Till Lindemann und Peter Tägtgren

Lindemann – "F & M": Er will doch nur spielen

Till Lindemann wirft mit seinem zweiten Soloalbum das enge Korsett seiner Band Rammstein ab.

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„Und ich lauf alleine immer weiter / Und wenn es regnet, regnet es auf mich“, singt Till Lindemann, 56, auf seinem neuen Soloalbum „F & M“. Lindemann, im Brotberuf Frontmann, Texter und Sänger der Rockband Rammstein, fasst sein musikalisches Dilemma in der Vorabsingle „Ich weiß es nicht“ betont eingängig zusammen – und leitet damit die Sinn- und Soundsuche eines alternden Rockstars ein. Lindemann weiß natürlich, dass Lindemann-Solo immer auch nach dieser überaus erfolgreichen Berliner Band klingen wird, wahrscheinlich aber nie deren Intensität erreichen kann. Scheint das Gesamtkunstwerk Rammstein ohne den theatralischen Bariton Lindemanns undenkbar, ist im Grunde auch Lindemann ohne die anderen fünf Rammstein-Musiker nur schwer vorstellbar.

Ganz alleine ist Lindemann auch auf Solopfaden nicht unterwegs. Mit dem schwedischen Multiinstrumentalisten und Produzenten Peter Tägtgren (Hypocrisy, Pain), 49, der sich wie bereits auf dem ersten Soloalbum „Skills in Pills“ (2015) für die Musik verantwortlich zeigt, scheint der Pathosexperte Lindemann nicht nur die musikalische Vision (und die Liebe zu Synthesizern), sondern auch einen ähnlichen Humor zu teilen. „F & M“ ist, obwohl die typischen Themen Sex, Qual und Sadomasochismus im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen, weder eine reine überbordende Männerfantasie, noch ein schlechter Teenagerscherz im Gewand einer großen Rockproduktion.

Ohne die Rammstein-Kumpels springt das Kreativduo Lindemann/Tägtgren relativ unbedarft in das große musikalische Bällebad – nur keine Regeln, nur keine Dogmen und nur keine Angst vor Peinlichkeiten. Lindemann spielt die Akustikgitarre („Knebel“), tanzt den Tango („Ach so gern“) und springt in der Großraumdisco hin und her („Platz eins“). Das ist über weite Strecken durchaus unterhaltsam, im Song „Blut“ nahezu perfekt – und er schafft es auch, sich mit „F & M“ ein wenig von der übergroßen Projektionsfläche seiner Hauptband freizuspielen.

Die neue Experimentierfreude und Unbedarftheit hört man auch Lindemanns Stimme an. Statt den stakkatoartigen Gesang eines Maschinenmenschen weiterzudrehen, singt Lindemann auf Solopfaden nuancierter, wirkt spontaner und weniger verkrampft – und gibt sich seinem heimlichen Faible für Schlagermusik und Roland Kaiser („Schlaf ein“, „Wer weiß das schon“) hin. Er scheint damit auf dem richtigen Weg zu sein.

Live gastiert Lindemann am 8. Februar 2020 im ausverkauften Wiener Gasometer.

Live in Klagenfurt 2020: Das sind die 11 besten Rammstein-Lieder

Diese Woche in der unerhört-Playlist:

Leonard Cohen: Happens to the Heart (Song) FKA Twigs: Magdalene Dives: Teenage Years Are Over Kim Gordon: No Home Record Wilco: Ode to Joy Big Thief: Two Hands Swans: Leaving Meaning Young Thug: So Much Fun Chris Staples: Holy Moly Mavi Phoenix: Romantic Mode (Song) Helado Negro: This Is How You Smile

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.