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Millionendilemma Filmförderung: Kann man Netflix & Co. zur Kasse bitten?

Die Ankündigung massiver Subventionskürzungen hat Österreichs Filmbranche in Zukunftsangst gestürzt. Kulturminister Andreas Babler will den Absturz verhindern, indem er die großen Streamingdienste zu Filminvestitionen verpflichtet. Nur: Wie realistisch ist das?

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Als Vizekanzler Andreas Babler vor zweieinhalb Wochen seine Budgetmaßnahmen für den Bereich Kunst und Kultur bekannt gab, gestand er, „ein besonders schwieriges Erbe beim Film“ anzutreten. Er sparte nicht mit herber Kritik an der Vorgängerregierung, die mit der ÖFI+-Förderung 2023 „ein de facto ungedeckeltes“ Filmanreizsystem etabliert habe: eine automatische Standortförderung, die in Österreich abgewickelte Kinoproduktionen mit Millionensummen versorgte, wenn diese im Zuge ihrer Herstellung ein Vielfaches dieser Beträge in Österreichs Wirtschaft fließen lassen. Eine klassische Win-win-Situation also.

Ungedeckelt war der ÖFI+-Topf in Wahrheit jedoch nie. Die 37,5 Millionen Euro, die sich darin für 2025 befanden, schöpften eilige Produktionsfirmen aus dem In- und Ausland binnen weniger Tage schon im Jänner aus, der Zugang zur Förderung musste gesperrt werden, weil eben kein frisches Geld verfügbar war (profil berichtete). Die Ausgaben, kritisiert Babler, seien „ohne Gegenfinanzierung“ erfolgt und hätten „zu einer massiven Belastung des Kunst- und Kulturbudgets“ geführt. Für die sieben restlichen Monate des laufenden Jahres wird es deshalb keine weiteren Zuschüsse geben, und ab 2026 wird die ÖFI+-Förderung dramatisch zurückgefahren, auf 15,5 Millionen Euro; Österreichs Regierung spart damit ausgerechnet an der Filmlandschaft, einem boomenden Sektor, insgesamt 22 Millionen Euro. Im Ende Februar veröffentlichten Regierungsprogramm las sich das noch ganz anders: Man plane, für das „Kulturland Österreich und seine vielfältige Kulturlandschaft verlässliche Rahmenbedingungen“ zu schaffen. Und: „Die wesentlichen kulturellen Institutionen sollen langfristig abgesichert werden.“

Die Filmbranche scheint Babler nicht zu diesen entscheidenden Einrichtungen zu zählen. Eine Kompensation für die Subventionsverluste hat er allerdings ins Auge gefasst: Er will die großen Streamingdienste zur Kasse bitten, sie per „Investment Obligation“ zur Finanzierung österreichischer Film- und Fernsehproduktionen verpflichten. So sollen „die größten Profiteure unserer lebhaften Filmindustrie zu ihrem Erhalt beitragen“.

In der Frage, wie spruchreif diese Investitionsverpflichtung de facto sei, hat das Büro Babler aber bis heute kaum zusätzliche Informationen parat: „Die Investment Obligation soll so schnell wie möglich kommen“, heißt es dort auf profil-Nachfrage lediglich: „Aktuell werden verschiedene Ausgestaltungen geprüft und mögliche Umsetzungswege für Österreich ausgearbeitet.“

Im profil-Interview gab Babler bereits vor fünf Wochen zu, dass diese Investitionsverpflichtung „durch Donald Trumps Zollpolitik gerade etwas schwieriger geworden“ sei. Tatsächlich fährt der US-Präsident den gegenteiligen Kurs, hat angekündigt, amerikanische Produktionen, die aus Geldgründen in Europa abgewickelt werden, in aller Härte zu besteuern.

Marktgiganten wie Netflix, Amazon, Disney und Apple dazu zu bringen, einen Teil ihrer Rückflüsse aus Abos und Werbungen in nationale Serien- und Filmproduktionen zu investieren, mag utopisch klingen, ist aber gängige EU-Praxis. In der europäischen „Audiovisual Media Services Directive“ (AVMSD), der Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste, ist festgehalten, dass EU-Staaten das Recht haben, TV-Sendern und Streaminganbietern die Verpflichtung aufzuerlegen, in Euro-Produktionen zu investieren.

In 16 EU-Ländern, darunter Frankreich, Dänemark, Spanien und Italien, kommen Investment Obligations bereits zum Einsatz. Es ist allerdings kein Zufall, dass diese Länder zu den international renommierten Filmnationen gehören; man lässt sich eben lieber dazu bringen, in Content zu investieren, der kulturelle und kommerzielle Relevanz verspricht. Je größer die Wahrscheinlichkeit sei, dass „global verwertbare Hits aus einer – auch kleinen – Filmbranche kommen könnten“, desto höher werde die Bereitschaft sein, sich zu Investitionen zu verpflichten, meint auch Alexander Glehr, Geschäftsführer des Wiener Produktionsunternehmens Film AG.

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In französische Produktionen pumpen Disney+, Netflix und Prime Video seit Jahren stolze 25 Prozent ihrer in Frankreich generierten Einkünfte. In Deutschland, Österreich und vielen anderen europäischen Staaten hat man es bislang nicht geschafft, den Streamern eine Investment Obligation abzuringen.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.