Kino

Kritik an James Cameron: Muss man den neuen Avatar-Film boykottieren?

Indigene üben Kritik an der Fortsetzung des Film-Hits Avatar und fordern sogar einen Boykott.

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Wir sind zurück im All: Über ein Jahrzehnt nachdem Regisseur James Cameron Kino-Besucher:innen zum ersten Mal in die Welt des fiktionalen Planeten Pandora katapultierte, startete Mitte Dezember „Avatar: The Way of Water“ in den österreichischen Kinos. Das Sequel hat das Potential, seinen Vorgänger „Aufbruch nach Pandora“ vom Thron der erfolgreichsten Filme aller Zeiten zu stürzen. Nach nur fünf Tagen spielte es 555.5 Millionen Dollar ein.

Rezensent:innen (eine profil-Filmkritik von Stefan Grissemann lesen Sie hier) zeichnen den neuen Cameron-Streifen als optisches Meisterwerk aus; und die Bildtechnik ist derart komplex, dass in einzelnen Kinos sogar Projektoren nach wenigen Minuten überhitzten. 

Aber: Während das lange erwartete Sequel zum Kino-Erfolg aufläuft und Projektionsgeräte zum Rauchen bringt, sieht sich James Cameron mit scharfer Kritik an seinem Film konfrontiert. Er romantisiere Kolonialismus und verharmlose das Leid der indigenen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten, meinen kritische Stimmen.

„Unsere Gesichter und Stimmen hätten dort auf der Leinwand sein sollen“, postete die Künstlerin Yuè Begay vor Kurzem auf Twitter. Sie gehört dem Navajo-Stamm an, einer indigenen Volksgruppe in Nordamerika. Begay zählt zu den lautesten Proteststimme gegen den zweiten Teil von James Camerons Kino-Kassenschlager Avatar. „Weiße, die Aliens spielen, die auf echten indigenen Bevölkerungsgruppen basieren, das ist Kolonialismus”. Ihre Kritik an Regisseur James Cameron wird im Netz tausendfach geteilt, geliket und zitiert. „Stellen Sie uns an, nützen Sie unsere Expertise in Ihren Schreibwerkstätten. Sie sind kein Anführer! Sie sind ein Außenstehender”, fordert sie in ihrem Posting den Avatar-Macher auf.

Grund für die Boykott-Aufrufe sind vor allem Aussagen Camerons, die er im Vorfeld des ersten Avatar-Films getätigt hatte - schon damals gab es Protestwellen. Der Regisseur beschrieb die Avatar-Reihe wiederholt als „Nacherzählung der Besiedlung Nord- und Südamerikas durch weiße Siedler“: Die Filme zeichnen die Geschichte des Na’vi Stamms nach, der auf dem Planeten Pandora lebt und deren Existenz durch die Ankunft weißer Siedler bedroht wird. 

Konkret verglich Cameron die Avatar-Erzählung mit der Geschichte des Lakota-Sioux-Stammes: „Das war für mich eine treibende Kraft beim Schreiben von Avatar. Ich konnte nicht umhin zu denken, wenn die Lakota Sioux in die Zukunft sehen könnten … und sehen könnten, wie ihre Kinder Selbstmord begehen, weil sie hoffnungslos sind, und in einer Sackgassengesellschaft leben – dann hätten sie viel härter gekämpft.“

Die Lakota-Sioux lehnten sich - zusammen mit anderen Sioux-Stämmen - 1876 in der berühmten Schlacht von Little Bighorn im Bundesstaat Montana gegen die weißen Siedler auf. Das war eine der wenigen Niederlagen der US-amerikanische Armee gegen die indigene Bevölkerung. Vierzehn Jahre später wurden dreihundert Sioux im Massaker von Wounded Knee vom gleichen Kavallerie-Regiment ermordet, gegen das sie 1876 noch gewonnen hatten. Heute sind die Lebensbedingungen in den Sioux-Reservaten harsch: Die Selbstmordrate von Jugendlichen ist überdurchschnittlich hoch, die Lebenserwartung niedrig.

Vor allem die Beschreibung der Lakota-Sioux als „Sackgassengesellschaft“ wurde daraufhin kritisiert. Indigene Völker fühlen sich zudem angegriffen durch die Andeutung, dass ihre Vorfahren nicht so hart gekämpft haben, wie sie es gekonnt hätten.

Im Vorfeld der Veröffentlichung des zweiten Teils zeigte sich Cameron einsichtig und sagte, er habe das Feedback der indigenen Community in die Dreharbeiten aufgenommen. „Menschen, die historisch diskriminiert werden, haben immer Recht”, so der Regisseur. „Es steht mir nicht zu, aus der Perspektive eines privilegierten weißen Mannes darüber zu urteilen“.

„Menschen, die historisch diskriminiert werden, haben immer Recht.“

James Cameron

Die indigene Community sieht Camerons Reflexionen und Einsicht im neuen Film jedoch nicht widergespiegelt. „Avatar: The Way of Water“ ist eine „erneute, offensichtliche Romantisierung der Kolonisation, die das Leid der Menschen herunterspielt,“ so Cheney Poole, eine Maori-Aktivistin aus Neuseeland gegenüber der Washington Post.

Maximilian Mayerhofer

Maximilian Mayerhofer

war bis Mai 2023 Online-Redakteur bei profil. Davor war er beim TV-Sender PULS 4 tätig.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.