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„Wie sexistisch sind Sie eigentlich?“ „Wie bitte?“ „Ja, genau Sie!“

Sexuelle Übergriffe sind die schlimmste Facette im Potpourri der geschlechtsbedingten Diskriminierung. Sexismus ist aber in allen Strukturen verankert. Er zieht sich durch die Sprache, die Institutionen, die Entlohnung, die Besetzung von Positionen, unsere Wohnungen und auch durch unsere Köpfe.

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Dieser Artikel erschien im profil Nr. 50 / 2020 vom 06.12.2020.

 

Hören Sie bitte auf zu gähnen. Nur weil Sie das Wort Sexismus inzwischen schon so langweilt wie ein langer Regentag. Sie meinen, nach den endlosen - aber ja, natürlich - extrem wichtigen #Metoo-Debatten und der Abwahl der personifizierten Frauenverachtung mit der orangefarbenen Frisur in den USA müsse jetzt endlich einmal Ruhe einkehren. Wir sind uns doch alle einig, dass sexuelle Einvernehmlichkeit kein dehnbarer Begriff ist. Dass Frauen Zugang zu allen Positionen haben sollen, ist sowieso klar. Höchste Zeit, dass endlich diese gläserne Decke durchstoßen wird. Oder?

"In der Bubble ist das natürlich der Konsens", erzählt der ÖVP-Abgeordnete Nico Marchetti, 30: "Aber abseits dieser Wien-Bubble, wo immer wieder eine Zeltfest-Mentalität durchschlägt, sieht das natürlich wieder anders aus." Dass auch in der Politikszene, "wo wir eigentlich Vorbilder sein sollten", immer wieder "sexistische Sager fallen", sei, so Marchetti, "sehr, sehr mühsam. Eine diesbezügliche Sensibilisierung sollte längst selbstverständlich sein."

Ist sie aber nicht. Die Zeltfeststimmung, ein bekannt fruchtbares Biotop für Misogynie, herrscht durchaus auch im Parlament. Gabriele Heinisch-Hosek, langjährige Frauenministerin der SPÖ, beobachtet: "Dass der Respekt gegenüber dem anderen Geschlecht abnimmt, ist durchaus spürbar. Ich sitze im Parlament weit vorn und muss immer wieder nachdrücklich um Ruhe bitten, wenn Frauen am Wort sind. Auch in meiner eigenen Fraktion."

Gesellschaftliche Realität entsteht auch durch Sprache. Und Sprache ist, wie uns Facebook tagtäglich zeigt, ein großer Spielplatz für unverhohlene Frauenfeindlichkeit. Die Kommunikationskultur im politischen Alltag spiegelt die Realität des Mainstreams. Zwar sind die Tage, in denen ein ÖVP-Abgeordneter der Grünen Terezija Stoisits (siehe Kasten) die Empfehlung gab, sie möge doch lieber am Mikrofon lutschen, als ihre Inhalte zu transportieren, ekelerregende Geschichte, aber noch immer sind Politiker und ihre digitalen Jünger vor Entgleisungen nicht gefeit. Frauen werden als "Luder" diffamiert, es gehöre ihnen "eine aufgelegt" oder sie wären besser einfach abgetrieben worden.

"Ich sehe keinen Backlash", erklärt die Juristin, Psychotherapeutin und Buchautorin Rotraud Perner: "Sexismus war die ganze Zeit vorhanden, nur haben sich die Sexisten in der Öffentlichkeit zurückgehalten. Aber durch Facebook & Co und die dort gezeigten Modelle der Geschlechterinszenierungen aus "nichtwestlichen" Kulturen fühlen sie sich jetzt wieder als gesicherte Majorität." Sexismus sei "eine gezielte Strategie, um sich ungerechtfertigte psychische wie auch materielle Vorteile zu verschaffen. Er zielt auf Verunsicherung, Blamage, Exklusion und nützt Selbstinszenierungen auf Gorilla-Niveau."

Tatsächlich gibt die evidenzbasierte Realität keinen Anlass zu Optimismus. Ein kleiner Streifzug durch die Zahlen und Fakten, die klar demonstrieren, dass ein systembedingter, struktureller Sexismus fest in unserer Gesellschaft verankert ist: Insgesamt sind 66 Prozent aller erwerbstätigen Frauen in systemrelevanten, aber schlecht bezahlten und imagearmen Berufen tätig, etwa als Kindergärtnerinnen (87 Prozent weiblich), Regalschlichterinnen und Kassiererinnen (Branchenanteil von Frauen: 85 Prozent) oder Pflege- und Betreuungspersonal (82 Prozent weiblich). Der Anstieg der Arbeitslosen (zwischen Februar und Juli 2020) ging zu 85 Prozent zulasten von Arbeitnehmerinnen. Alleinerziehende Mütter leisten täglich 15 Stunden Arbeit, davon 9,5 unbezahlt. Die Lohnschere beträgt für österreichische Frauen noch immer 19,3 Prozent. Nimmt man das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen (also inklusive der Teilzeit-Quote), beträgt der Einkommensunterschied sogar 37 Prozent. Der von der "feministischen Geografin" Joni Seagers kürzlich publizierte "Frauenatlas" festigt dieses deprimierende Bild: Im weltweiten Vergleich bewegt sich Österreich, was den "gender gap" betrifft, im mittleren Drittel - auf Augenhöhe mit Mexiko und Tansania. Bei uns arbeiten Frauen im Schnitt pro Jahr 71 Tage länger für dasselbe Einkommen als Männer. Tatsächlich gibt es nur einen Bereich, in dem Frauen nach 33 Jahren (1987 erschien der Atlas erstmals) weltweit stark aufgeholt haben: bei der Bildung. Joni Seagers, hauptberuflich Professorin für "global studies" an der Bentley University in Boston, bilanziert nüchtern: "Die Geschlechtsdiskriminierungen werden laut statistischen Berechnungen noch 217 Jahre bestehen bleiben, sollte es keine Rückschläge geben."

Und das ist ja nie so sicher. Mit einem Rückschlag durch eine Pandemie, die vor allem Frauen vom Arbeitsmarkt fegt, konnte bis zum vergangenen März auch keiner rechnen.

Dass die sozialen Medien ein extrem fruchtbarer Boden für Misogynie in allen Facetten sind und den Sexismus regelrecht zum Blühen bringen, kann man tagtäglich auf Facebook nachlesen. Wie sehr Frauen des öffentlichen Lebens, egal ob Schauspielerinnen, Journalistinnen oder eben Politikerinnen, primitivem Hass und brutalen Obszönitäten ausgesetzt sind, zeigt der auf YouTube abrufbare Film "Männerwelten", den das Pro7-Showduo Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf im vergangenen Mai auf ihrem Haussender spielten. Darin führten die Autorin Sophie Passmann ("Alte weiße Männer-ein Schlichtungsversuch") und die Schauspielerin Palina Rojinski durch die verpixelten "Dick pics" (also die Penis-Bilder), die sich regelmäßig in ihren Posteingängen finden, und verlasen gemeinsam mit anderen TV-Moderatorinnen Internetpostings und Ausschnitte aus Chats, in denen sie als "Huren" beschimpft werden, die "einfach nur gefickt gehören" oder denen "das Maul gestopft gehört". Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken nannte das Video, das auf Instagram 18 Millionen Mal aufgerufen wurde, "die wahrscheinlich wichtigsten 15 Fernsehminuten des Jahres".

Auch die britische Künstlerin Tracey Emin kommentiert eine harte Schieflage in der Kunstwelt: "Wäre ich ein Mann, wären meine Arbeiten 200 Mal so viel wert. Zeige ich, dass ich weiß, was ich will, bin ich hysterisch. Ich habe trotzdem keinen Penisneid."

Nach einem Facebook-Aufruf vor einigen Wochen, in dem ich Frauen bat, ihre diskriminierenden Erlebnisse zu schildern, schrieb die "Kurier"-Chefredakteurin Martina Salomon: "Von mir geisterte eine Zeichnung der SPÖ-Langenzersdorf durch die sozialen Medien, die mich als türkise Hündin am Rücken liegend mit gespreizten Beinen karikierte. Ich habe erfolgreich auf Unterlassung geklagt. Sexismen sehe ich mich ständig auf Twitter ausgesetzt. Kein männlicher Kollege im Chefredakteursamt wird auch nur annähernd so beschimpft., Geh heim kochen', gehört zu den netteren. Bis zu meinem letzten Karrieresprung hatte ich so was noch nie erlebt."

Tatsächlich scheint Frauenverachtung ideologieübergreifend zu funktionieren und dabei vor allem einer älteren Männergeneration vorbehalten zu sein. "Wobei man da nicht pauschalieren sollte", so Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr: "Es gibt auch in der Generation der sogenannten alten, weißen Männer viele, die sich von diesem Frauenbild klar distanzieren."

"Alles, was gesagt wird, muss vorher gedacht worden sein", zitiert der SPÖ-Abgeordnete und Ex-Minister Thomas Drozda den Schriftsteller Thomas Bernhard und erinnert sich noch mit einem leisen Schaudern an den befremdeten Blick von Johanna Dohnal, der ersten Staatssekretärin für Frauenfragen, als er in deren Büro vor versammelter weiblicher Mannschaft erstmals vorstellig wurde. Der frisch amtierende Bundeskanzler Franz Vranitzky hatte ihn als "Frauenberater" eingesetzt: "Heute undenkbar, weil völlig paradox, da hat sich radikal was geändert. Aber die erzielten Fortschritte sind nicht irreversibel."

Dennoch spürte Drozda schon vor Corona einen "Backlash", was den respektvollen Umgang zwischen den Geschlechtern betrifft: "Da gab es seit 9/11 auch einen 'clash of cultures', der sich in unsere Gesellschaft hineinzog. Die meisten von uns blubbern in einer Blase, im Glauben, dass dort Sexismus in dieser Art nicht durchdringt. Aber wenn ich mir ein paar dieser digitalen Narren anschaue mit ihren absurd vielen Followern, muss ich an Thomas Bernhard denken." Was den "Auflegen"-Sager von Andreas Khol in Richtung Pamela Rendi-Wagner betrifft, sagt Drozda: "Das ist ein echtes Generationenproblem."

Die Frauensprecherin der Grünen, Meri Disoski, zeigte in ihrer Parlamentsrede am 19. November, die eigentlich den Frühstarterbonus thematisieren sollte, was für eine harte Angelegenheit Politik vor allem für Frauen noch immer ist. Unter lauten Zwischenrufen der FPÖ erwähnte sie Andreas Khols Sager, streifte dann den burgenländischen SPÖ-Bundesrat Günter Kovacs, auf dessen Facebook-Profil ein User im Zusammenhang mit Sigrid Maurer meinte, manche Politikerinnen hätten einfach abgetrieben gehört. Disoski schloss ihre Einführung mit der Frage: "Was ist mit euch? Was ist los mit den Männern in diesem Land?" Und fügte nach weiterem Gepöbel aus den Reihen der FPÖ-Mandatare hinzu: "Könnten Sie jetzt so höflich sein und mir zuhören? Schaffen Sie das?"

Dass die Umgangskultur in der Politik prinzipiell kein Waldspaziergang ist, ist klar. Mit Diffamierungen ist immer zu rechnen, dennoch ortet auch Christoph Wiederkehr im profil-Interview, "dass Politikerinnen viel härter angegriffen werden als männliche Kollegen." Wenn Frauen dynamisch und zielgerichtet auftreten, seien sehr schnell Attribute wie "hysterisch, emotional" bei der Hand, die "sich ein Mann in dieser Form nie gefallen lassen muss". Eine Beobachtung, die die zu dieser Geschichte interviewten Politikerinnen allesamt teilen, aber auch der junge ÖVP-Mandatar Nico Marchetti ist überzeugt: "Wenn Frauen sich am Rednerpult engagiert und leidenschaftlich zeigen, werden sie gerne als frustriert, hysterisch oder überemotional abgewertet. Ein Mann gilt hingegen als überzeugend und als einer, der was will."

Oder es gesellt sich der Faktor "überehrgeizig" dazu, wie er auch in der medialen Rezeption der ersten US-Vizepräsidentin Kamala Harris eine wichtige Rolle spielt. Harris schloss ihre Antrittsrede mit dem Satz: "Das ist auch eine klare Botschaft an euch, Mädchen! Träumt mit Ehrgeiz! Ihr könnt es schaffen. Ihr könnt diese Barrieren aufheben." In einem Artikel des feministischen Online-Portals "The Lily", einem Ableger der "Washington Post", setzten sich die Autorinnen mit dem Phänomen auseinander, dass "Ehrgeiz und der Wille zur Macht" im Falle von Harris, die noch dazu Afroamerikanerin mit asiatischen Wurzeln ist, sofort auch als Negativfaktor ausgelegt werde. Die Historikerin Catherine Clinton kommentiert diese Dynamik auf "The Lily" so: "Politische Bewegungen haben sich noch immer nicht an Frauen, die an die Front wollen und Ehrgeiz signalisieren, gewöhnt. Dementsprechend schnell werden sie auch stigmatisiert. Frauen sollen sich noch immer lieber als Wasserträgerinnen im Hintergrund und organisatorischen Bereich aufhalten."

Dass "Kolleginnen sich mit sexistischen Äußerungen konfrontiert sehen und oft auf ihr Äußeres reduziert werden", sei, so der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr, leider immer noch Usus: "Uns Männern passiert so etwas viel seltener. Dass das Thema eines in unserer Gesellschaft verankerten Sexismus aufgegriffen wird, halte ich für enorm wichtig."

Am 22. Oktober dieses Jahres haben Männer mit gleicher Qualifikation im Schnitt so viel verdient wie Frauen in vergleichbaren Jobs bis Jahresende. Das ist die drittschlechteste Rate in den Lohnscheren-Charts der EU. "Dass in Österreich so knallhart diskriminiert wird", so die SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek, "hat natürlich mit der hohen Teilzeitquote unter den berufstätigen Frauen zu tun, was sich auf den Aufstieg, die innerbetriebliche Förderung von Frauen und die Pension erheblich auswirkt."

In den Köpfen der Republik geistere noch immer das Bild vom Mann als "Ernährer" der Familie herum: "Wir haben da einfach noch keine Kultur für einen gesellschaftspolitischen Wandel und sind von einem zutiefst katholisch-konservativen Muttermodell geprägt. Man kann Frauen gar nicht vorwerfen, dass sie ihre Chancen nicht ergreifen, weil diese Chancen schlichtweg noch nicht da sind."

Das größte Gewicht in der strukturellen Schieflage hat nach wie vor die Geburt eines Kindes. Statistisch gesehen gibt es kaum Einkommensunterschiede zwischen gleich qualifizierten Männern und Frauen-bis zum ersten Kind. Von diesem Zeitpunkt an wird die Kluft im Laufe der Jahre trotz gleicher Ausbildung immer größer, und Frauen verdienen dadurch bis zu 50 Prozent weniger, was sich auch auf die Pensionshöhe auswirkt.

Wir sind also im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert nicht sehr viel weiter als vor 50 Jahren. Noch immer impliziert für Frauen Mutterschaft auch die Bereitschaft, beruflich zurückzustecken. Noch immer tut der Staat viel zu wenig für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Noch immer ist die damit verbundene Benachteiligung eines Geschlechts in den gesellschaftlichen Strukturen fest verankert, also institutionalisiert. Noch immer beklagen wir alljährlich im Herbst die weit klaffende Lohnschere, die sich allenfalls in Slow Motion schließt.

Befinden wir uns trotz der produktiven #Metoo-Debatte, trotz der erstmaligen Regierungsbeteiligung der Grünen, einer Partei, die in Fragen der Gleichberechtigung immer federführend war, trotz einer kürzlich gesetzlich verankerten Quotenregelung für Frauen in Vorstandspositionen in Deutschland, in einer Rückwärtsbewegung? An dem "Orchideen"-Problem einer Vorstands-Quotenregelung für Frauen in börsennotierten Unternehmen sei sie schon in der Großen Koalition gescheitert, seufzt Gabriele Heinisch-Hosek: "Das wollen die Türkisen unter keinen Umständen, denn sie sind von der Wirtschaft dominiert. Dabei wären gemischte Führungsteams, wie alle Studien zeigen, extrem wichtig."

"Ich habe manchmal gar nicht so sehr das Gefühl, dass wir uns in einem Backlash befinden, sondern viel mehr den Eindruck, dass sich seit den 1950er-Jahren eigentlich gar nicht so viel verändert hat", sagt Beate Meinl-Reisinger, Parteichefin der NEOS. Denn selbst in modernen, emanzipiert denkenden Familien, so ihre Beobachtung, gehe beim Homeoffice der Mann morgens "wie selbstverständlich in sein Arbeitszimmer“, während die Frau die Homeschooling-Betreuung, ihren Job und den Haushalt unter einen Hut zu bringen versuche. Kaum sind Kinder im Spiel, brechen die alten Rollenmuster sehr schnell wieder auf. Auch das sei eine Art Sexismus, und der sei tief
in die österreichische Gesellschaft eingegraben.

Dass durchaus nicht nur Männer diskriminieren, sondern auch Frauen ihr eigenes Geschlecht diffamieren, habe sie vor allem in Zusammenhang mit ihrer Mutterschaft erlebt. Meinl-Reisinger kehrte 2019 einen Monat nach der Geburt ihrer dritten Tochter in die Politik zurück. Ihr Mann, ein Richter, ging danach in Karenz: "Ich war schon in meiner Rolle als Politikerin mit Botschaften voller Gewaltfantasien konfrontiert, die ich an den Verfassungsschutz weitergegeben habe. Aber tatsächlich am meisten trafen mich der Hass und die Häme, was meine Rolle als Mutter betraf. Da kamen Postings wie 'Dieses Kind wäre am besten nie geboren worden' oder 'Warum schaffen Sie sich überhaupt Kinder an, wenn Sie keine Zeit für sie haben wollen?'"

Vollzeit-Berufstätigkeit bei Müttern mit einer Rabenmutter-Stigmatisierung zu verbinden, sei in der österreichischen Gesellschaft ein tief verankertes Konzept. Was zum einen der katholischen Prägung und dem damit verbundenen Frauenbild zu verdanken sei, aber auch durch die toxischen Reste der NS-Zeit verstärkt werde: "Ein Land kann sich mit seinen Denkstrukturen nur schwer von seiner Geschichte lösen. Und dass eine Frau auf ihren Beruf verzichten und besser nur bei ihren Kindern bleiben soll, ist auch eine Form von sexistischer Denkart."

"Wir haben in Österreich ein massives Problem mit strukturellem Sexismus, der zurückgeht auf eine tief in die Gesellschaft greifende Misogynie. Sehr viele Diskriminierungen erfolgen in Österreich rein auf Basis des Geschlechts, was in der Politik, den Medien und der Werbung ganz deutlich festzumachen ist", resümiert Meri Disoski im profil-Interview. Das soeben gesetzlich verabschiedete Paket gegen Hass im Netz sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Die Frauensprecherin der Grünen war auch jahrelang im Werberat tätig, wo Beschwerden gegen sexistische Werbungen aufgenommen werden. Mit wenig Konsequenz: "Der Werberat ist ein sehr engagiertes, aber völlig zahnloses Gremium. Er gibt Empfehlungen an Unternehmen ab, allerdings ohne jede Verbindlichkeit."Ein drastisches Beispiel sexistischer Werbung in jüngster Zeit sei das Plakatsujet der steirischen Firma Gall-Pharma: "Was vegane Nahrungsergänzungsmittel mit einer ekstatisch blickenden Frau, die eine halb geschälte Banane an sich drückt, zu tun haben sollen, kann mir wirklich niemand erklären." Die Reaktion der Firma: Das gleiche Sujet, allerdings beißt diesmal ein Mann mit muskelgestähltem Oberkörper in die Banane. Disoski: "Damit wollte man, wie man auf gut Wienerisch sagt, demonstrieren: Scheißt's euch bitte nicht an!"

Ein anderes Beispiel sei eine Werbung für die Programmzeitschrift "tv-media", in der ein Mann seine Frau mittels eines Klapses mit einem zusammengerollten Exemplar der Zeitschrift zum Schweigen bringt: "Das war besonders pikant angesichts des Anstiegs häuslicher Gewalt im ersten Lockdown. Aber nach einem Anruf beim Chefredakteur wurde das Werbesujet binnen 36 Stunden zurückgezogen."

In Island und Dänemark ist sexistische Werbung per Gesetz verboten: "Warum sollten wir das nicht auch schaffen? Was ist daran so schwierig?" Auch für das französische Gesetz, Pfiffe und obszöne Nachrufe auf der Straße mit Geldstrafen zu sanktionieren, tritt Disoski ein: "Erst unlängst ist mir das selbst passiert. Ein Bauarbeiter rief mir hinterher: ,Komm her! Mein Kollege findet dich toll und will dich kennenlernen!' Als ich das ignorierte, kam sofort ein 'Du g'schissene Schlampe, ich rede mit dir!' Dass alles, was mit Gewaltverharmlosung und Herabwürdigung zu tun hat, nicht mehr toleriert wird und Konsequenzen hat, ist ein wichtiges Signal für die nächsten Generationen."

Sexistischen Attacken jenseits tief greifender Beleidigungen versucht Meinl-Reisinger, "mit Humor und einem gewissen Entspanntheitsgrad beizukommen". Dem Rapid-Banner "A Stadion mit leeren Plätzen is wie a schiarche Oide wetzen" im vergangenen Sommer, das "von der Leitung natürlich nicht schnell genug entfernt wurde", begegnete die bekennende Club-Anhängerin nach einer verheerenden Niederlage mit dem Tweet "Wetzen Karma" - "Mehr habe ich nicht gebraucht."

Vor einigen Jahren wurde Alice Schwarzer in einem profil-Interview gefragt, warum sich der Feminismus seit den 1970er-Jahren so entschleunigt habe und seit Jahrzehnten immer um die gleichen Fragestellungen kreise. Ihre Antwort lautete: "Weil eure Generation noch immer nicht kapiert hat, dass kein Mann Privilegien freiwillig abgibt. Ihr müsst sie einfordern. Und zwar vehement. Sonst wird das nichts." Daran hat sich wenig geändert.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort