Kultur

Kay Voges: Ins Gelingen verliebt

Während am Wiener Burgtheater dieser Tage darüber entschieden wird, ob Martin Kušej ab 2024 noch die Geschicke des Hauses lenken kann, hat in derselben Stadt Volkstheater-Prinzipal Kay Voges das Gefühl, mit der kreativen Arbeit gerade erst anzufangen. Und die kann sich sehen lassen.

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Unter merklichem Druck stehen sie beide, das Kärntner Regiekraftpaket am Burgtheater und der freundliche Theater-Aufrührer aus Nordrhein-Westfalen, der seit 2020 das Wiener Volkstheater leitet. Unsicher ist beider Zukunft, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Martin Kušejs Popularität hat durch einen eher schmucklosen Spielplan, wenig Präsenz und Vorwürfe autoritärer Teamführung vor allem hausintern stark gelitten, während Kay Voges, 50, ein vitales, subkulturelles Programm gestaltet und auf eine ihm solidarisch verbundene Belegschaft vertrauen kann, sich aber durch das lange mangelnde Zuschauerinteresse derart angreifbar gemacht hat, dass man am Volkstheater inzwischen beschlossen hat, aktuelle Besucher-und Abo-Zahlen sicherheitshalber erst wieder im Mai 2023 zu veröffentlichen.

Die anhaltende Pandemie hat beiden Theatern-wie der Kulturszene insgesamt fast flächendeckend-zugesetzt; in dem Prachtbau am Universitätsring hatte man die letzte Saison mit einer Auslastung von bloß 61 Prozent abgeschlossen, aktuell meint man einen zarten Aufwärtstrend zu erkennen. Im Haus am Arthur-Schnitzler-Platz lag man im vergangenen Frühling sogar unter 50 Prozent. Voges' gute Laune hat sich auch nach zwei Jahren Schadensbegrenzung, nach Sanierungsverzögerungen, Viruskrise und viel öffentlicher Häme, nicht verflüchtigt, allenfalls in eine Art Galgenhumor verwandelt. Sein subversiver Geist ist intakt, den kann selbst der Kampf gegen die Windmühlen des Relevanzverlusts nicht so einfach deaktivieren. Zum profil-Gespräch erscheint Voges, trotz der Endprobenarbeit an seiner nächsten Uraufführung, an Kristof Magnussons Weltuntergangs-Comedy "Apokalypse Miau" (ab 1.12.),mit wolkenlosem Lächeln und verbindlichem Händedruck. Sein blaues Nadelstreifsakko kombiniert er mit einem Beinkleid im Camouflage-Design, seine Zigaretten verbraucht er in gesundheitsgefährdender Frequenz.

"Das neugierigste Publikum der Stadt", stellt er eingangs fest, "sitzt derzeit im Volkstheater. Wir wollen aber natürlich alle Wienerinnen und Wiener erreichen und von unserem Angebot überzeugen." Das Burgtheater sei das Traditionshaus, darum könne man es beneiden. Er selbst fühle sich aber "einer anderen Tradition verpflichtet, nämlich jener der permanenten Innovation". Um sein Volkstheater zu beschreiben, das oft als "zu heiß oder zu kalt" empfunden werde, bemüht er überraschenderweise das Neue Testament: "Die aber, die da lau sind, weder warm noch kalt, will ich ausspeien aus meinem Munde." So sieht Kay Voges seinen Job: "Wir dürfen fast alles, nur nicht langweilen! Wir absolvieren Grenzgänge der darstellenden Kunst, kooperieren mit Leuten wie Jonathan Meese und Paul McCarthy, mit musikalischer Subkultur, Tanz, digitalen Medien. Und wir arbeiten sehr gegenwärtig, denken auch klassische Stoffe wie 'Faust' oder 'Einsame Menschen' ins Hier und Jetzt."

Die Screwball-Endzeitfabel "Apokalypse Miau" kreist um einen fiktiven europäischen Theaterpreis, den Magnusson sarkastisch die "Destroy"-Gala nennt. "Die Welt scheint vor dem Untergang zu stehen, aber vorher gilt es noch, den Narzissmus zu befriedigen und rechthaberisch zu ideologisieren. Es wird ein Abend zwischen Show, Backstage-Comedy und Katastrophenkino, getragen von acht zauberhaften Schauspielkräften. Es wird gesungen und gegruselt, alles in allem also höchst unterhaltsam."

Ich kann die Intoleranz gegenüber fremden oder neuwertigen Erzählweisen nicht verstehen. 

Kay Voges

Vielfalt ist dem Volkstheater nicht abzusprechen; hingebungsvoll widmet man sich Underground-Projekten , anarchischer Lyrik (in dem preisgekrönten, zum Berliner Theatertreffen geladenen Jandl-Hit "humanistää!")und Konzeptuell-Technoidem, aber auch Staatstragendem (Annie Ernaux!),man veranstaltet Konzerte, Ausstellungen, gönnt sich einen Barkunstbetrieb. Man kann angesichts des üppigen Spielplans leicht den Überblick verlieren. Allein in der Saison 2022/23 zeigt das Volkstheater 21 Premieren, davon neun Uraufführungen, an zahlreichen Schauplätzen: auf der großen Bühne und der hauseigenen "Dunkelkammer", im Außenposten "Volx" und an 17 weiteren Orten in den Bezirken, in Volkshochschulen, Kulturgaragen und Veranstaltungszentren. Der Begriff "Gemischtwarenhandlung" behagt Voges naturgemäß nicht. "Einigen wir uns auf das Wort 'Volkstheater'! Wir spielen für sehr verschiedene Gesellschafts-und Interessensgruppen, arbeiten transdisziplinär, suchen neue Erzählformen. Weil die Theaterkunst ja nur im Moment existiert, ist sie stets der Gegenwart verpflichtet. Wir können etwas morgens in der Zeitung lesen und es abends auf der Bühne verhandeln. Unser Theater ist kein Museum."

Und auch kein Ort der großen Erzählungen mehr? Voges' eigene, postnarrative Inszenierungen scheinen davon zu zeugen. Im Online-Forum "Nachtkritik" moniert man "das Desinteresse des Loop-Liebhabers Voges für Handlungsbögen".Ihn interessiere diese "Intoleranz gegenüber anderen, fremden oder neuen Erzählweisen" überhaupt nicht, so der Regisseur; er könne sie nicht verstehen. "Wie viele Postmodernen haben wir schon hinter uns? Und dann diskutieren wir immer noch darüber, dass Beckett 'handlungsarm' sei? Ich weiß-im Gegensatz zur Kritik-nicht, wie das 'wahre' Theater funktioniert. Es ist ein permanenter Schöpfungsakt, seit Jahrtausenden verwandelt es sich. Ich bin nicht 'gegen' das Erzählen. Ich will nur kreativ damit umgehen. Vielfalt und Andersartigkeit sind doch Bereicherungen, keine Gefahren."

Der Preisregen bei der Nestroy-Gala und in der Fachzeitschrift "Theater heute" zeige doch, sagt der Direktor, dass trotz des Gegenwinds wahrgenommen werde, "dass an unserem Haus großartige Leute arbeiten. Wir haben ein kleines Ensemble, 20 Menschen, das Burgtheater hat 71. Wir müssen zusammenstehen, hier ist niemand ersetzbar." Chemie und Teamgeist stimmen, so sei dieses Ensemble ausgewählt worden. "Wir haben weder das Geld noch die Ambition, bei uns Superstars auftreten zu lassen. Wir spielen lieber zusammen, wie im Fußball. Nur haben wir, im Unterschied zu Bayern München, keine Ersatzbank, bei uns spielen alle auf allen Positionen. Und wir wissen, dass wir nur so gut sein können wie die, die am Licht-oder Tonpult sitzen, wie die Maskenbildnerinnen, Inspizienten oder Garderobiere."

In den vergangenen Monaten haben sich am Volkstheater durchaus eine Reihe heimlicher neuer Stars wie der aberwitzige Performer Samouil Stoyanov oder der tänzerische Subtilist Elias Eilinghoff herausgebildet. Und die Zufriedenheit am Haus ist tatsächlich hoch. Voges waltet mit flachen Hierarchien, mit Präsenz und Kommunikation. Autoritarismus ist ihm wesensfremd. Eine Atmosphäre des Gleichklangs zu schaffen, das sei "die tägliche Arbeit", sagt er, und sie sei auch der Betriebsdirektorin Mirjam Beck zu verdanken. "Es gibt zwei Regeln an diesem Haus: Lasst uns ins Gelingen verliebt sein! Und lasst uns respektvoll miteinander umgehen!"

Nun ist Theater aber bekanntlich ein Biotop der überschäumenden Gefühle; mit Konflikten und anderen emotionalen Eskalationen ist zu rechnen. "Es darf nicht um Eitelkeiten gehen. Ich möchte mit einer Hospitantin genauso respektvoll umgehen wie mit dem Geschäftsführer. Wir haben auch Kontrollinstanzen, die einschreiten, wenn es knallt: den Betriebsrat, eine Compliance-und Gleichberechtigungs-Beauftragte, die Ensemblevertretung. Ich mache hier keine Basisdemokratie, aber meine Direktion ist sehr niederschwellig. Wir kommunizieren permanent, um in allem immer noch besser zu werden."

In den Medien regiert dennoch mehrheitlich die Bosheit: Provokationsroutinier Paulus Manker sah unlängst als Gastkommentator des "Kurier" in den Auszeichnungen des Volkstheaters bloß "lächerliche Beweihräucherung, die völlig unterschlug, dass Voges in Wirklichkeit das Volkstheater zum schlechtest besuchten Theater der Republik gemacht hat, dass dort ein Flop den anderen jagt".Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler, die Voges designiert hatte, unterstellte er nichts weniger als "Korruption", verschwieg allerdings das zentrale Motiv seines Rundumschlags: Er hatte sich um die Direktion des Hauses beworben, scheiterte aber im Auswahlverfahren. Voges kann sogar den zahlreichen journalistischen Breitseiten Positives abgewinnen: "Dass unsere Arbeit speziell aus dem eher konservativen oder gar reaktionären Lager sehr heftig angegangen, geradezu diffamiert wird, ist auch eine Art Auszeichnung. Wir wollen ja etwas aufbrechen. Fürchten die konservativen alten Männer, die sich derart über uns empören, dass ihnen das Bleiberecht in der Gegenwart entzogen wird?"

Eine Konsolidierung der Publikumszahlen sei übrigens "absolut zu bemerken". Man stelle "klare Aufwärtstendenzen" fest, befinde sich aber "immer noch mitten in einem Neustart. Ich fühle mich, ehrlich gesagt, erst seit Jänner 2022 wieder als Direktor eines Theaters. Davor war es nur Notstandsverwaltung".

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.