Avatar 2
Kino

"Avatar 2": Die Milliardenwette

13 Jahre nach dem Super-Blockbuster "Avatar" legt Regisseur James Cameron eine Kinofortsetzung nach: "The Way of Water" steht unter geradezu wahnwitzigem Kassenerfolgsdruck.

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Die Bilder, die der Filmtrailer blühen lässt, rufen Erinnertes, tief Vergrabenes wach. All das Blau, Violett und Grün, diese indigene Neon-Idylle, hat man die nicht genau so schon gesehen? Aber tauchen wir ab in die digitale Unterwasserwunderwelt, in die Regenwälder und Dschungellandschaften, zu ätherischtriumphalen Popklängen: In diesem Paradies der Biodiversität (alles fließt, pulsiert, flackert und vibriert) gehen humanoide Amphibienwesen um - höhergelegte Ohren, gelbe Augen, blaue Haut. Diese friedfertigen Aliens mit dem schmucken Glowin-the-dark-Make-up sprechen glücklicherweise Englisch, das bringt sie uns näher noch als nur der treuherzige Aufschlag ihrer exorbitanten Augen. Sie reiten, getragen von gigantischen Reptilvögeln, erregt über den Himmel, denn Dunkles braut sich zusammen.

"Avatar - The Way of Water" feiert eine Rückkehr zu jenem Mond, der da Pandora heißt: ein florierender Exoplanet, bevölkert vom weisen Volk der Na'vi. Das Paradies ist gefährdet, und bald brennen die Wälder und die Welten, ein Krieg nimmt seinen Lauf, so bricht die irdische Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts in eine extraterrestrische Fantasie über das 22. ein. "The Way of Water" verspricht eine immersive Erfahrung, in IMAX und 3D, zu sehen "nur im Kino", soll heißen: in (vorläufig) keiner Online-Nische und in keinem Streamingportal, auf keinem Smartphone, Flatscreen oder Laptop. Die bedrohte Heimat, die in "The Way of Water" gerettet werden muss, ist auch Hollywoods altes Kinoerlebnis; eine Familie greift also zu den Waffen, es mögen Pfeil und Bogen sein, die dabei gezückt werden, aber bisweilen zeigen Retro-Instrumente, wenigstens in der Kultur, höhere Wirkung als schnöde Gegenwartstechnologie.

13 Jahre sind vergangen, im Film und außerhalb davon. Der im Körper eines Avatars zugereiste Ex-Erdling Jake Sully (Sam Worthington), der im Sinne der Liebe und der Moral (der Mensch ist bekanntlich ein ressourcensüchtiger Aggressor) im ersten Teil dieser Sage, in "Avatar" (2009), die Seiten gewechselt hat, lebt nun mit seiner Neytiri und ihren insgesamt fünf Kindern in Frieden auf Pandora. Es scheint um Utopien zu gehen, um die Kraft familiärer Bindungen, aber tatsächlich geht es vor allem ums Geld, wenn "Avatar 2" als bis zuletzt bestens gehütetes Geheimnis demnächst die Kinos dieser Welt erreichen wird. In Österreich kriegt die Presse James Camerons dreistündiges Epos erst am Dienstag dieser Woche zu sehen, einen Tag vor Filmstart. Und das Risiko, das der Hollywood-Entrepreneur mit dieser Produktion eingeht, ist gewaltig.

Gegen die - zwar imaginären - 3,3 Milliarden US-Dollar, die der Clark-Gable-Südstaatenromanze "Vom Winde verweht" (1939) als inflationsbereinigtes Einspielergebnis zugemessen werden (tatsächlich lukrierte das Werk bei einem Kinoticketpreis von durchschnittlich 23 Cent in den vier Jahren seines ursprünglichen Kinoeinsatzes einst bloß 400 Millionen Dollar), mutet die bislang im Kino unerreichte Summe von 2,92 Milliarden Dollar, die James Camerons "Avatar" (2009) an Rückflüssen lockergemacht hat, plötzlich gar nicht mehr so spektakulär an. Aber wie auch immer man es rechnen mag: In absoluten ebenso wie in relativen Zahlen gehört "Avatar" zu den lukrativsten Filmen aller Zeiten. Es dürfte zwar nur eine Frage der (post-pandemischen) Zeit sein, bis auch dieses Werk vom Sockel gestoßen und an der Spitze abgelöst werden wird - das Marvel-Event-Movie "Avengers: Endgame" (2019) kam weltweit auf fast 2,8 Millionen Dollar -, aber ein Kandidat dafür zeichnet sich, solange Covid-19 noch ein wenig Schrecken verbreitet, nicht ab.

Vielleicht wird es ja an Cameron selbst liegen, sich zu übertrumpfen. Sein spätes Sequel "Avatar-The Way of Water" feiert also kommende Woche, zwischen 14. und 16. Dezember, seinen praktisch gesamtplanetarischen Kinostart; auch im Film - Ausnahmeterritorium China, wo viele Hollywood - Produkte als volkskraftzersetzend nicht zugelassen werden, wird und muss es zu sehen sein, um kostendeckend über die Bühne zu gehen. Denn bei einem Rekord-Produktionsbudget von geschätzten 400 Millionen Dollar, zu dem noch ein Vielfaches an Marketing- und Veröffentlichungskosten kommen, ist es nötig, mindestens zwei Milliarden Dollar an internationalen Kinokassen einzuspielen. Das würde aber bedeuten, dass sich an die 200 Millionen Menschen weltweit um Tickets für diesen Film bemühen müssten. Der kostenfreie offizielle Trailer, seit einem Monat online, wurde bisher "nur" 40 Millionen Mal angeklickt.

Cameron braucht den prospektiven Erfolg eines Zweimilliarden-Ergebnisses dringend; denn er plant, aus "Avatar" eine mindestens sechsteilige Filmserie zu machen. Teil drei wird, mit Wunschveröffentlichungsdatum 2024, bereits produziert, aber ob die Teile vier bis sechs von den leitenden Beamten des Disney-Konzerns, der alle Kosten zu tragen hat, überhaupt ins Auge gefasst werden, hängt davon ab, wie sehr "The Way of Water" das globale Kinopublikum dazu motivieren kann, seine Kinolethargie zu überwinden.

James Cameron lebt inzwischen mit seiner Familie in Neuseeland, wo weite Teile des zweiten "Avatar"-Abenteuers entstanden. Als Regisseur der legendären "Terminator"-Filme (um den Maschinenmenschen Arnold Schwarzenegger) und des historischen Katastrophenliebesfilms "Titanic", der ab 1997 zwölf Jahre lang auf Nummer eins der weltweit lukrativsten Filme stand, bis eben "Avatar" ihn an der Spitze ablöste, legt Cameron - als einer der ganz wenigen im Blockbuster-Gewerbe - Wert auf Originalstoffe, nicht auf Comics-Adaptionen, Romanverfilmungen oder Remakes. Im September 2017 wurde die Produktion "Avatar 2" gestartet, erneut mit Zoe Saldaña und Sam Worthington in den Hauptrollen, und auch Sigourney Weaver, die schon in Camerons "Aliens" antrat, spielt wieder mit, allerdings einen neuen, selbst für sie unüblichen Part: einen außerirdischen Teenager. Und Cameron erhöht den Einsatz seiner Milliardenwette durch erweitertes Staraufgebot: Kate Winslet, einst romantische "Titanic"-Überlebende, soll in "The Way of Water" einen zusätzlichen Attraktionspunkt darstellen. 13 Jahre lang hat der gebürtige Kanadier James Cameron keinen Film mehr in die Kinos gebracht. Und auch zwischen "Titanic" und "Avatar 1" liegen zwölf Jahre. Die beiden letzten Jahrzehnte hat der Ozeanforscher, U-Boot-Reisende und Umweltaktivist lieber im Meer und als Dokumentarist verbracht. Aber das Kino nimmt er weiterhin persönlich: Er gibt an, in "The Way of Water" seine eigenen Erfahrungen als oft scheiternder, entweder abwesender oder zu stark kontrollierender Vater von (ebenfalls) fünf Kindern eingebracht zu haben. Die Natur-Mystik, die er heraufbeschwört, fußt zudem auf ökologischen Fragen. Der Menschheit attestiert er eine "Naturdefizitstörung".

Am Ende wird die Frage entscheidend sein, ob der ein wenig kitschselige Kosmos der "Avatar"-Saga, getestet zuletzt 2009, noch in die 2020er-Jahre passt. James Cameron glaubt fest daran, er setzt alles auf die "Way of Water"-Karte; die Dreharbeiten zum dritten "Avatar"-Film sind bereits im Kasten, jene zu Teil vier sind am Laufen, und sogar Teil fünf, für 2028 geplant, liegt als Script drehfertig vor. Aber in einer Zeit der ausdifferenzierten Superheldenuniversen könnten all die blauen Wasserbewohner, die so schwer auseinanderzuhalten sind und deren Namen sich niemand merken kann, für ein ebensolches Wunder sorgen - und weniger tragfähig sein, als man glaubt.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.