versichere den Leuten, die mit ihm arbeiten wollen, im Vorfeld schon, dass sie sich eben gegen ihn durchsetzen müssten („You have to push me!“). Von Reminiszenz und Endlichkeit war an jenem Nachmittag oft die Rede, nicht sentimental, das vertrüge sich mit De Niros Pragmatismus nicht, aber doch emotional. Er halte viele Dinge fest, die sein eigenes Leben betreffen, Andenken seiner Dreharbeiten, markierte Scripts, Kostüme, Requisiten. Was er mit all diesen Gegenständen vorhabe, konnte De Niro nicht näher erklären; nur dass die Bewahrung verlustgefährdeter Objekte eine Maßnahme für die Zukunft sei: Von der „Nachwelt“, für die er all das auch tue, spricht De Niro mehrmals.
Ob er Angst vor dem Tod habe, fragte JR ihn noch. Er habe keine Wahl, antwortete De Niro gewohnt lakonisch, insofern könne er sich das Angsthaben auch gleich sparen. Dann präzisierte er noch: „Ich habe Angst, natürlich, aber sie nützt ja nichts, also gehe ich mit ihr um, umarme das Leben und bewege mich voran, bemühe mich, das Gute wie das Schlechte anzunehmen.“ Die Frage jedoch, wer der „echte“ Robert De Niro sei, die reale Gestalt hinter all den abgründigen Rollen, denen er sich so kompromisslos ausgesetzt und überantwortet hat, konnte am Ende auch er selbst nicht beantworten.