Popstar Mavi Phoenix beim Interview in Wien
Interview

Mavi Phoenix im Interview: "Was heißt es, ein Mann zu sein?"

Neues Album, zweite Pubertät: Der Popmusiker Mavi Phoenix, 26, erzählt, wie sich sein neues Leben nach der Gender-Transition anfühlt.

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profil: Ihr Album „Boy Toys“ haben Sie 2020 noch als Frau veröffentlicht. „Marlon“ ist nun, nach Ihrer Gender-Transition, das Werk eines Mannes. War das ein Ankommen?
Mavi Phoenix: „Boy Toys“ spiegelt meine damalige Zerrissenheit wider. Ich wusste, dass ich transsexuell bin, hatte aber noch keine Schritte eingeleitet, alles war komisch und auf eine Art gruselig. Das neue Album zeigt, wohin die Reise gehen kann.
 
profil: Ihre Transition haben Sie öffentlich in Ihren Social-Media-Kanälen begleitet. War das die richtige Entscheidung?
Phoenix: Ich hätte mir wohl viel Stress erspart, wenn ich diesen Prozess nur für mich gemacht hätte. Das Problem war, dass die Unterstützung in meiner Familie nicht so war, wie ich es mir gewünscht hätte. Durch die Öffentlichkeit habe ich den Zuspruch bekommen, den ich gebraucht habe – das hat mir gut getan. Anders hätte ich es nicht geschafft.
Mavi Phoenix in Wien
profil: Hat Ihre Familie nicht damit gerechnet, dass Sie transgender sind, vielleicht etwas gespürt?
Phoenix: Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich auch gefragt, warum das so war. Für meine Familie war es ein kompletter Schock. Heute passt alles. Sie mussten die Transition, mich, wie ich heute lebe, wohl erst sehen.
 
profil: Hatten Sie je Sorge, dass die jahrelange Aufbauarbeit der Kunstfigur Mavi Phoenix umsonst gewesen sein könnte?
Phoenix: Viele Fans sind mir entfolgt, dafür kommen andere dazu. Ich spüre schon seit Monaten, dass da ein Austausch stattfindet. Heute ist alles ausgetauscht: von mir bis zu den Fans. Das Projekt Mavi Phoenix ist nicht mehr, was es einmal war. Es fühlt sich ein wenig wie ein Setback an, aber im positivsten Sinn. Für mich gab es keine andere Möglichkeit.
profil: Heute singen Sie mit einer tieferen Stimme. Wie hat sich das künstlerisch ausgewirkt?
Phoenix: Die Stimme ist mein wichtigstes Instrument. Ich habe lange überlegt, ob ich Hormone nehmen soll, und mir die Frage gestellt, was es für meine Karriere bedeutet, wenn ich meine alte Stimme verliere. Andererseits hat es für mich neue Türen geöffnet. Auf „Marlon“ kann man nun meine alte und meine neue Stimme hören. 
 
profil: Müssen Sie Ihre älteren Songs bei Konzerten jetzt anpassen?
Phoenix: Wenn ein Song gut ist, kann man ihn auch in anderem Gewand präsentieren. Wegschmeißen wollte ich die alten Sachen nicht, ich finde sie noch immer gut. Wir probierten im Proberaum viel mit meiner neuen Band herum. Außerdem greife ich jetzt selbst zur Gitarre und mache aus meinen eigenen Songs Coverversionen.
profil: Ihr Debütalbum war zu Beginn der Pandemie veröffentlicht worden …
Phoenix: … eine Woche vor dem ersten Lockdown. Wir wussten, da war dieses Virus, und das wird ein Riesenthema. „Boys Toys“ war aber kein Album, dass man verschieben hätte können. Es war eher kurzlebig, weil auch ich mich so stark verändert habe.
 
profil: Sehen Sie das Album als Abschluss Ihres alten Lebens?
Phoenix: Mavi Phoenix war von Anfang an meine Möglichkeit, mich selbst kennen zu lernen. Es ging immer um Musik, aber auch um meine Entwicklung, um die ständige Veränderung. Jetzt, mit 26, merke ich, dass ich erwachsen werde – und es ist voll okay.
profil: Vor der Pandemie waren Sie ständig unterwegs – haben in Los Angeles, New York und Kapstadt aufgenommen und Konzerte gespielt. Hat sich die Isolation auf die Musik ausgewirkt?
Phoenix: Das Internationale war meine künstlerische Identität. Es war schon bitter, als das nicht mehr möglich war. Auf der anderen Seite habe ich die Zeit gebraucht, um mich auf meine eigene Geschichte zu konzentrieren.
 
profil: Auf „Marlon“ widmen Sie sich Ihrer Sexualität, es geht um Liebe, Eifersucht und Erwartungshaltungen. Hatten Sie nie Angst, zu viel preiszugeben?
Phoenix: Vor der Transition musste ich zeigen, wie tough und cool ich war. Jetzt hab ich das nicht mehr so nötig, kann zeigen, dass ich weich und emotional sein kann. Meine Musik ist nicht mein Tagebuch, auch wenn sie sehr nah an mir dran und autobiografisch ist. Oft schreibe ich über Situationen, die mir nie passiert sind, und dann passieren sie wirklich. Meine Songs sind bisweilen wie Vorhersagen.
profil: Durchleben Sie heute eine Art zweite Pubertät?
Phoenix: Ja, absolut. Und es ist interessant, dass ich erst mit 26 mit Themen wie meiner eigenen Sexualiät konfrontiert werde. Oder der Frage: Was heißt es eigentlich, ein Mann zu sein? Vor allem auch in der heutigen Gesellschaft. Heute weiß ich: Irgendwann bin ich auch der alte weiße Mann.
 
profil: Mussten Sie sich an Ihr männliches Rollenbild erst gewöhnen?
Phoenix: Ich habe das Privileg zu wissen, wie es ist, als weibliche und männliche Person durch die Welt zu gehen. Teilweise sind die Unterschiede logisch, dann wieder total unfair. Als Mann freue ich mich zumindest aufs Älterwerden. Früher konnte ich mir nicht vorstellen, irgendwann eine alte Frau zu sein. Diese eine Krise habe ich abgewendet.
profil: Von einem aufregenden Tourleben in die Corona-Isolation: Wie hat sich das angefühlt?
Phoenix: Seit der Pandemie hat wohl jeder einen anderen Bezug zum Alleinsein. Eine Transition muss man, schon bevor man Hormone bekommt, mit einer Therapie begleiten. Dazu braucht man Gutachten von verschiedensten Ärzten. Heute kann ich sagen: Ich bin mit mir ziemlich im Reinen. Deshalb schaffe ich es ganz gut, allein zu sein.
 
profil: Hat sich Ihr Kreativprozess verändert?
Phoenix: Wenn ich ganz allein Musik mache, schreibe ich viel intimer und trau mich mehr. Ich möchte aber nicht nur als Produzent tätig sein. Ich möchte vorne auf der Bühne stehen und der Frontman sein.
profil: Vermissen Sie das Live-Erlebnis?
Phoenix: Ich habe beim letztjährigen Wiener Popfest gemerkt, wie nice es war, endlich wieder auf einer Bühne zu stehen. Ich habe das Gefühl, dass Mavi Phoenix vor allem über den Live-Charakter funktioniert. Was mich überrascht hat: Ein ganzes Set mit der Gitarre zu spielen, ist unglaublich anstrengend – ich dachte, mir fällt meine Hand ab.
 
profil: Nach der aktuellen Diskussion um Joe Rogan und Neil Young: Fühlt man sich als Künstler von Streaming-Giganten wie Spotify abhängig?
Phoenix: Das ist alles im Umbruch. Man darf sich auf nichts verlassen. Wer weiß, ob Spotify in ein paar Jahren noch das Medium zum Musikhören ist, ob sich dann noch jemand für Instagram interessiert. Als Künstler muss ich flexibel bleiben. Es ist wichtig, dass man sich darauf zurückbesinnen kann, dass man die Kunst, die man macht, selbst mag. Wer will schon, dass Erfolg nur noch auf irgendeiner Plattform gemessen wird?
profil: Spotify gibt auch Empfehlungen für den perfekten Songaufbau raus: kurzes Intro, gewisse Songlänge.
Phoenix: Richtige Künstler lassen sich nichts sagen. Da merkt man schnell, wer genug Selbstbewusstsein hat, sein eigenes Ding durchzuziehen. Das versuche ich auch.
 
profil: Können Sie sich an den Moment erinnern, an dem Sie gedacht haben: Jetzt habe ich es geschafft.
Phoenix: Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, irgendwas geschafft zu haben. Darum geht es mir nicht. Ich will die Zeit, die ich auf diesem Planeten habe, bestmöglich nutzen und tolle Musik machen. Ich bin froh, dass Mavi Phoenix nicht von Anfang an völlig durch die Decke gegangen ist. So bleibt mir noch viel Luft nach oben. Was schön ist: Durch „Marlon“ habe ich mich selbst mehr schätzen gelernt. Früher habe ich mich oft heruntergespielt, mich kleiner gemacht, als ich wirklich war.

Live-Termine:
14.4. Wien, Arena
27.4. Salzburg, Rockhouse
28.4. Innsbruck, Treibhaus
29.4. Graz, PPC

 

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.