Mavi Phoenix in Wien
Porträt

Hi, my name is Mavi Phoenix

Begegnung mit einem scheuen Popstar aus Linz, der schon als Teenager einen Grammy gewinnen wollte.

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Der 16. Juli 2019 markiert einen Wendepunkt im Leben von Mavi Phoenix. Im Video zu dem Song "Bullet In My Heart" erklärte der Musiker der Popöffentlichkeit das Phänomen der Geschlechtsdysphorie, eines physischen und psychischen Ringens mit sich selbst, wenn das bei der Geburt zugeschriebene Geschlecht nicht das richtige ist. Auf Instagram folgte ein Statement: "Es fühlt sich für mich komisch an, das zu posten. Ich bin deswegen besorgt. Ich fühle mich nicht bereit, aber gleichzeitig will ich keine weitere Minute auf dieser Erde verschwenden, in der ich nicht mein wahres Selbst sein kann. Das Leben ist einfach zu kurz." Ein zweites Outing folgte im Jänner des letzten Jahres: Mavi Phoenix werde von nun an männliche Pronomen und neben seinem Künstlernamen den Namen Marlon verwenden.

Zwei Jahre später sitzt Mavi Phoenix, 26, silberne Laufsneaker, die Noise-Cancelling-Kopfhörer stets in Griffweite, im Oversize-Kapuzenpullover mit "Rick and Morty"-Aufdruck in einer pittoresken kleinen Konditorei im Wiener Servitenviertel; er bestellt sich eine Melange mit Hafermilch und einen Schokoladekrapfen. Das zuckersüße Ding hatte er schon durch die Vitrine des Cafés entdeckt, sagt er und lacht dieses typische Mavi-Phoenix-Lachen, das man selbst gerne kopieren würde: ein wenig schüchtern, aber vor allem sympathisch und einnehmend. Der Krapfen sehe doch nice aus, fügt er fast entschuldigend dazu. Er konnte einfach nicht widerstehen. Und dann passiert es ganz nebenbei: Man sitzt diesem jungen, freundlichen Mann gegenüber und vergisst schnell, dass man hier den wohl aufregendsten heimischen Popstar der letzten Jahre vor sich hat. Einen Musiker, der mit viel Selbstvertrauen und Verve seine ersten Hits schon als Teenager im Linzer Kinderzimmer produziert hat; dessen Songs seit Jahren in Dauerrotation in angesagten internationalen Clubs gespielt werden (Überhit: "Aventura", 2017); der in Zeiten, als es noch Konzerte gab, im Rahmen prestigeträchtiger Musikfestivals performen durfte - und dem Popnischenland Österreich en passant gezeigt hat, dass man sich vor der großen Welt da draußen nicht fürchten muss. Aber dazu später mehr.

 

Nun, Ende Februar 2022, während der Frühling bereits grüßt und die Pandemie abzuklingen scheint, steht das zweite Mavi-Phoenix-Album "Marlon" (Erscheinungstag: 28. Februar) vor der Auslieferung. Nach kurzem Small Talk geht es um die Gender-Transition des Musikers. Wie wurde aus der jungen blonden Frau der Mann mit den dunklen Haaren und dem Oberlippenbart? Wieso hatte er beschlossen, seine Transition und die Hormontherapie via Social Media publik zu machen? Wie haben die Fans, seine Familie und sein Umfeld auf das Outing reagiert - und: Wie sind aus all diesen persönlichen und künstlerischen Grenzerfahrungen neue Songs entstanden? Aufnahmegerät an. Es gibt unzählige Fragen und noch mehr zu erzählen - und die Termine des Künstlers sind in den letzten Tagen vor der Veröffentlichung streng getaktet.

"Ich hätte mir wohl viel Stress erspart, wenn ich diesen Prozess nur für mich gemacht hätte", erzählt Mavi Phoenix von seiner öffentlichen Transition. "Das Problem war, dass die Unterstützung in meiner Familie nicht so war, wie ich es mir gewünscht hätte." Durch die Öffentlichkeit erst habe er den Zuspruch erhalten, den er gebraucht habe. "Anders hätte ich es nicht geschafft. "Heute sei sein Verhältnis zur Familie übrigens wieder gut. "Sie mussten die Transition, mich, wie ich heute lebe, wohl erst sehen. "Dazu kam die künstlerische Sorge um die Stimme - das wichtigste Instrument des Künstlers. Er habe lange überlegt, ehe er begann, Hormone, also Testosteron, zu nehmen, und sich die Frage gestellt, was es für die Karriere bedeuten werde, wenn er seine alte Stimme verliere. Andererseits habe es für ihn auch neue Türen geöffnet. Seine stimmliche und optische Transformation dokumentierte er in einem knapp dreiminütigen voice update auf YouTube - ein Jahr lang hatte er jede Woche denselben Satz in die Kamera gesprochen: "Hi, my name is Mavi Phoenix."

Das eine ist die private, das andere die öffentliche Geschichte - und all die Grauzonen dazwischen. Die Frage drängt sich auf: Gab es nie die Sorge, dass die jahrelangen Aufbauarbeiten an der Kunstfigur und Projektionsfläche Mavi Phoenix, die detaillierte Planung einer Karriere umsonst gewesen sein könnten? Dass sich womöglich bald niemand mehr für den Künstler mit dem neuen Rollenbild interessieren könnte? Phoenix findet eine pragmatische Antwort: "Viele Fans sind mir entfolgt, dafür kommen andere dazu", meint er heute, in den letzten Monaten habe ein regelrechter Austausch stattgefunden. "Das Projekt Mavi Phoenix ist nicht mehr das, was es einmal war." Ein Plan B stand nie zur Diskussion.

Und plötzlich sind die Haare kürzer und schwarz gefärbt, statt überlangen Schlabberpullis trägt er Lederjacke und gibt den Frontmann mit Rockgitarre. Die Live-Premiere nach seiner Gender-Transition feierte Mavi Phoenix in der Fernsehshow "ZDF Magazin Royal" des deutschen TV-Satirikers Jan Böhmermann. "Nothing is ever right with you  /Nothing is ever good with you / Nothing is good enough for you", heißt es in der Vorabsingle "Nothing Good", und Phoenix spielt mit dem alten Popmusik-Topos der unmöglichen Liebe. Auf den 15 neuen Songs seines Albums "Marlon" erweitert Mavi Phoenix seinen bisherigen Mix aus Elektropop, R&B und Rap um Gitarrenriffs, trotzige Lyrics und ein neues stimmliches Selbstbewusstsein. "Why'd you wanna hurt me, Baby?", singt er über sein Liebesleid: "You're such a flirt and you lie / dirty and shady." Die Gitarren nehmen auf dem Album größeren Raum ein, erzählt Phoenix im Gespräch. Das liege auch daran, dass sich sein Projekt live zu einer vierköpfigen Band ausgewachsen hat - und der Chef der Truppe heute nicht nur singt und rappt, sondern gerne selbst zur Gitarre greift. Auch die Themen haben sich in den letzten Jahren verändert: "Marlon" dreht sich stärker um Sexualität und Liebe, Eifersucht und unmögliche Erwartungshaltungen. "Vor der Transition musste ich zeigen, wie tough und cool ich war." Das habe er nun nicht mehr nötig, könne seine weichen und emotionalen Seiten zeigen. Seine Musik sei nicht sein Tagebuch, auch wenn sie nah an ihm dran und autobiografisch sei. "Oft schreibe ich über Situationen, die mir nie passiert sind, und dann passieren sie wirklich. Meine Songs sind bisweilen wie Vorhersagen.

Marlon Nader, wie Mavi Phoenix inzwischen mit bürgerlichem Namen heißt, wurde 1995 in Linz als Marlene Nader geboren. Seine popkulturelle Sozialisation (der Künstlername ist eine Reminiszenz an den jung verstorbenen Schauspieler River Phoenix) klingt auch heute noch wie eine gute Coming-of-Age-Geschichte. Sie beginnt, wie viele gute Storys, auf einer endlos wirkenden Straße - auf der Autobahn zwischen Linz und Wien. Alle paar Wochen spielte der Papa seinem Kind auf stundenlangen Pendlerfahrten all die guten Songs vor, die es die kommenden Jahre begleiten sollten: die kalifornische Rockband Queens of the Stone Age, HipHop à la N.E.R.D. und teilweise harte Gitarrenklänge. Zu Hause bei der Mutter in Linz lief dann das poppige Gegengewicht zwischen Madonna und David Bowie. In Mavis Teenagerjahren gab es im Linzer Umfeld kaum jemanden, der sich besonders für Popmusik interessierte oder gar selbst welche machen wollte; die eigenen Gitarrenstunden ließ Mavi Phoenix meist ausfallen, um stattdessen mit dem MP3-Player auf dem Bett zu liegen und stundenlang Musik zu hören. "Dann schenkte mir mein Vater ein ausrangiertes MacBook. Ich war zehn oder elf Jahre alt, als ich meine ersten Loops und Beats zu bauen begann." Der erste Auftritt fand im Linzer Posthof statt - bei einem Bandcontest. Zur Unterstützung erschien Mavis gesamte Schulklasse.

Vom internationalen Durchbruch fantasierte Mavi Phoenix bereits zu Schulzeiten. "Dass ich unbedingt einen Grammy gewinnen wollte, hat damals in Linz natürlich für Verwunderung gesorgt, aber es war wichtig für mich, groß zu denken." So viel Selbstbewusstsein stieß damals nicht nur auf Gegenliebe. 2016 entstand in Eigenregie ein erstes Minialbum mit dem Titel "My Fault". Ein Jahr lang interessierte sich niemand für die sechs Songs; dann nahm der ORF-Jugendsender FM4 den Song "Green Queen" ins Programm. Ein Hörer lauschte besonders aufmerksam: Maurice Ernst, Sänger und Kopf der österreichischen Pop-Neudenker Bilderbuch, rief Mavi Phoenix mitten in den Maturavorbereitungen an, um einen Rap-Part bei einem seiner Konzerte anzubieten. Bald ging Mavi mit Bilderbuch auf Tournee.

Phoenix' Musik ist ein süchtig machender Mix aus Elektropop, R&B und Rap; jeder Song ist ein in sich geschlossenes Universum. Zuerst habe er nur eine Melodie, die Skizze eines Beats im Kopf, die Texte kämen anschließend wie von selbst. Zwar arbeitet Phoenix noch immer mit seinem langjährigen Produzenten und Linzer Kompagnon Alex the Flipper zusammen, er habe aber angefangen, in der Corona-Isolation wieder viel selbst zu produzieren. "Mavi Phoenix war von Anfang an meine Möglichkeit, mich selbst kennenzulernen", erzählt er heute. Es ging immer um die Musik, aber auch um persönliche Entwicklung und die ständige Veränderung. "Durch, Marlon' habe ich mich selbst mehr schätzen gelernt. Früher habe ich mich oft heruntergespielt, mich kleiner gemacht, als ich wirklich war."

Phoenix' lang geplantes Debütalbum "Boys Toys" wurde genau eine Woche vor dem ersten Corona-Lockdown veröffentlicht; keine Konzerte, kein Rumfliegen zwischen Los Angeles, New York und Kapstadt mehr - nur noch Stillstand. Reality-Check einer internationalen Popgröße. "Boys Toys" war kein Album, das man verschieben hätte können. Das war bitter, erzählt Mavi Phoenix heute mit seiner typischen Gelassenheit. Andererseits habe er die Zeit gebraucht, um sich auf seine eigene Geschichte zu konzentrieren. Zumindest das Alleinsein fällt ihm heute nicht mehr schwer. Das liege auch daran, dass er die Transition und die Hormoneinnahme mit einer Therapie begleiten musste; er sei mit sich inzwischen "ziemlich im Reinen". Ausgleich sucht er im Laufen, er habe viel mehr Energie als früher und achte auf seinen Körper, erzählt er. Wenn er nur für sich sein wolle, verliere er sich in den unendlichen Welten seiner PlayStation, in Computer-Rollenspielen wie "Assassin's Creed Odyssey".

Während die Sonne langsam untergeht, bleibt noch Zeit für eine letzte Frage: Kann Mavi Phoenix, Österreichs aufregendster Popstar der Gegenwart, den Moment benennen, in dem ihm klar geworden sei, dass er jetzt "geschafft" habe? Und da ist es wieder, dieses Lachen, eigentlich eher nur ein zartes Schmunzeln, das ihm über die Lippen huscht. "Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, irgendetwas geschafft zu haben." Darum gehe es ihm nicht. "Ich will die Zeit, die ich auf diesem Planeten habe, bestmöglich nutzen und tolle Musik machen." Er sei übrigens froh, dass Mavi Phoenix nicht von Anfang an "völlig durch die Decke gegangen" sei. "So bleibt mir noch viel Luft nach oben."

 

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.