Kino

Olivia Colman und Anthony Hopkins: "Schauspielen ist ein bezahltes Hobby"

Oscar-Favorit "The Father": Ein Zoom-Interview mit den britischen Filmstars Anthony Hopkins und Olivia Colman.

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Realität und Fantasie kippen in diesem Kammerspiel gefährlich ineinander, Zeit, Raum und Identitäten werden instabil, und am Ende steht der tragische Verlust des Selbst: "Who exactly am I?", fragt der alte Mann zerrüttet seine Pflegerin. Der französische Dramatiker Florian Zeller hat mit "The Father" sein eigenes Theaterstück fürs Kino neu moduliert. Der Film spielt clever mit der Wahrnehmung seines Publikums, dem er die Simulation einer fortschreitenden Demenz zumutet und dabei die Sicherheit einer scheinbar "objektiven" Filmerzählung entzieht.


Das Ergebnis ist ein zu gleichen Teilen komischer, bitterer, gespenstischer, vor allem aber tieftrauriger Absturz in den Abgrund eines schnellen Gedächtnisabbaus. Anthony Hopkins ("Das Schweigen der Lämmer") und Olivia Colman ("The Crown"; "The Favourite") spielen den mit seiner Situation hadernden Vater und dessen verzweifelnde Tochter. Beide sind für ihre Leistungen in "The Father" oscarnominiert, Hopkins als bester Hauptdarsteller, Colman als beste Nebendarstellerin.

Kurz vor dem Interview sind die beiden noch in einen Small Talk mit ihrem Presseagenten verstrickt, besprechen erheitert den Geschmack bestimmter Kekse und Pfannkuchen, die man in Amerika gerne schon zum Frühstück zu sich nimmt. Hopkins, 83, sitzt im nachtblauen Hemd in seinem Domizil in Los Angeles, vor einem Bücherregal und einer hölzernen Schranktür, während sich Colman, 47, in einem beigen Rollkragenpullover in einem sehr dunklen Raum, in dessen Hintergrund schemenhaft ein Kasten aufragt, nach eigenem Bekunden "am Land, irgendwo in England" aufhält.

profil: In "The Father" scheint es auch ums Schauspielen selbst zu gehen, um das Sich-Verstellen. War das Teil Ihrer Faszination für dieses Filmprojekt?

Colman: Das Drehbuch war einfach derart schön. Scripts dieser Qualität sind selten, ich atmete richtiggehend auf. Das Wirken der Demenz aus Anthonys Blickwinkel, all die verwirrenden Zustände, denen man da ausgeliefert ist, beschrieb dieses Drehbuch so unerwartet genau und konkret: Wir leiden mit ihm, erleben seine Konfusion wie er selbst. Das war so brillant geschrieben, dass ich sofort dabei sein wollte. Und als ich dann feststellte, dass ich praktisch jede meiner Szenen an Tonys Seite spielen würde, dachte ich nur noch: Ja! Bitte! Bin dabei!

Hopkins: Es ist ein perfektes Drehbuch, absolut makellos. Bücher dieser Qualität kriegt man vielleicht drei Mal im Leben angeboten. Wenn man Glück hat. Und es war sehr einfach zu spielen.

profil: Wie bitte? Einen Demenzkranken, der von einer Laune in die andere kippt, der tyrannisch, charismatisch und bemitleidenswert zugleich ist, finden Sie einfach zu spielen?

Hopkins: Klar. Das Drehbuch, das Christopher Hampton aus Florians Stück gemacht hat, war superb-und mit Olivia zu arbeiten, das war so unkompliziert, wie eine Runde Tennis zu spielen. Keinerlei Mühsal, keine Reibungen, kein Neid. Man musste nur zeitgerecht am Set auftauchen und seinen Job machen. Wenn man es denn einen Job nennen kann.

profil: Sie betrachten das Schauspielen nicht als Arbeit?

Hopkins: Nicht wirklich. Es ist eher ein bezahltes Hobby.

profil: "The Father" ist ein Kammerspiel mit wenigen handelnden Figuren.

Hopkins: Das machte alles noch einfacher. Wir hatten eine kleine Filmcrew. Und Florian, unser Regisseur, war sehr still, sehr bescheiden. Aber nicht befangen oder schüchtern, sondern zuversichtlich und vertrauensvoll. Alles war bemerkenswert ungezwungen. Colman: Sehe ich auch so. Es gab nie Ärger, keine sinnlosen Wartezeiten, keinen großen technischen Aufwand, alles war auf das Essenzielle reduziert. Hopkins: Und von keiner Aufnahme mehr als zwei oder drei Takes!

profil: Die Basis dieses Films ist ein Theaterstück, Sie haben beide viel Bühnenerfahrung. Fühlte sich die Arbeit nun "theaterhafter" an als üblicherweise am Set?

Colman: Fand ich nicht. Ich hatte das Theaterstück nie gesehen-und war froh darüber, sonst hätte ich alles ständig verglichen. Florian ging, obwohl er vom Theater kommt, wie ein Filmregisseur ans Werk, er veränderte sein Stück auch, um es filmischer zu machen. Die Rechnung ging auf; es fühlte sich nicht an wie abgefilmtes Theater; das geht ja sehr häufig schief.


profil: Wie sehr wird das Filmgeschäft von der Viruskrise in Mitleidenschaft gezogen werden?

Colman: Viele Projekte haben sich angestaut, und es kostet inzwischen rund 25 Prozent mehr, einen Film mit Testserien und dem ganzen Sicherheits-Brimborium herzustellen. Aber wir haben noch Glück, verglichen mit unseren Freunden vom Theater, die vor dem Nichts stehen. profil: Mr. Hopkins, Sie wirken in "The Father" anfangs stur, misstrauisch, selbstmitleidig, auch ein wenig grausam. Ist es für Sie grundsätzlich interessanter, brüchige Charaktere darzustellen?

Hopkins: Wenn man ein gutes Buch hat, kann man alles spielen. Als ich vor fast 30 Jahren "The Remains of the Day" drehte, war das auch ein Film, der im Wesentlichen an einem Ort spielte. Der Regisseur James Ivory ließ einem, wie Florian, die Freiheit zu spielen, überfütterte einen nicht mit Kommentaren oder Wünschen. Er ließ einen machen. Ivory stellte mir vorab die Grundsatzfrage, wie ich einen Butler spielen würde. Ich sagte: "Indem ich stillstehe, nicht herumschreie, mich sehr zurücknehme."Er meinte, das könne doch nicht alles sein. Ich lachte und meinte: "Doch."Ich reduziere das Schauspielen gern auf ein simples ABC. Zwei plus zwei sind vier, daraus muss man nicht sechs machen.


profil: Halten Sie Understatement für nötig, um virtuose Leistungen zu erbringen?

Hopkins: Ja. Ich bin ein Fan alter amerikanischer Filme. Schauen Sie sich Gary Cooper an: Er machte, wenn er auftrat, überhaupt nichts! Er erzählte durch seine Präsenz die Geschichte. All diese großartigen Leute-Clark Gable, Humphrey Bogart-"spielten" ja nicht, das mussten sie gar nicht. Sie waren einfach nur da. Und darin waren sie meisterlich. Das hatten sie in der Filmindustrie gelernt. Minimalismus ist ein hoher Wert in unserem Gewerbe.

profil: Die Filmkamera ist ein starkes Vergrößerungsglas. Man muss sehr präzise sein und seine Mittel gut kontrollieren, um dieser Lupe standzuhalten.

Hopkins: Als Jack Lemmon an "The Apartment" arbeitete, sagte ihm Billy Wilder immer wieder: "Bitte weniger! Noch weniger! Nicht so viel spielen!" Und Lemmon, den ich noch kannte, er war ein witziger Typ, stand immer extrem unter Strom, sagte irgendwann entgeistert: "Aber dann spiele ich ja gar nicht mehr." Und Wilder antwortete: "Genau darauf will ich hinaus. Hör endlich auf mit dem Schauspiel!"

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.