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Bauer sucht Frau, ORF sucht Beifall

Die Agrar-Trash-TV-Sendung "Bauer sucht Frau" erweist sich einmal mehr als Quotenhit. Spielt der Corona-Eskapismus ATV in die Karten?

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Milchbauer Hannes aus dem Hausruckviertel hatte es letzte Woche nicht leicht. Er musste eine Entscheidung zwischen seinen Hofdamen Birgit und Tatjana treffen. Eine Entscheidung zwischen Bauch- und Kopfgefühl, wie er sagte, die schließlich zu Gunsten Tatjanas (Bauch) ausging – Birgit (Kopf) war am Boden zerstört und warf sich heftig weinend in einen Heuhaufen.

Bauer Hannes suchte via "Bauer sucht Frau" eine Frau und bescherte der ATV-Sendung mit dem von ihm konstruierten Liebesdreieck die mittwöchliche Primetime-Marktführerschaft bei den 12- bis 49-Jährigen – und damit einen neuen Rekord. 20,9 Prozent des gesamten österreichischen Fernsehpublikums waren dabei, als die von ATV zur „Liebesbotin“ ernannte Moderatorin Arabella Kiesbauer ihre Kandidatinnen und Kandidaten durch rurale Gewässer navigierte.

Ergeben sich diese Zahlen aus Corona-Eskapismus? Herrlich apolitisch und corona-ungetrübt ist die Sendung jedenfalls. Und so angenehm diese Erholungspause von Pressekonferenzen und Lockdown-Regeln sein mag, bedürfen die reproduzierten Rollenbilder und Stereotypen durchaus kritischer Diskussion. Sowohl unerträglich sexistische Neigungen mancher Bauern als auch eine einseitige Darstellung des Berufsbildes der Landwirtschaftenden treffen immer wieder auf Kritik, vor allem Letzteres wurde in Deutschland vor einigen Jahren heftig diskutiert.

In einem Interview mit dem "Spiegel" kritisierte der Agrarökonom Roman Strasser die in Deutschland von "RTL" produzierte und ausgestrahlte Sendung: „Es regt mich einfach auf, wenn ich sehe, wie hier die Landwirtschaft in den Dreck gezogen wird. Eine einzige Sendung zerstört, was wir Landwirte mit Imagekampagnen mühsam aufgebaut haben. Das ist einfach herabwürdigend, auf einem Hof geht es um viel mehr als um stumpfe Arbeiten wie Mistschippen.“ 

Zumindest wird die Mann-sucht-Hausfrau-Struktur in der österreichischen Version bisweilen aufgedröselt, in der aktuellen Staffel vor allem durch Kräuterbäuerin Sabine, die drei Männer zu sich auf den Hof einlädt und dann im Garten in einer Jurte schlafen lässt. Diskussionsbedarf wird dennoch auch heute Abend wieder ausreichend gegeben sein – sollten sie besagten Corona-Eskapismus benötigen, dürfen Sie das durchaus als Empfehlung lesen. 

Nachdem Sie dem Agrar-Trash-TV gefrönt haben, können Sie Ihr neues Jahr mit guten kulturellen Vorsätzen und der Live-Übertragung des Neujahrskonzertes beginnen und am ersten Jänner zu Strauß, Strauß-Sohn und Strauß-Vater ausnüchtern. Auch, wenn das Konzert dieses Jahr coronabedingt ganz anders ablaufen wird als sonst: Riccardo Muti wird die Wiener Philharmoniker vor einem leeren Musikverein dirigieren. Wer klatscht dann beim Radetzky-Marsch? Vielleicht die Musikerinnen und Musiker, die gerade nicht spielen müssen.

Um zumindest Auftritts- und Schlussapplaus gewährleisten zu können, hat der ORF ein spezielles Projekt organisiert: Das Konzert soll zu einem interaktiven Event werden. Wenn Sie sich hier vorab registrieren, können Sie den Wiener Philharmonikern am Neujahrsmorgen von der Couch aus applaudieren. Der ORF will so den Beifall von Zuschauerinnen und Zuschauern aus aller Welt bündeln und den Musikerinnen und Musikern in den Goldenen Saal und dem Fernsehpublikum in die Wohnzimmer projizieren.

Bis dahin dauert es noch etwas mehr als zwei Wochen. Wenn Sie, bevor die guten Vorsätze für 2021 in Kraft treten, vielleicht einmal eine Auszeit brauchen, verbringen Sie Ihren Abend heute statt mit Sebastian, Karl und Rudi doch mit Almbauer Florian, Kräuterbäuerin Sabine und Milchbauer Hannes. Ein kurzer (oder vielleicht auch längerer) Umschalter auf ATV verspricht zumindest ein radikaler Ausbruch aus Ihrer Bubble zu werden.

Genießen Sie die letzten beiden Wochen des Jahres,

Lena Leibetseder

PS: Wie entflüchten Sie dem Corona-Alltag? Schreiben Sie uns Ihre Strategien an [email protected].

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.