Interview mit Jodie Foster: Wie zoomt man mit einem Superstar?

Das Angebot, ein Interview mit der US-Schauspielerin zu führen, nimmt man gerne an. Stefan Grissemanns Reise in eine digitale Vorhölle.

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Filmstars in Luxushotelzimmern am Lido oder in abgeschirmten Strandcafés an der Côte d’Azur zu treffen, das ist vorläufig vorbei. Wenn man als Kulturredakteur heute mit Leuten sprechen will, die in amerikanischen Großproduktionen auftreten, muss man sich in ein sogenanntes virtual junket, eine Online-Begegnungszone zwischen Medienmenschen und Kinogrößen, begeben. Man gerät per freundlicherweise vorab zugesandtem Zoom-Link dorthin, wartet ein bisschen und wird dann an jene Person weitergeleitet, die man interviewen möchte. Theoretisch. Praktisch kann es ein wenig komplizierter werden.

Es geht im konkreten Fall um den Film „The Mauritanian“, das Drama eines über Jahre unschuldig in Guantanamo inhaftierten und gefolterten Mannes; die Dreharbeiten waren punktgenau vor Ausbruch der Viruskrise, Mitte Februar 2020, beendet. Der österreichischen Agentin des deutschen Filmverleihs  gelingt es, mir einen Termin mit Jodie Foster zu verschaffen, die im Film die abgebrühte Anwältin des fälschlich terrorverdächtigen Helden spielt. Das für das Interview zuständige, von Los Angeles aus operierende Marketing- und Publicity-Unternehmen arbeite nach eigener Definition mit einem „Full-Service-Team“ an „innovativen und dynamischen Werbe- und Marketingkampagnen“. Mir ist das recht.

Mein Interview soll am 31. Jänner um 9:35 Uhr Pacific Time stattfinden, also um 18:35 mitteleuropäischer Zeit; ich möge mich bereits um 18:05 Uhr in den „Warteraum“ zuschalten, das Gespräch soll dann exakt 15 Minuten lang dauern. Ich wende per E-Mail ein, dass das ein bisschen wenig sei, um den politischen Tangenten des Films gerecht zu werden. Man verhandelt noch ein wenig zwischen Wien und L.A., schließlich werden mir 20 Minuten gewährt.

Am Sonntagabend klicke ich also um kurz nach 18 Uhr den Zoom-Link, der mich in den „Willkommensbereich“ führen soll, an und gerate in einen „Warteraum“, in dem bereits gut 20 mir gänzlich unbekannte, hauptsächlich amerikanische JournalistInnen mit stoischen Mienen in ihre PC-Kameras schauen und auf ihre Begegnungen mit Regisseur Kevin Macdonald oder auch den Schauspieler Tahar Rahim warten. Die beiden für Betreuung und Weiterleitung zuständigen Publicity-Personen agieren in verschiedenen virtuellen Räumen, die eine, ein gelassener Mittdreißiger, der auch in einer Bluesrockband spielen könnte, leitet einen, wenn man an der Reihe ist, an die andere, eine junge Frau weiter, die in irgendeinem Break-out-Room mit hochprofessionellem Lächeln kuriose Prä-Interview-Instruktionen vergibt.

„Hi Stefan“, sagt der Bluesman eine halbe Minute nach meiner Ankunft in diesem Zwischenreich, in dem grundsätzlich nur noch Vornamen Gültigkeit haben. „Hello“, erwidere ich dankbar. „Great to see you“, sagt er, während er mit gesenktem Blick etwas in seine Tastatur hackt. Er scheint für die technische Organisation dieses Junkets zuständig zu sein.  Einer meiner Kollegen wird von ihm darüber in Kenntnis gesetzt, dass man „in Tahar’s Room“ nun „offiziell“ 25 Minuten später dran sei als vereinbart. Er könne, wenn er wolle, gerne erst in zehn oder 15 Minuten wiederkommen. Welchen Link sollte er jetzt nehmen, fragt ein anderer Journalist nach, den ich schon seiner Konfusion wegen mag.

Ich werde unversehens zu der jungen Frau weitergeleitet, die ihre Briefings fortsetzt: Ich möge meine „notifications“ unter Zuhilfenahme des „option key“ jetzt blockieren. Die Wahltaste finde ich, aber welche Benachrichtigungen, frage ich nach. Und angenommen, ich würde verstehen, was sie damit meint: Wie sollte ich diese „blockieren“? Ob ich ein Windows-Gerät oder einen Mac verwende, fragt sie geduldig nach, ihr ist offenbar gerade klar geworden, dass sie mit mir bei null beginnen muss. Ich sage wahrheitsgemäß: „Mac.“ Sie verweist mich auf den oberen rechten Rand meines Bildschirms, dort fände ich ein Symbol, das aus je drei Linien und Punkten bestehe. Ich folge ihren Anweisungen, was soll man sonst machen.

Sie leiert geheimnisvolle weitere Dekrete in hoher Geschwindigkeit in die Runde, als sei das alles so tausendfach gehört wie die Vorführungen zum Gebrauch des Sicherheitsgurtes im Flugzeug. Alle nicken, klar, no problem at all. Ich denke: Was hat sie gerade gesagt? Es war eine Art Konditionalsatz, so viel weiß ich noch, eine Wenn-dann-Konstruktion, aber ich könnte nicht sagen, welches Wenn gemeint war, vom Dann zu schweigen.

Ich soll mich, sagt sie jetzt, per Tastendruck einem „Vetting“ unterziehen. Mir fehlt die Zeit, um eine Übersetzung aufzurufen, sonst wüsste ich, dass der befremdlich klingende Begriff für „Sicherheitsüberprüfung“ steht. Wie genau die funktioniert, indem man einfach völlig folgenlos einen auf meinem Screen aufpoppenden Button anklickt, entzieht sich auch nachträglich noch meiner Kenntnis. Welchen Unsicherheitsfaktor könnte ich potenziell in diesem Rahmen darstellen? Ist es denkbar, dass ich ein anderer bin? Habe ich mich widerrechtlich in diese Zoom-Gruppe geschmuggelt, einen Link gekapert, der für jemanden bestimmt war, der nicht ich bin? Mit der knappen Information „I just got vetted“ reißt mich eine Kollegin aus meinen Überlegungen. „Great“, erwidert der Bluesman, bei dem ich inzwischen wieder gelandet bin,  unverbindlich.

„Stefan“, sagt eine weibliche Stimme aus dem Off und wartet, als sei das schon eine Frage. Ich sage zuversichtlich „Yes, I’m right here!“ – und hänge die Frage an, ob ich eigentlich auch diesen „Vetted“-Button drücken soll? Ja, das wäre cool, sagt die Stimme ohne Gesicht. Ich drücke, der Button verschwindet, natürlich ohne sichtbare Konsequenzen. Wir werden übrigens mithören, sagt die Frau, die mittlerweile auch ihre Kamera aktiviert hat, was es ein wenig leichter macht, mit ihr zu sprechen. Aha, mein Interview wird mitgehört. Gut zu wissen.

Ein E-Mail sei gerade an meine Adresse gesendet worden, teilt der Bluesman mir mit, darin fände sich der Link zum „Jodie Foster Interview Room“. Ich wundere mich darüber, dass ich diesen nicht gleich geschickt gekriegt habe, nehme mir aber vor, dieses Problem der Einfachheit halber nicht zu erörtern. Ich checke mein Mail-Account, nichts da. Das dauert ein paar Sekunden, versichert Bluesman mit entspannender Stimme, „you’re
fine“.

Eine Minute später, es ist inzwischen 18.36 Uhr, hab ich das Mail in meiner Inbox. Ich tippe auf den Link und warte vor weitgehend schwarzem Bildschirm erneut darauf, von welcher Moderation auch immer eingelassen zu werden. Minuten vergehen, nichts passiert. Ich fantasiere davon, vielleicht gar nicht eingelassen zu werden, wie Kafkas beklagenswerter Landvermesser vom Dorf niemals ins ersehnte Schloss zu gelangen, auf Lebenszeit hingehalten zu werden.

Gegen 18.45 Uhr nährt eine weitere weibliche Stimme plötzlich neue Hoffnung, begrüßt mich freundlich, schießt aber, ohne auf meine Reaktion zu warten, die Order nach, ich möge deutlich meinen Namen und das Medium, für das ich arbeite, nennen, dann könne das Gespräch beginnen. Ich erkenne, während ich das tue, Jodie Foster auf einem winzigen Bild links oben; wir sind zu sechst im „Interview Room“: Foster und ich, beide daheim vor unseren Notebooks, sie morgens, ich abends, dazu weitere vier Menschen, tonlos und mit ausgeschalteter Kamera (mutmaßlich auch daheim), sie sind zur Überprüfung im Kanal, vielleicht auch, um Foster vor missliebigen Fragen zu schützen.

Diese lächelt und wirft ein hemdsärmeliges „Hi there“ als Eisbrecher in den Raum. Gestresst versuche ich ihre Ansicht von Briefmarkengröße auf Vollbild zu schalten, wiederhole dabei, ohne zu denken, die joviale Grußformel, dann bemühe ich mich, die desorientierende Gesamtsituation, in der dieses Gespräch stattfindet, innerlich auszublenden. Ich stelle Jodie Foster meine erste Frage: wie ihr aktuelles Arbeitsleben denn so aussehe im Irrsinn der Gegenwart? Die Formulierung fühlt sich gerade erstaunlich passend an. 

Stefan Grissemann leitet das Kulturressort des profil. Er hofft inständig, sein unter verschärften Bedingungen entstandenes Gespräch mit Jodie Foster demnächst an dieser Stelle präsentieren zu können. Wann und wo der Film aber, der ja den Anlass des Gesprächs bildet, in Österreich zu begutachten sein wird, steht leider in den Sternen. In einem wiedereröffneten Kino? Im Kanal eines prominenten Streaming-Diensts? Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.