Kultur

Vorwürfe gegen Burgtheater-Chef Martin Kušej: „Atmosphäre der Angst“

Dem amtierenden Burgtheaterdirektor Martin Kušej mangle es an kommunikativen und integrativen Fähigkeiten, kritisieren Insider. Bis Ende des Jahres soll feststehen, ob seine Amtszeit trotzdem verlängert wird.

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Mit der Frage „Do you know who I am?“ überraschte vor rund drei Jahren der damals neue Burgtheaterchef Martin Kušej unbedarfte Besucher auf der Feststiege des Hauses. Und legte sichtlich stolz nach: „I am the boss of this theatre.“ Beobachtet wurde die Szene vom ORF, online findet man sie leider nicht mehr. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wie sich der 61-jährige Regisseur da in Szene setzt: Als hemdsärmeliger Macher bedient er ein Rollenbild, das ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt. Man könnte das als schrullige Marotte abtun, allerdings scheint es an der Burg hinter den Kulissen schon länger und problematischer zu rumoren.


Das Haus wirkt nicht nur nach außen wie gelähmt – und Kušej ist im öffentlichen Diskurs kaum präsent. Insider berichten zudem von einem respektlosen Umgangston gegenüber mitarbeitenden und künstlerischen Teams, der bis ins Cholerische gehe. Kušej fehle es an kommunikativer und integrativer Fähigkeit, es herrsche Willkür und eine „Atmosphäre der Angst“, weshalb viele das Burgtheater bereits verlassen hätten. Getroffene Entscheidungen würden im letzten Moment umgeworfen, oder der Chef könne sich an diese schlicht nicht mehr erinnern. Eine Mischung aus chaotischem Arbeiten und autoritärem Führungsstil soll am Burgtheater für Stress und zahlreiche Überstunden sorgen. Kušejs „Ich bin hier der Boss“-Mentalität verhindere Teamarbeit. Für ein persönliches Gespräch stand der Direktor vergangene Woche nicht zur Verfügung, sechs Fragen beantwortete er immerhin schriftlich. Das Interview lesen Sie hier.

Burgtheaterchef  Kušej: Künstlerisch blieb seine Ära  bislang durchwachsen.

Auch ästhetisch läuft es nach wie vor unbefriedigend. Wer sind eigentlich die Stars im Ensemble? Stimmige Abende wie das Bergwerksdrama „Adern“ mit Sarah Viktoria Frick und Markus Hering bleiben die Ausnahme. Jan Bülow wird an falsche Rollen verschwendet, Rainer Galke war am Volkstheater pointierter, Marcel Heuperman wird reduziert auf den groben Kraftlackl. Kürzlich, bei der Premiere des Jahrtausendwende-Klassikers „Engel in Amerika“ im Akademietheater, hatte man das Gefühl, jeder spiele in einem anderen Stück. Markus Scheumann gab eine Broker-Karikatur, und während Nils Strunk und Felix Rech auf durchaus überzeugenden Realismus setzten, hätte Bless Amada auch in einem Musical auftreten können. Kušej hat Diversität im Ensemble forciert, das ist ihm hoch anzurechnen. Aber sollte ein Team nicht auch zusammenwachsen? Als Regisseur blieb Kušej hinter den Erwartungen zurück. Eine seiner letzten Arbeiten, eine Dramatisierung des Daniel-Brühl-Films „Nebenan“, wirkt, als hätte niemand Regie geführt hätte.

Seit der Spielzeit 2019/20 leitet Kušej die Burg; ob er ab September 2024 um fünf Jahre verlängert werden wird, darüber muss Staatsekretärin Andrea Mayer nun entscheiden. Auf die Ausschreibung gab es 15 Bewerbungen, bis Ende November werden Gespräche mit den aussichtsreichsten Kandidatinnen und Aspiranten geführt. Noch vor Weihnachten soll eine Lösung für die Zukunft des Burgtheaters verlautbart werden, tönt es von Seiten der Staatssekretärin. Auf die profil-Anfrage, ob man denn auch aktiv auf in Frage kommende Personen zugehen wolle, die sich im Vorfeld nicht beworben haben, hieß es allerdings, man wolle „vor der Entscheidung keine weiteren Details bekanntgeben“.

Für Andrea Mayer wird es eine Kraftprobe – und die wohl bislang wichtigste Personalentscheidung seit ihrer Berufung im Mai 2020. In der Ausschreibung für das Burgtheater wurde explizit vermerkt, es werde eine „teamorientierte Persönlichkeit“ verlangt. Das zeugt von einem längst fälligen Wandel. Denn es reicht nicht mehr, bloß künstlerische Ergebnisse zu beurteilen, wie das vor Jahren noch der Fall gewesen war. Cholerische Intendanten wurden einst als Genies gefeiert, der personelle Verschleiß hinter den Kulissen wurde als notwendiges Übel abgetan. Inzwischen aber hat auch die darstellende Kunst ein Ernst zu nehmendes Imageproblem: Während auf der Bühne politische Utopien verhandelt werden, bestehen backstage oft untragbare sexistische und autoritäre Strukturen weiter. Für die Politik bedeutet das aber auch, vor Personalentscheidungen künftig verstärkt mit Schauspielerinnen und Schauspielern reden zu müssen, um genau zu prüfen, welcher Umgangston in den Hierarchien am jeweiligen Haus gepflegt wird. Und nicht nur auf die Selbstdarstellung jener zu schauen, die sich da als starke Bosse inszenieren.

 

In den Medien geht das muntere Rätselraten um mögliche Burgtheater-Leitungspersönlichkeiten also in die letzte Runde. Manches klingt als Vorschlag eher absurd: International gilt etwa Marie Rötzer, 55, die aktuelle Intendantin des Landestheaters St. Pölten, als eher kleine Nummer. Andreas Beck, 57, hat sich augenscheinlich selbst aus dem Spiel genommen, indem er seinen Vertrag am Residenztheater in München bis 2028/29 verlängert hat. Die Schweizerin Barbara Frey, 59, dagegen kennt das Haus gut und arbeitet mit ihren Teams auf Augenhöhe. Als Regisseurin ist sie leise und präzise (zuletzt in „Das weite Land“ am Akademietheater), als Intendantin in Zürich und bei der Ruhrtriennale setzte sie auf einen hohen Frauenanteil im Team und ein ästhetisch breites Programm. Sie gehört sicher zu den Favoritinnen im Rennen um den Job.

Karin Beier, 56, die streitbare, Regie führende Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, war schon öfter für die Burg im Gespräch. Ästhetisch kann sich ihre Bilanz sehen lassen, 2021 sorgte sie für Aufregung mit dem irritierenden Zitat, Theaterkritik sei bloß „Scheiße am Ärmel“. Über Bettina Hering, 62, heißt es, sie habe Handschlagqualität. Kommenden Sommer legte sie ihr letztes Schauspielprogramm für die Salzburger Festspiele vor, wenige ihrer Projekte hatten allerdings echte Strahlkraft. Manches klang theoretisch interessant, auf der Bühne aber knisterte das Papier. Zu verkopft waren Ideen wie beim Gruppenschreibprojekt „Reigen“ im Vorjahr. (Vergangene Woche wurde Herings Nachfolge bei den Festspielen bekannt gegeben: Die russische Festivalmacherin und Journalistin Marina Davydova, Jahrgang 1966, hat unter Markus Hinterhäuser bereits 2016 die Wiener Festwochen kuratiert. Sie ist eine spannende Wahl, die für eine große ästhetische Bandbreite und eine Internationalisierung des Schauspielprogramms steht.) 

 

Auch Teams sollen sich für die Burgtheater-Direktion beworben haben. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein Tanker wie die Burg für Kollektivexperimente das geeignete Feld sei. Das Risiko ist hoch: Im Theaterhaus Gessnerallee in Zürich ist das 2020 angetretene weibliche Dreierteam grandios gescheitert, zwei der Leiterinnen werden 2024 ausscheiden. Wer auch immer der nächste „Boss“ dieses Theaters werden wird: Ein Spaziergang wird es mit Sicherheit nicht, die bedeutendste deutschsprachige Bühne nach den Kollateralschäden der Pandemie wieder zukunftsfit zu machen.

Karin   Cerny

Karin Cerny