Eines der strittigen Fotoportäts: Zbynek Sekal, geboren 1923 in Prag, abgelichtet von Eva Choung-Fux in den frühen 1990er-Jahren
Kultur

Künstlerin gegen Außenministerium: Was soll mit den Bildern geschehen?

Die Künstlerin Eva Choung-Fux erarbeitete ein monumentales Werk über den Holocaust, mit dem sich Österreich 1995 schmückte. Dann blieb sie auf offenen Rechnungen sitzen. Bis heute ist unklar, was mit jenen 500 Foto- und Texttafeln, die sie einst produziert hat, geschehen soll.

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Man kann diese Geschichte so erzählen: Ein Ministerium beauftragt die österreichische Künstlerin Eva Choung-Fux mit einer Arbeit über den Holocaust. Sie finanziert etliche Rechnungen vor und verliert infolgedessen wenige Jahre später ihre Wohnung.

Oder auch so: Die Künstlerin trägt an ein Ministerium ein Projekt heran, das ausufert. Sie verliert die Kontrolle über die Kosten und versucht, diese im Nachhinein ersetzt zu bekommen.

Die beiden Erzählungen über ihr künstlerisches Großprojekt, das die heute fast 88-jährige Eva Choung-Fux in den frühen 1990er-Jahren schuf, sind konträr. Fest steht: Seit 1995 lagern die Ergebnisse in einem Depot des Außenministeriums. Es sind auf Leinwände kaschierte Fotoporträts von Zeitzeugen und -zeuginnen aus der NS-Zeit. Viele dieser Menschen überlebten den Holocaust. Jedem und jeder einzelnen von ihnen steht eine Person gegenüber, die 50 Jahre jünger ist – eben so alt, wie diese zum Zeitpunkt des Endes der NS-Diktatur selbst waren. Ergänzt werden die Porträts von Texten, die auf den Erzählungen der Betroffenen beruhen. Seine intensive Wirkung hat sich der rund 500 Tafeln umfassende Werkkomplex „Menschen über Leben 1945–1995“ bis heute erhalten. Davon zeugt ein dicker Katalog, der das Projekt begleitete.

Die Geschichte dahinter ist verworren und voller Missverständnisse. Minister, hohe Beamte, Kunsthistoriker, Druckereien, KZ-Überlebende, der als „Nazijäger“ rubrizierte Publizist Simon Wiesenthal, sein Dokumentationszentrum und viele andere sind involviert. Noch vor wenigen Jahren lehnte die Künstlerin den Vorschlag eines Anwalts, öffentlich über die Misere zu sprechen, ab. Doch nun will sie ihr Vermächtnis retten und erzählte profil ihre Version der Geschichte. Diese lautet so: 1992 arbeitete die Künstlerin, an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien lehrend, an einer Fotoserie über das KZ Majdanek in Polen. 1993 erfuhren davon der damalige Kulturminister Rudolf Scholten sowie Jutta Unkart-Seifert, Leiterin der Abteilung für kulturelle Auslandsangelegenheiten im damaligen Bundesministerium für Unterricht und Kunst (BMUK). Sie trugen an Choung-Fux die Idee heran, das Majdanek-Projekt auszuweiten: Der österreichische Botschafter in den Niederlanden wollte eine Ausstellung zum Gedenken an den Holocaust, 50 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur, zeigen – in jenem Land, in dem der Österreicher Arthur Seiß-Inquart, später als Hauptkriegsverbrecher hingerichtet, Tod und Deportation Zigtausender verschuldete. Minister Scholten habe ihr, sagt Choung-Fux heute, den Auftrag erteilt, eine Ausstellung samt Katalog zu produzieren, bei Übernahme sämtlicher Kosten inklusive Honorars. Per Handschlag. Im Mai 1994 habe Unkart-Seifert sie gebeten, „ohne Schriftliches mit der Arbeit zu beginnen.“ So beschrieb es die Künstlerin schon in einem Gedächtnisprotokoll 1997: „Sie verbürge sich für den finanziellen Ablauf, der Werkvertrag würde noch dauern.“ Choung-Fux schickte eine Kostenschätzung von 720.000 Schilling an das Ministerium. Der Katalog war darin nicht enthalten.

Angehörige des Tätervolks

Simon Wiesenthal half ihr, Überlebende zu finden und öffnete ihr Türen. Das war schon deshalb notwendig, weil Opfer der NS-Diktatur in der Wienerin zunächst eine Angehörige des Tätervolks sahen. Dennoch verfolgte sie ihre Arbeit weiter, fuhr abertausende Kilometer durch Polen, die Slowakei, Holland und Österreich, wo sie Hunderte Personen interviewte und porträtierte. Das BMUK bezahlte kleinere Rechnungen, einen Werkvertrag gab es nie. So fielen immense Kosten an: für die Reisen, die Ausarbeitung der Fotos, das Material für das Kaschieren der rund 500 Exponate auf Keilrahmen, für Assistenzen. Choung-Fux stürzte sich in Unkosten.

Auch die Katalogproduktion verschlang enorme Summen. Die Zeit drängte, schließlich sollte im März 1995 die Schau im holländischen Overloon eröffnen. Bis dahin musste der Band mit Fotos und Berichten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, mit Beiträgen von Simon Wiesenthal sowie dem Kunsthistoriker Martin Zeiller fertig sein. Die Künstlerin finanzierte das Buch vor, löste dafür eine Erlebensversicherung auf. Die Ausstellung fand wie geplant statt, Medien berichteten ausführlich, Überlebende fielen einander weinend in die Arme. Das Projekt war, wie es aus dem Außenministerium auf profil-Anfrage heißt, ein „semi-offizieller österreichischer Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung im Gedenkjahr“. Österreich konnte sich in der Zeit nach der Waldheim-Affäre als ernsthaft interessiert an der NS-Aufarbeitung präsentieren.

Zwar lief „Menschen über Leben“ als Kooperation mit dem Außenministerium, doch das BMUK betreute das Vorhaben. Neben Unkart-Seifert war ein hoher Beamter zuständig. Auf Choung-Fux’ Ersuchen um Begleichung ihrer Rechnungen sagte er einmal angeblich: „Gehen Sie doch zu den Juden – die haben es ja wieder.“ Der Mann kann zu dieser antisemitischen Aussage nicht mehr Stellung nehmen, er ist längst gestorben.

Leider fanden sich im Katalog trotz Prüfung durch das BMUK falsch geschriebene Kärntner Ortsnamen, die laut Außenministerium dringend korrigiert werden mussten. Die Künstlerin ließ einen Großteil der Bücher einstampfen und neu drucken. Allein dies kostete 888.500 Schilling. Choung-Fux nahm einen Kredit auf und belehnte ihn mit ihrer Wohnung.

Im Mai 1995, bevor die Ausstellung in Majdanek und später im slowakischen Banska Bystrica eröffnet wurde, überwies das BMUK eine Förderung von 350.000 Schilling. Eine beachtliche Summe – doch weit entfernt von den bis dahin angefallenen Kosten. Der hohe Beamte im BMUK versprach, 1000 Kataloge anzukaufen sowie eine Überbrückungshilfe von 200.000 Schilling zu leisten. Das Geld wurde überwiesen, ebenso ein Arbeitsstipendium von 50.000 Schilling. Doch dann ging der Hofrat in Pension, und plötzlich wusste niemand mehr von dem geplanten Katalogkauf. Immerhin erwarb das BMUK 200 Kataloge zu 60.000 Schilling.

Bis 1997 zeigte das Außenministerium die Ausstellung in weiteren sechs europäischen Museen. Choung-Fux baute sie auf, hielt Eröffnungsreden und Vorträge. Danach folgten Stationen in Shanghai, zuletzt 2004 im Tiroler Seefeld-Kadolz. Rudolf Sarközi, im KZ Lackenbach geborener Rom, sprach zur Eröffnung. Bundespräsident Klestil sendete Grußworte. Zu jenem Zeitpunkt hatte Choung-Fux’ Bank bereits den Kredit fällig gestellt, die Künstlerin ihre Wohnung verloren. Ob dies ausschließlich dem Projekt zuzuschreiben ist, lässt sich kaum überprüfen.

"Kein Fehlverhalten"

1997 strebte die Künstlerin ein Verfahren bei der Volksanwaltschaft an. Diese entschied jedoch, „dass kein Fehlverhalten im Bereich der Bundesverwaltung festzustellen sei“, wie das Außenministerium nun mitteilt. Man habe versucht, die Übernahme des Werks „durch verschiedenste Institutionen und mittels unterschiedlicher Konstellationen zu vermitteln“, so die Sprecherin. Doch alles scheiterte – etwa die Idee, das Projekt dem Museum in Majdanek zu schenken. 2004 richtete Simon Wiesenthal ein Schreiben an den damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer und erinnerte ihn daran: „Ich bin überzeugt, dass die Abwicklung der Schenkung nur positive Konsequenzen haben wird, daher erlaube ich mir, Sie um Ihre Unterstützung zu bitten.“ Ergebnislos.

Zieht sich die Republik aus der Verantwortung – nicht nur gegenüber der Künstlerin, sondern auch gegenüber den Opfern, die da ihre traumatisierenden Geschichten erzählten? Geriet ein künstlerisches Oral-History-Projekt in die Mühlen wechselnder Zuständigkeiten? Oder hat es seine Schöpferin übertrieben?

Rudolf Scholten kann sich an das Gespräch mit Eva Choung-Fux vor rund 30 Jahren nicht mehr erinnern. Doch er ist sicher, dass er keinen Auftrag erteilt hat – aus einem schlichten Grund: Das Kulturministerium trete niemals als unmittelbarer Auftraggeber für künstlerische Arbeiten auf. Auch die frühere Ministerialrätin Jutta Unkart-Seifert widerspricht der Künstlerin im profil-Gespräch. „Ich war wirklich begeistert von Choung-Fux’ Plan für diese Ausstellung. Deshalb half ich ihr auch im Rahmen meiner Kompetenzen mit Reise- und Aufenthaltskosten“, sagt sie. „Das hieß aber nicht, dass diese Ausstellung als Auftragsarbeit des BMUK gegolten hatte. Choung-Fux kam lediglich als Subventionsnehmerin.“

Die zweite Auflage des Katalogs sei überdimensioniert und in diesem Umfang nicht abgesprochen gewesen. „Sie hätte – in Anbetracht der enormen Druckkosten – schon vorher die schriftliche Genehmigung der Sektionsleitung oder des zuständigen Ministers einholen müssen.“ Angesichts der Zeitknappheit vor der Ausstellung wäre das freilich schwer möglich gewesen. Und wahrscheinlich ging Choung-Fux zu vertrauensvoll an die Sache heran.

Der Werkkomplex, den das Außenministerium hütet, steht im Besitz der Künstlerin. Diese hat jedoch keine Möglichkeit, ihn zu lagern. Im Außenministerium beteuert man, an einer einvernehmlichen Lösung zu arbeiten; aus dem BMUK deutet man an, Eva Choung-Fux helfen zu wollen. Doch diese hätte gern die Summe von 500.000 Euro: 1000 Euro für jede der rund 50 mal 50 cm großen Tafeln. Angesichts der Größe des Werks erscheint dieser Preis nicht unbedingt überzogen; angesichts der Mittel, die öffentliche Stellen für Kunstankäufe zur Verfügung haben, jedoch illusorisch. Eva Choung-Fux ist verhandlungsbereit. Lässt sich der Konflikt noch lösen? Ein Sittenbild harrt seiner Bearbeitung.

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer