Literaturnobelpreis

Wenn die Fjorde Trauer tragen

Mit dem norwegischen Autor Jon Fosse als Literaturnobelpreisträger 2023 hat die Schwedische Akademie eine solide Wahl getroffen. Fast wie in alten Zeiten.

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Dürftiger fiel die Begründung selten aus. „Für seine innovativen Stücke und Prosa“, so legitimierte die schwedische Jury ihre Wahl, den norwegischen Romancier und Dramatiker Jon Fosse mit der weltweit wichtigsten Literaturauszeichnung zu ehren. Mit seinem Werk gebe Fosse „dem Unsagbaren eine Stimme“. Selten klang das Verdikt, auf das ein Preisgeld von umgerechnet 945.000 Euro folgt, mehr nach holzschnittartigem Affront. Jede südburgenländische Naturlyrik-Trophäe ist fundierter begründet.

Gerade Fosse, 64, wäre ein Autor, der verschärfte Aufmerksamkeit verdiente, verschließen sich dessen Werke zuverlässig allzu leichter Zugänglichkeit. Insofern hat die Akademie am Ende doch noch gründliche Arbeit geleistet: Die in den vergangenen Jahren etwas in Abseits geratenen Bücher und Dramen Fosses dürfen nun wieder eine Renaissance erleben.

Fosse, der mit Bart und Wallemähne etwas Wikingerhaft-Nordisches ausstrahlt, sieht sich selbst als „mystischen Realisten“. Was das im Konkreten heißt, ist beispielsweise in „Trilogie“ nachzulesen, einer 2014 im norwegischen Original erschienenen Liebesgeschichte, die alle und zugleich keine Zeiten überspannt, ein Buch ohne jeden Punkt: Alida und Asle irren darin im Spätherbst durch einen norwegischen Küstenort. Keine Herberge, nirgends. Graue Landschaften, graue Zeit. Wenn die Fjorde Trauer tragen. Das menschliche Dasein als Dunkelspiel, als ausgedehnte Absurdität – von Fosse in bislang weit über 50 Büchern ausbuchstabiert: in Romanen, Gedichtbänden, Theaterstücken, Essaysammlungen, Kinderbüchern.

Jon Fosse, der sich seit dem Frühjahr 2012 nach überstandenen Alkoholproblemen weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, ist mehr Bühnenprosaist denn Romancier, auch wenn er einst mit Romanen („Melancholia I & II“, 1996) erste Erfolge feierte. Internationale Bekanntheit erlangte er ab Mitte der 1990er-Jahre als Theaterautor; im Sommer 2000 war bei den Salzburger Festspielen mit „Der Name“ erstmals ein Fosse-Drama auf einer deutschsprachigen Bühne zu erleben.

Mit Jon Fosse wird ein europäischer Autor trauriger Geschichten von traurigen Menschen ausgezeichnet. Spätestens 2024 kann sich die Stockholmer Akademie wieder dem großen Rest der Literaturwelt widmen.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.