Isolation Berlin
Kommt mit mir in den Alltag

Neue Alben: Isolation Berlin – "Vergifte dich"

Neue Alben: Isolation Berlin – "Vergifte dich"

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Isolation Berlin: Vergifte dich (Staatsakt)

Der Ausweg aus der Isolation Berlin führt über Wien: „Mitten in Berlin, träume ich von Wien“, singt Tobias Bamborschke im Eröffnungssong „Serotonin“, nur um noch schnell eine Abkürzung über die Getränkeabteilung im Supermarkt zu nehmen. „Wenn du mich suchst, du findest mich am Pfandflaschenautomat. Da hol ich mir zurück, was mir gehört.“ Die großen und die kleinen Alltagsabenteuer liegen bei der vierköpfigen Berliner Band, die soeben ihren zweiten Longplayer „Vergifte dich“ veröffentlicht hat, eben sehr nah beieinander.

Der kurze Ausflug nach Wien, im gemütlichen Indie-Gitarren-Chanson vorgetragen, ist aber spätestens mit dem dritten Song „Wenn ich eins hasse, dann ist das mein Leben“ vergessen. Der Albumtitel ist hier nämlich Programm. Isolation Berlin erstickt jeglichen Anflug von Harmonie sofort im Keim, statt sich den besungenen Stimmungsaufhellern und verbotenen Substanzen („Kicks“) hinzugeben, wird hier jeder Ton bis zur Unkenntlichkeit zerrüttet, zerfledert und zersägt. Postpunk, Noise-Rock, alles schön vertrackt, verspielt, wunderbar eigensinnig. Für Fans von Fans.

Die zentrale Frage, die Isolation Berlin seit der Bandgründung antreibt, ist, wie man es möglichst unbeschadet durch den Tag schafft. Wie eine bleischwere Decke legt sich das Grau des Alltags über das Gemüt, vergiftet die Gedanken und macht das Handeln schier unmöglich. Die Musik dazu ist quälend, zerrend, aber gleichzeitig auch euphorisierend.

Mit „Vergifte dich“ steigen Sänger und Texter Bamborschke, Bassist David Specht, Gitarrist Max Bauer und Schlagzeuger Simeon Cöster nun wieder hinab in die Unzulänglichkeiten des Großstadtlebens. Nach dem etwas zu verkopften Albumdebüt „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ geht es auf „Vergifte dich“ wieder Richtung nihilistischer Wut und Seelenpein der beiden grandiosen Debüt-EPs.

Die vier Jungs wissen, dass zwischen Lebensaufarbeitung und Selbstzerstörungswillen die Musik immer noch das beste Antidepressivum ist. Es hilft alles nichts. Man muss weitermachen. Irgendwie.

Isolation Berlin gastiert am 4. April im Wiener Fluc.

Diese Woche in der unerhört-Playlist:

Haley Heynderickx: I Need to Start a Garden Nelio: Zeit für Auszeit Soccer Mommy: Clean Die Nerven: Niemals (Song) Neuschnee: Der Zeitgeist macht Buh (Song) Leyya: Sauna (LasVegas Records) Son Lux: Brighter Wounds

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.